TAMMOX IST UMGEZOGEN / AUS TAMMOX WURDE "TAMMOX-II"

Um die beklagte Seitenaufbaugeschwindigkeit zu verbessern, bin ich auf einen zweiten Blog umgezogen. Und zwar hierhin. Ich bin dankbar für ein Feedback!

Mittwoch, 30. Juni 2010

Nebelkerzen


Die aktuelle Ausgabe des Spiegels höhnt auf der Titelseite über die Bundespräsidentenwahl:
„Die Wahl, die keine ist“
Darunter wird aus dem „Gesetz über die Wahl des Bundespräsidenten durch die Bundesversammlung“ der §7 zitiert - „Die Mitglieder sind an Aufträge und Weisungen nicht gebunden“- aus dem eine zerknitterte, ins Bild montierte Angela Merkel das Wort „nicht“ durchstreicht.

Das ehemalige „Sturmgeschütz der Demokratie“ schwingt sich zum buchstabengetreuen Hüter der Verfassung auf und beklagt, daß kein Abweichen von der Parteilinie geduldet wird.

Inhaltlich stimmen die Anwürfe des Spiegels:

Es ist mal wieder Maskenball in Berlin. Kaum einer zeigt sein wahres Gesicht, die Schminke ist dick aufgetragen, das Gesagte und das Gedachte fallen weit auseinander. Nichts ist so richtig stimmig, der Schein regiert. Das gibt es häufiger in der Politik, aber diesmal geht es so wild und so unverfroren zu wie noch nie. Eigentlich ist es Aufgabe der Bundesversammlung, den besten Mann oder die beste Frau für das Amt des Staatsoberhaupts zu küren. Aber das spielt im Kalkül der Delegierten kaum eine Rolle.

Der erhobene Zeigefinger ist aber gänzlich fehl am Platze.
Die Jungs in der Hamburger Brandstwiete haben offensichtlich die letzten 60 Jahre verschlafen, wenn ihnen nun auffällt, daß bei Wahlen Parteidisziplin eine große Rolle spielt.

Seit 50 Jahren weist Hildegard Hamm-Brücher auf den § 38 hin, der überhaupt nur in absoluten Ausnahmefällen tatsächlich mal gilt, wenn die Parteigroßkopferten gönnerhaft den Fraktionszwang aufheben - wie beispielsweise bei der Entscheidung über die neue Hauptstadt.

Artikel 38 GG
(1) Die Abgeordneten des Deutschen Bundestages werden in allgemeiner, unmittelbarer, freier, gleicher und geheimer Wahl gewählt. Sie sind Vertreter des ganzen Volkes, an Aufträge und Weisungen nicht gebunden und nur ihrem Gewissen unterworfen.

Das ist die Papierform, die in der Praxis aber ausgehebelt ist.
Willkommen in der Realität.
Natürlich schachern die Parteien IMMER bei der Besetzung des Präsidentenamtes.

Eine besonders unrühmliche Rolle spielte Strippenzieher Rudolf Scharping bei der Präsidentenwahl 1994.
Die CDU war schwer angeschlagen, nachdem Helmut Kohl seinen Kandidaten Steffen Heitmann in letzter Minute ob des rechtslastigen Geplappers Heitmanns zurück ziehen mußte.
Die FDP konnte sich nicht für den Notkandidaten Herzog erwärmen und ging mit einer der angesehensten Persönlichkeit der Bundesrepublik überhaupt ins Rennen - Hildegard Hamm-Brücher.
Allein hatte die CDU keine Mehrheit und so kam es folgerichtig zu einem dritten Wahlgang, da weder Herzog, noch SPD-Kandidat Rau, noch Hamm-Brücher die absolute Mehrheit hatten.
Die FDP hatte signalisiert im dritten Wahlgang ihre Kandidatin zurück zu ziehen und sich gemütlich im Rektum Helmut Kohls einzunisten.
In dieser Konstellation war Rau natürlich ein sinnloser Zählkandidat.

Hätte Scharping ihn zurück gezogen und die Unterstützung von Hamm-Brücher empfohlen, wäre sie zweifellos Präsidentin geworden.
Eine echte Liberale und die erste Frau.

Ausgerechnet der SPD-Chef verhinderte dies und hob den konservativen Kohl-Freund Herzog aus der CDU ins Amt. Tolle Taktik.

Ich habe gar nichts gegen Taktieren.
Als reine Spontan-Veranstaltung kann unsere parlamentarische Demokratie nicht funktionieren.

Es ist schon mit Fraktionseinpeitschern und Parteizuchtmeistern chaotisch genug.

Mit all der Mandatsdisziplin, die jetzt so sehr kritisiert wird, kommen ja ganz offensichtlich seit Jahren auch kaum sinnige Ergebnisse zustande.
Es sei nur an die seit zwei Jahren ertönenden Schwüre erinnert, die internationalen Finanzspekulanten in Regeln zu zwingen. Passiert ist aber nichts.

Taktik ist wichtig, um überhaupt etwas zu erreichen.

Schlechte Taktiker sind das Problem, wie Scharping und Kohl 1994 oder Merkel 2010.
Trittin und Gabriel haben gut taktiert.
Die Linke hat miserabel taktiert und sich in den letzten Wochen nach dem NRW-Koalitionsbildungsdebakel und der Anti-Gauck-Hysterie ins Aus geschossen.

Die großen Medien haben nicht nur schlecht taktiert, sondern so viel Nebel versprüht, daß Realdeutschland teilweise komplett verdeckt wurde.

Noch heute haben Nachrichtensender wie NTV Telephonumfragen gestartet, wen die Bevölkerung zum Präsidenten wählen würde.

Unerträgliche Volksverdummung!

Das Volk hat dazu nichts zu sagen und das war auch schon immer so.

Nach plebiszitäreren Verfahren zu schreien ist immer wohlfeil.
Das macht man immer dann, wenn man sich zufälligerweise ohnehin auf der Seite der Mehrheit befindet.

Köhler regte genau dann eine Direktwahl an, als er selbst enorme Beliebtheitswerte angesammelt hatte.
Gäbe es eine solche Regelung, wäre Köhler allerdings nie ins Amt gelangt.
Am 23. Mai 2004 wurde Köhler zwar im Ersten Wahlgang gewählt (trotz zahlreicher Abweichler! Er bekam nur eine einzige Stimme mehr als die absolute Mehrheit), aber damals lag er in Beliebtheitsumfragen meilenweit hinter Gesine Schwan zurück, die „beim Volk“ deutlich besser ankam.

Köhlers Taktik hätte nicht geklappt.


Gerade kommt das Ergebnis des ersten Wahlganges rein:

Wulff kam nur auf 600 Stimmen - bei 644 Stimmenmehrheit für FDP und Union.
Frau Merkels Taktik war also miserabel. What else is new?

Man wünscht sich eine Bundeskanzlerin, die besser taktieren kann - aber das ist auch nicht neu.

Dienstag, 29. Juni 2010

Der Christ des Tages - Teil XXVI

Unser Bücherratz tut sich ein wenig schwer mit der Kommunikation, wie wir alle wissen.
Was außerhalb der Vatikanmauern vor sich geht, interessiert den Pontifex herzlich wenig.

Unvergessen sein bezeichnender Umgang mit einem US-Journalisten, der es wagte ihn auf offener Straße auf den Kinderfickerprister Lawrence Murphy anzusprechen, der mindestens 200 gehörlose Jungs sexuell molestiert hatte und von Ratzingers Glaubenskongregation nicht gestoppt wurde.
„This is unerhört“ blaffte der damalige Inquisitionschef Kardinal Ratzinger los und schlug dem Reporter erregt auf die Finger.



Im Papstpalast ist es viel netter - da wird erst gar keiner vorgelassen außer den zwei Georgs.
Wie viel Input aber mag schon auf diese Weise an das Ohr des Pontifex Maximus gelangen?
Der eine Georg, 86, hat seine Kräfte offensichtlich beim Verprügeln von minderjährigen Domspatzen in Regensburg verbraucht und ist jetzt schwer senil.



Der andere Georg, 55, auch genannt Georg McSexy, kann sich immerhin auf ein bißchen weltliches Wissen stützen, das er von seiner langjährigen „Bekannten“ und hochgeschätzten Ratgeberin Gloria von Thurn und Taxis erhält.
Die intellektuelle bayerische Fürstin („Der Afrikaner schnackselt halt gern“) kennt sich aus in der Welt und wird dafür von Hakenkreuznet geliebt.
Die geborene Mariae Gloria Ferdinanda Gerda Charlotte Teutonia Franziska Magarethe Frederike Simone Johanna Joachima Josefine Wilhelmine Huberta Gräfin von Schönburg-Glauchau wuchs unter anderem in Togo und Somalia auf.
Ihr wird enormer Einfluß auf Pater Gänswein nachgesagt.
Wenn jemand direkt zum Papst vordringen möchte, sollte er den Weg über die Heimatburg St Emmeram in Regensburg der Präfektin der Gebetsgruppe Marianische Frauencongregation „Mariä Verkündigung“ Regensburg (MFC) gehen.

Es ist nicht bekannt wie viele Duzfreunde der Papst hat, man darf aber getrost davon ausgehen, daß es sich dabei um ein überschaubares Grüppchen handelt.

Dazu gehören zwei Männer, die ebenfalls Zugang zum Stellvertreter Gottes haben.

Einer nutzte die pontifikale Protektion, um in ein hohes Bischofsamt zu gelangen - obwohl in Kirchenkreisen offenbar lange bekannt war, daß er ein zu Sadismus, Alkoholismus und Veruntreuung neigender Hedonist ist - Walter Mixa.

Zuletzt hatte der Bischof emeritus ("Bleib hier! Ich brauche deine Liebe!") allerdings die Größe seines Steines im päpstlichen Brett unterschätzt und zog gegen Marx und Zollitsch den Kürzeren.

776 km. Flugzeit: 01:45. Das sind die überaus günstigen Daten der Strecke Wien-Rom, die den anderen bekannten Papst-Duzer Kardinal Schönborn betreffen.
Er kommt einmal die Woche rüber zum gemeinsamen Mittagessen.

Anders als der realitätsentrückte Kollege Mixa („Mein Herz ist rein“) weiß der Wiener Oberbischof allerdings, daß die päpstliche Protektion Grenzen hat.

Alles darf man sich nicht rausnehmen.
Insbesondere beim Thema „Aufklärung sexueller Missbräuche durch Geistliche“ mag der Papst keine Kritik an der Vatikanischen Vertuschungstaktik.
Natürlich ist der konservative Wiener vorbelastet; anders als seine Kollegen, hat er nicht die Option zu behaupten „Also davon habe ich NICHTS gewußt!“.

Schönborn, 65, Sprößling der deutschen Adelsfamilie Schönborn, „verdankt“ seinen jetzigen Job immerhin einem der peinlichsten Knabensexskandale des 20. Jahrhunderts.
1995 wurde er zum Koadjutor der Erzdiözese Wien und sollte dem notorischen Päderasten Hans Hermann Kardinal Groër auf die Finger klopfen.
Die über Jahrzehnte andauernden Sexattacken des geilen Kardinals auf kleine Jungs führten fast zu einer Implosion der Österreichischen Kirche.
Selbst Groërs Bischofskollegen stellten sich schließlich gegen ihn.
1998 bekundeten Christoph Schönborn, Johann Weber, Georg Eder und Egon Kapellari, dass sie zur „moralischen Gewissheit“ gelangt wären, dass die Vorwürfe gegen Groër „im Wesentlichen zutreffen“.

Groërs Kumpel Kurt Krenn folgte 2004 ins absolute Abseits, nachdem sein Priesterseminar als Hort von Kinderpornos und homosexueller Übergriffe auf die Seminaristen („Bubenstreiche“ - O-Ton Krenn) auffällig geworden war.

Nun ist für den Papst endgültig Schluß mit den Schmuddelsexgeschichten in Österreich.
Das bedeutet nach Ratzinger-Lesart „Schluß mit Aufklärung und Kritik an Vertuschung“.

Nach Vatikanischer Sicht gab es nur Ärger, wenn Bischöfliches Kinderbefummeln öffentlich wurde.
Folgerichtig ließ sich Seine Heiligkeit auch keine Widerworte des Wiener Katholenchefs gefallen und zwang ihn zurück zu rudern, als Christoph Kardinal Schönborn jetzt aufmuckte.

Er hatte Sodano vorgeworfen, während seiner Amtszeit die Ermittlungen gegen den früheren Wiener Erzbischof Kardinal Groer behindert zu haben. Außerdem habe Sodano die Opfer sexuellen Missbrauchs beleidigt, indem er das Thema als "Geplapper" abgetan habe. Schönborn war am Montag vom Papst in einer Audienz empfangen worden. Bei dem Gespräch, bei dem auch Kardinalstaatssekretär Tarcisio Bertone und dessen Vorgänger Sodano anwesend waren, musste der Wiener Erzbischof einen Rüffel des Heiligen Vaters einstecken. Laut einem Kommunique des Pressesaals des Vatikans „wollte“ Schönborn bei der Unterredung „einige Aspekte kirchlicher Disziplin“ klarstellen, ebenso wie „gewisse Urteile betreffend die Haltung des Staatssekretariats, insbesondere unter dem seinerzeitigen Staatssekretär von Papst Johannes Paul II...bezüglich des verstorbenen Kardinals Hans Hermann Groer“. Papst Benedikt XVI. unterstrich laut dem Pressekommunique zudem gegenüber Schönborn in Hinblick auf dessen Aussagen über Sodano, dass, „wenn es sich um Anschuldigungen gegenüber einem Kardinal handelt, die Zuständigkeit ausschließlich beim Papst liegt.
(Salzburger Nachrichten)

Nun komme ich endlich zum Titel dieses Postings.
In vorrauseilendem Gehorsam benannte Kardinal Schönborn die CHRISTIN DES TAGES, Waltraud Klasnic, zur Opferbeauftragten der österreichischen Katholischen Kirche.

Die ehemalige steirische Landeshauptfrau soll eine unabhängige Kommission zu den Vorfällen zusammenstellen Seit Wochen vergeht nahezu kein Tag, an dem nicht ein neuer Missbrauchsfall im katholischen Umfeld bekannt wird: Deswegen erklärt die Kirche nun die ehemalige steirische Landeshauptfrau Waltraud Klasnic zu ihrer Opferbeauftragten, wie Kardinal Christoph Schönborn nach Absprache mit den Bischöfen in der sonntäglichen ORF-Pressestunde verkündete. Der Kardinal, der mit Klasnic am Gründonnerstag zusammentreffen will, lobte "die soziale Kompetenz" der Präsidentin der Hospizbewegung und ehemaligen ÖVP-Politikerin.
(Der Standard im März 2010)

Eine Prima Wahl - ist Klasnic doch Trägerin des höchsten Vatikanischen Ordens, den der Papst an Laien vergibt.

Im Jahr 2003 wurde ihr der päpstliche „Gregorius-Orden für den Eifer in der Verteidigung der katholischen Religion“ verliehen.

Klasnic verteidigt in der Tat die katholische Religion - indem sie es schön billig für den Vatikan zu gestalten versucht und die finanziellen Entschädigungsforderungen der missbrauchten Kinder auf ein Minimum drückt.
Daß die Opferschutzorganisationen sauer auf die Christen des Tages sind, dürfte Papst Ratzinger nur darin bestätigen, daß sie gute Arbeit leistet.

Wie praktisch es ist, wenn Vertreter der TÄTER-Organisationen über Entschädigungen bestimmen, lernte auch die Deutsche RKK und lud auf dem jüngsten Kirchentag Vertreter der Opfer erst gar nicht ein- sie dürfen nicht mitreden.

Auch das Kloster Ettal läßt die mehreren hundert Opfer am ausgestreckten Arm verhungern, stellt das Ermitteln ein und hat nicht einen Cent Entschädigung gezahlt.

Die heute von der kircheneigenen Klasnic-Kommission angebotenen Entschädigungssätze (5.000 bis max. 25.000) werden von der kirchenunabhängigen Plattform Betroffener Kirchlicher Gewalt postwendend als neuerliche Beleidigung der Betroffenen strikt abgelehnt. Während die Kirchen-Kommission mehrfach betonte, großzügiger als die Judikatur sein zu wollen, ist der Maximalsatz mit EUR 25.000.- weit unter der ohnehin geringen gerichtlichen Schadenersatzsumme. Hier wurden für einen schweren Fall von Missbrauch bereits EUR 55.000 bezahlt. In Irland etwa, wurde im Schnitt jeder Betroffenen mit EUR 65.000.- entschädigt.

Unabhängigkeit wurde vorgetäuscht
.
Während Kardinal Schönborn ständig vormachen wollte, die Höhe der Entschädigung werde völlig frei und unabhängig von der von ihm eingerichteten und bezahlten Klasnic-Kommission festgelegt, hat er in der ZIB2 vom 23.6. eine Höhe von EUR 130.000,- als inakzeptabel zurückgewiesen. Dies ist ein trauriger Beweis dafür, dass die Klasnic-Kommission, wie von den Betroffenen immer vermutet, letztlich auf Zuruf ihres Auftraggebers Kardinal Schönborn zu agieren hat.”

Gerade eine Institution wie die röm.-kath. Kirche, die über ein Milliardenvermögen verfügt, ist nicht mal bereit, in der Höhe der -ohnehin geringen- gerichtlichen Praxis zu entschädigen. Keine Kommissionsmitglied und kein Mitglied der Bischofskonferenz würde sich für EUR 15.000.- einer jahrelangen Vergewaltigung aussetzen wollen, so wie ich das als Kind erleiden musste. Die Kirche wird keinen Frieden finden, ehe sie nicht für Ihre Verbrechen in angemessener Form Entschädigung leistet” erklärt dazu Klaus Fluch, Betroffener und Vorstandsmitglied der Plattform Betroffener Kirchlicher Gewalt.

Politik überlässt Täterorganisation die Wiedergutmachung
.
Es ist ohne Beispiel in der österreichischen Justizgeschichte, dass die Vertreter der Täter bzw. eine Täterorganisation selbst über die Höhe des Schmerzensgeldes des von ihr verursachten Leides entscheidet.

Zur Erinnerung: Einige Mitglieder, bzw. Funktionäre der kath. Kirche haben teilweise über Jahrzehnte Kinder und Jugendliche in einem unvorstellbaren Ausmaß sexuell missbraucht. Diese Vergehen hat die Hierarchie der kath. Kirche systematisch verschwiegen und die Täter geschützt. Dafür wurden die Opfer teilweise öffentlich gedemütigt und verleumdet, wenn sie die Verbrechen bekannt machen wollten.

(Betroffenen.at)

Montag, 28. Juni 2010

Liberale Läuterung

Die aktuelle Ausgabe der Titanic (Juli 2010) offeriert schon im Editorial eine wirklich bahnbrechende Idee.
Die WM-Fernsehproduktionsfirma HBS habe endlich ein Verfahren entwickelt, das das „unerträgliche Vuvuzela-Gequäke im Stadion herausfiltert“. Andere Medien wollten nach diesem Vorbild ebenfalls unangenehme Störgeräusche herausfiltern.
Als Beispiel wird die ARD genannt, die Anne Will aus ihrer eigenen Sendung ausblenden wolle. Der Parlamentssender Phoenix beabsichtige künftig bei Bundestagsdebatten „das infernalische Geschnatter Westerwelles durch weißes Rauschen zu ersetzen. Ein Beitrag zur Debattenkultur, der längst überfällig war.“

Ich kann nur hoffen, daß diese wertvolle Anregung der Magazin-Macher schnell in die Tat umgesetzt wird. Je weniger Guido, desto mehr Lebensqualität.

Es darf aber bezweifelt werden, ob die FDP-Vorständer, die heute den zweiten Tag zu ihrer Megakrisenklausur zusammen sitzen, schon mit einer solchen gehirnschonenden Technik operieren.
Der Parteichef begann die Debakelursachenforschung mit einem „Referat“, vulgo „infernalisches Geschnatter“.
Fighting fire with fire?

Sich selbst abzuschaffen, so hört man, plant der Vizekanzler nicht.

Der Mann hat Glück - er ist der einzige Vertreter seiner Generation in der FDP-Führung.

Die Jungen - Bahr, Vogel und Linder - haben noch Eierschalen hinter den Ohren und nicht die Kraft die selbsternannte „Freiheitsstaue der Bundesrepublik“, denjenigen, der „alles regelt, auf dem Schiff, das dampft und segelt“ vom Thron zu schubsen.

Die Alten - Solms, Brüderle und Gerhard - sind geistig schon geriatrische Fälle.
Da wäre es noch angezeigter Jopi Heesters den JuLi-Vorsitz anzutragen.

Generalsekretär Linder macht dem einstigen Krawattenmann des Jahres 2000 (Guido W.) auf seine Weise Konkurrenz und mausert sich im Pressespiegel auf seine ureigene Art.

Kaum ein anderer Politiker steckt so passgenau in schmal geschnittenen Anzügen.
(Dirk Kurbjuweit im SPIEGEL 03.04.10)

Da steht dieser blonde Mann im taillierten schwarzen Anzug am Pult
(taz 22.06.10)

Ein bisschen wirkt er wie feinsäuberlich aus der Zeitung ausgeschnitten, sein dunkelblauer Anzug weist nicht eine Falte auf und sitzt wie angegossen, seine schwarzen Schuhe glänzen.
(Fh-Gelsenkirchen)

Herr Lindner, ein schlanker Mann mit blonden Haaren, den man stets […] in Anzug, farblich abgestimmter Krawatte und mit modischen Manschettenknöpfen antrifft.
(Zeit 29.10.09)

Sein Anzug sitzt stets perfekt, seine Initialen sind auf seine Hemdtasche genäht.
(Das Parlament, 01.10.07)

In der Süddeutschen war schon von den „beneidenswert schmal geschnittenen Anzügen des Generalsekretärs" die Rede.

Naja, immerhin.

Wenn es schon mit der Politik im Allgemeinen und den Inhalten im Besonderen so gar nicht klappt, dann wenigstens mit der Verpackung.

Das muß man anerkennen - im Vergleich mit Pykniker Niebel, der Bundeswehrkäppi und Splitterschutzweste zu Pfannkuchengesicht kombiniert, ist Linder ein optisch ansprechenderer Generalsekretär.

Wenn ihm jetzt noch jemand einen Rasierapparat schenken könnte, so daß er nicht mehr mit diesem pubertären Jugendkompensationsbart rumlaufen muß, ist alles gut.

Während sich die FDP-Jugend modisch auf einem Weg der Besserung befindet, träumen die mittelalten FDP’ler von einer Westerwelle-Nachfolgerin Leutheusser-Schnarrenberger.

Sie gilt in Kreisen der Liberalen als die Star-Ministerin, sie mache einen „Top-Job“.

FDP-Vorstand Jorgo Chatzimarkakis läßt keinen Superlativ aus, wenn er über die Arbeit der Justizministerin spricht.
Es ist zu hoffen, daß er damit ebenfalls auf modische Aspekte anspielte.
Politisch ist so ein Lob eher nicht zu rechtfertigen, wie die SWIFT-causa zeigt.

Chatzimarkakis im Januar 2010:
Ich habe sehr klar gemacht, dass ich es als nicht akzeptabel ansehe, sollten die USA in Zukunft Millionen von Finanzdaten europäischer Bürger ins Blaue hinein "abschöpfen" können. Das Europäische Parlament hat dabei bis zuletzt gegen das Swift-Vorhaben gekämpft. Wir haben den Rat wiederholt davor gewarnt, ein derartig weitreichendes Abkommen zu beschließen. Der deutsche Bundesinnenminister hat sich entgegen der Haltung von Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger im Rat bei der Abstimmung enthalten. Das nun beschlossene Abkommen gilt zunächst nur befristet, es wird also absehbar sein, dass ein neues Abkommen in Zusammenarbeit mit dem Europäischen Parlament erarbeitet werden wird.
Als Ihr gewählter Vertreter kann ich Ihnen eines versprechen: Ich werde gemeinsam mit meinen FDP-Kollegen darauf achten, dass die Bürgerrechte nicht in der letzten, sondern in der ersten Reihe sitzen.

Juni 2010: Leutheusser-Schnarrenberger ist eingeknickt und läßt jegliche SWIFT-Aktivität vermissen.
Wie auch in der Mißbrauchscausa beweist sie keinerlei Rückgrat und läßt die CDU-Kollegen machen was sie wollen:

Die Justizministerin Leutheusser-Schnarrenberger lässt dem Innenminister beim Swift-Abkommen freie Hand. […] Zwar steht in Brüssel der Beschluss des Swift-Abkommens mit den USA unmittelbar bevor. Doch anders als beim ersten Versuch im November 2009 gibt es diesmal in der Bundesregierung keinerlei Auseinandersetzungen, nicht einmal hörbare Diskussionen. Innenminister Thomas de Maizière (CDU) und Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) tun diesmal so, als ginge sie das alles gar nichts an. Die Justizministerin hat jede Kritik eingestellt. […] Im April beschloss der FDP-Parteitag in Köln, dass im Swift-Abkommen die Datenübermittlung "in Paketen" ausgeschlossen werden soll. "Die FDP lehnt einen präventiven Datenaustausch ab." Den Antrag hatte Leutheusser-Schnarrenberger vorbereitet. Nun geht sie auf Tauchstation.
(Christian Rath in der taz)

So viel zum Thema Profilstärkung der FDP und Wiederentdeckung des Themas Bürgerrechte.

Vielleicht hat sich die Justizministerin besonnen auf Lindner-Art Profil zu gewinnen und trägt demnächst nur noch schmal geschnittene Maß-Kleider.
SWIFT ist durch; die FDP muckt nicht auf.

Deutschland hat dem Swift-Abkommen über die Weitergabe von Bankkundendaten an die USA zugestimmt. Dies teilte Innenminister Thomas de Maizière (CDU) am Montag mit. Laut EU-Diplomaten haben alle 27 Mitgliedstaaten der Vereinbarung zwischen der Europäischen Union und den USA zugestimmt.
(SPON)

Sonntag, 27. Juni 2010

Bis zum Tellerrand und nicht weiter

Wenn ich bestimmen könnte wer von den drei Bundespräsidentenkandidaten das Rennen macht, würde ich tatsächlich Luc Jochimsen wählen.
Ihre politischen Ansichten kenne ich seit Jahrzehnten und teile diese zum großen Teil.

Die Wahrscheinlichkeit, daß die Kandidatin der Linken gewählt wird, liegt allerdings bei exakt Null, so daß es auf Gauck versus Wulff hinausläuft.

Vor diese Wahl gestellt, würde ich mich aus zwei Gründen für Gauck entscheiden - auch wenn es eigentlich egal ist, wer Präsident wird.

Erstens würde eine glatte Wahl Wulffs Westerwelle und Merkel stabilisieren - was ich nicht will und zweitens halte ich Wulff persönlich für ungeeignet.
Es ist nicht nur sein allseits bemängeltes Mikro-Charisma, sondern auch seine Frömmelei, seine fehlende Integrität, sein Klüngeln und seine Stimme, mit der er das „i“ bizarr in die Länge zieht.

Gerüchteweise hört man, daß Wulff ganz ähnlich wie Köhler ziemlich unerträglich für seine Mitarbeiter sein soll und zu Tobsuchtsanfällen und Grölattacken neigt.
Gerüchte - aber gut vorstellbar.

Ich werte also nach dem Ausschlußverfahren.
Positive Argumente fallen mir nicht ein - außer dem strategischen Aspekt, daß eine Wahl Gaucks ein Triumpf für Grüne und die SPD wäre.

Gauck selbst ist für meinen Geschmack derartig eitel und von sich selbst überzeugt, daß ich jetzt schon gründlich übersättigt von ihm bin.
Inhaltlich ist er offenbar in der Zeit 1989/1990 stehen geblieben.
Sein Vorschlag den Spruch „Wir sind ein Volk“ zu einem deutschen Slogan à la „Yes, we can!“ zu machen, erscheint mir geradezu erschreckend naiv und dümmlich.
„Yes, we can!“ war schon an primitiver Wahlkampf-Plattitüdität kaum zu übertreffen.
Ein Grölsatz zur Einpeitschung ohne jeglichen Inhalt.
Die humane Entsprechung eines Gorilla-Silberrückens, der sich auf die geschwollene Brust trommelt.
„Wir sind ein Volk“ ist sogar noch schlimmer, da es mit einer nationalen und einer populistischen Konnotation versehen ist.
Wir gegen die da oben. Offenbar will Gauck sich damit beim Politiker-müden Volk einschleimen.
Es zeigt sich auch, daß der Pfarrer Gauck nicht über seinen christlichen Prediger-Horizont hinaus blicken kann.

Der Ex-Stasibehörden-Mann kann sich aber auch auf anderen Gebieten nicht von Vorgestern lösen.
Blind vor der Realität schlägt er Millionen von Wählern vor den Kopf, wenn er der Partei „Die Linke“ generell die Regierungsfähigkeit abspricht.
Entweder Gauck erweist sich damit als parteipolitischer Taktiker der ganz muffigen Art, der nämlich à la „Rote Socken-Kampagne“ des Pfarrer-Kollegen Hintze die westdeutschen Konservativen mobilisieren will.
Oder es ist noch schlimmer und Gauck glaubt tatsächlich, daß die Linke nicht regieren dürfte!
Dann bewiese er damit, daß er im hohen Maße unversöhnlich ist, die WASG und 20 Jahre Geschichte ignoriert.
Er ordnet sich außerdem der perfiden CDU-FDP-Doppelmoral unter, da er an den beiden Parteien nichts kritisiert, die überhaupt nichts aufarbeiteten und je zwei DDR-Blockparteien, die vorher Stasi und Schießbefehl befürworteten samt deren Vermögen wegfusionierten.

So einen Ewiggestrigen hätte ich nicht gerne als Präsidenten.

Noch dümmlicher als Gauck verhält sich allerdings derzeit „die Linke“, die hysterisch getriggert in jedes Horn tutet, daß Gauck „absolut unwählbar“ sei.
„Unwählbar“?
Diese Kurzsichtigkeit halte ich für unerträglich platt - denn damit gibt Frau Lötzsch dem Kandidaten Wulff ihr Plazet und biedert sich bei Westerwelle und Merkel an.
Sie gibt Schwarz/Gelb freiwillig einen Trumpf in die Hand und zeigt dem Volk, das mehrheitlich nicht Wulff will, die Arschkarte.
Verantwortliche Politik sieht anders aus.
Hat am Ende Gauck doch Recht, daß die Linke nicht regierungsfähig ist?

Unerträglich ist auch Frau Lötzschs Ablenkungsargumentation.
Neuerdings soll es nicht etwa Gaucks Rolle in der Gauck-Behörde sein, die ihn „unwählbar“ macht, sondern seine Ansichten zum Krieg.

Gesine Lötzsch:
Ich glaube, dass dieses Afghanistanargument ein ganz entscheidendes ist. Aber die Friedensfrage ist ja etwas, was viele Menschen bewegt und was für viele Menschen auch die entscheidende Frage ist, wenn sie sich zum Beispiel für eine Partei oder eine politische Richtung oder ein Engagement entscheiden.
[…] Aber für Die Linke steht fest, Joachim Gauck ist nicht ihr Kandidat. Und es gibt nichts, was uns vom ersten zum dritten Wahlgang so verändern könnte bei seiner Person. Er hat seine Positionen noch einmal dargestellt in dieser Woche. Er wird sicher noch öfter dieser Frage der Unterstützung des Afghanistaneinsatzes vorbringen. Und das ist für uns ausreichend Grund, ihn nicht zu unterstützen.

Die Linke-Chefin überreicht damit gewissermaßen persönlich dem CDU-Kandidaten die Ernennungsurkunde, obwohl sie dem Volk einen Gefallen tun könnte und gewaltig an der Macht Westerwelles und Merkels rütteln könnte.

Viele Journalisten meinen, daß die Regierung Merkel unterginge, wenn Gauck durchkäme.
Das wäre das Ende von Steuermilliarden für Hoteliers und dem Auspressen von Hartz-Familien.
Lötzsch hat es in der Hand und sorgt lieber dafür, daß Merkel fest im Sattel bleibt.

Die neue Chefin tritt also in die CDU-stärkenden Schuhe ihres Vorgängers Lafontaine, der es mit seinen Anti-SPD-Attacken im Alleingang fertigbrachte, daß die CDU-Chefin Merkel 2005 trotz linker Mehrheit im Bundestag Bundeskanzlerin wurde.

Linke, die sich so sehr dafür einsetzen, die CDU zu stärken, sind für mich „unwählbar“.

Samstag, 26. Juni 2010

Staatliche Regeln

In diesem schönen Land haben wir Bürger allerlei Freiheiten.
Das ist nett.
Alle Freiheiten gibt es natürlich nicht.
Keine Freiheit darf so weit gehen, daß sie beliebig andere Wesen oder die Umwelt beeinträchtigt.

Wo genau die Trennlinie zwischen akzeptablen Freiheiten und gefährlichen Freiheiten liegt, bestimmt der Staat. Das ist zunächst einmal zu begrüßen - welche übergeordnete Instanz käme sonst dafür in Frage?
Der Verlauf der Trennline ist in einigen Bereichen unumstritten.

Ich darf mir zuhause mit dem Hammer auf den Fuß hauen, kann aber nicht raus gehen und einem beliebigen Passanten auf den Kopf schlagen.

Ich darf Kastenweise häßliche Geranien in den Garten stellen; ich darf aber kein Faß mit Giftmüll auskippen.

Das Prinzip klingt einfach und notwendig.

Unglücklicherweise ist die notwendige Neutralität, auf die der Staat beim Setzen der Grenzen fußt, nicht immer gegeben.

Manchmal mäandert der Grat zwischen Legal und Illegal im Nebel umher.

Ich darf unbehelligt eine Stange Zigaretten und ein Fass Rum konsumieren. Bei anderen Genußmitteln, die womöglich sogar harmloser sind, sieht das schon anders aus.
Nehme ich statt Rum einen Joint, gibt es Ärger mit der Polizei.
Dabei hängt der Umfang des Ärgers auch noch davon ab, wo ich mich zufällig befinde.
Berlin hat eine Haschisch-Eigenkonsum-Grenze von 15 g - so viel kann man dabei haben, ohne in den Knast zu müssen. In Bayern werden 15 g schon streng verfolgt.

Besonders eigenartig wird die Differenzierung zwischen Erlaubten und Unerlaubten, wenn es ausschließlich um die Gefährdung der eigenen Person geht.

Das Leben ist eine ausschließlich auf sexuellem Wege
übertragene Krankheit, die in 100% der Fälle tödlich endet.


So viel steht unverrückbar fest. In grotesker Weise setzt nun der Staat Standards, ob und wie man dieses tödliche Ende vorverlegen darf.

Viele todbringende, oder zumindest stark gesundheitsschädigende Aktivitäten sind völlig akzeptiert und werden massenhaft praktiziert.

Dazu zählen Reiten, Boxen, Wein trinken, Zigarre rauchen, Extrembergsteigen, Sonnen, Schlaftabletten nehmen, Fastfood-Ernährung, Skiurlaub, Motorradfahren oder Haare-färben (steigert das Blasenkrebsrisiko).

Andere Methoden sind streng verboten, wie zum Beispiel: Magensonde verweigern, Beatmungsmaschine abstellen, Kokain schnupfen oder Zyankali essen.

Was für den einen objektiv die Gesundheit beeinträchtigt, kann darüber hinaus für den anderen gerade "die Rettung" sein:

Man darf sich nicht ein gesundes Bein abhacken lassen. Basta. Auch nicht in dem Fall, daß man MIT dem Bein so unglücklich ist, daß einem nur der Suizid als Ausweg bleibt.

Unter dem Begriff „Apotemnophilie“ machte spätestens die berühmte BBC-Doku von 2000 dieses Leiden bekannt.
Zwei Fälle in Schottland haben eine Diskussion darüber ausgelöst, wie weit Selbstbestimmung gehen darf. Der Arzt Robert Smith aus Filkirk hatte 1997 und 1999 zwei Männern ihre gesunden Beine amputiert, einer der beiden war Deutscher.

Inzwischen wird statt des Begriffs „Apotemnophilie“, Body Integrity Identity Disorder, Kurzform BIID gesagt.
Menschen mit BIID haben den überwältigenden Wunsch sich Gliedmaßen zu amputieren, oder einen der Sinne, bzw die Beweglichkeit (Durchtrennung der Rückgrats) zu verlieren.
Offensichtlich empfinden sie sich selbst als so deutlich erblindet, querschnittsgelähmt, oder einbeinig, daß sie den tatsächlichen (vollständigen) Körper nicht ertragen können.


Einige gar nicht gesundheitsgefährdende Praktiken sind willkürlich verboten.

So dürfen zum Beispiel zwei (über 18-Jährige) Brüder, genauso wie zwei Schwestern miteinander Sex haben.
Nicht erlaubt ist aber Sex zwischen Schwester und Bruder.

Dahinter steckt neben altmodischen Moralvorstellungen die Sorge um den Nachwuchs, der ein höheres Erbkrankheitsrisiko hat.
Aber was ist mit einem Geschwisterpaar jenseits der Menopause? Oder mit einer sterilisierten Person, oder einem Hetero-Geschwisterpaar, das ausschließlich Analverkehr betreiben möchte?

Sie sind tatsächlich in ihren Freiheiten in Relation zu den homosexuellen Geschwistern benachteiligt.

Bei den offensichtlich willkürlichen genehmigten Methoden und Praktiken verwirrt darüber hinaus, daß sich diese Grenzen gelegentlich verschieben.

Sex zwischen zwei Männern ist jetzt straffrei; wurde einst schwer bestraft.

Bis gestern war passive Sterbehilfe nicht erlaubt.
Die Patientenverfügung hat nicht die juristische Durchschlagskraft, daß ein sterbewilliger Komapateint an der Beatmungsmaschine erlöst werden konnte.
Kein Arzt durfte das legal tun.
(Natürlich „tut man“ das dennoch im Krankenhaus - es gibt genügend verschleiernde Methoden. Ein „aus Versehen“ in einer kalten Nacht offen gelassenes Fenster neben einem Intensivpatienten kann schnell eine Lungenentzündung auslösen, die dann den letzten Rest gibt.)

Das BGH ist gestern bei seiner Grundsatzentscheidung weiter gegangen als man dachte - hat sich aber natürlich nicht getraut Sterbehilfe einfach zu erlauben.
„Aktiv“ ist gar nichts möglich und „passiv“ gibt es auch Grauzonen.

Wer nur noch von der Magensonde ernährt wird und dies aber vorher schriftlich ausdrücklich abgelehnt hatte, darf darauf hoffen, daß man ihm die Sonde entfernt.
Der Tod kommt dann durch Verhungern und ist erlaubt.
Nicht erlaubt ist der humanere Weg - beispielsweise Morphium letal zu dosieren.
Ein bißchen Quälerei hätten die Richter schon gerne noch.

Wenn man eine sehr schwere Krankheit hat; das eigene Leben nur noch an lebenserhaltenen Maßnahmen hängt, dürfen diese nur aufgrund einer Patientenverfügung eingestellt werden, wenn die Krankheit irreversibel ist.
Wenn man also ohnehin sterben würde, kann das Leiden verkürzt werden.
Bei nicht tödlichen Krankheiten muß man sich allerdings gefallen lassen gegen den eigenen Willen an der Beatmungsmaschine zu hängen.

Die BGH-Richter setzen also voraus, daß eine medizinische Unterscheidung zwischen irreversibel tödlich verlaufender Krankheit und möglicherweise reversibel verlaufender Krankheit zu treffen ist.

In der Praxis mit all den multimorbiden Patienten ist das natürlich großer Unfug, wie ich leider aus eigener bitterer Erfahrung weiß.


„Staatlich erlaubt“ bedeutet nicht - um das Chaos perfekt zu machen - „für jeden erlaubt“.

Ich darf beispielsweise nicht aus niederen Motiven ein Wirbeltier töten.
Hühnerzüchter dürfen das aber schon.
Es lohnt sich für sie aus rein finanziellen Erwägungen nicht männliche Küken groß zu ziehen; es ist sogar zu teuer frühzeitig das Geschlecht zu bestimmen.
Also werden jedes Jahr Millionen Hahn-Küken „geschreddert“.
Unfassbare 40 Millionen Hahn-Küken werden pro Jahr in Deutschland „vernichtet“ – insgesamt sind es in Europa jährlich sogar 300 Millionen.
Und weil es so häßlich klingt, haben wir dafür einen ganz besonders perfiden Euphemismus; Hähne kommen lebendig in den »Homogenisator«, einer Maschine mit rotierenden Messern, die sie zu Brei zermatscht. Die Hahnenküken sind für die Brütereien schlicht Abfall – diejenigen, die dem „Homogenisator“ entgehen, werden mit Kohlendioxid vergast.

Nach dem Tierschutzgesetz ist das illegal - aber da alle so gerne billiges Huhn fressen, werden alle Hühneraugen zugedrückt.

Ähnliche Grauzonen gibt es bei der Bewertung von tierischem Leben in der Pharma- und Kosmetikforschung.

Wie eingangs gesagt, darf ich keine Eimer mit Giftmüll rauswerfen.
Ich darf auch nicht runter zum Fleet gehen und da Chemikalien einleiten.

Andere dürfen das schon.
Die RWE, EnBW, E.on und Vattenfall-Herren beispielsweise haben nicht den geringsten Schimmer wo sie mit ihrem Myriaden Jahre tödlich strahlendem Müll abbleiben sollen.
Aber ihre Freundin Merkel läßt sie dennoch machen.

Atomkraftwerke dürfen auch Flüsse mit ihrem Kühlwasser soweit aufheizen, daß die Fauna abstirbt, während ich keinesfalls die Alster aufkochen darf, um zu sehen, wie die Schwäne verenden.

Die besten Sonderregelungen haben aber die sogenannten „Tendenzbetriebe“ wie die CDU, oder die Römisch-Katholische Kirche.
Sie unterliegen nicht normalem Arbeitsrecht und können sich allerlei rausnehmen.

Verkündungsnah arbeiten, menschenfeindlich bezahlen.

Das ist die Zauberregel. Wenn ein Kindergarten katholisch ist, kann man die Kindergärtnerin untertariflich bezahlen und sogar feuern, weil sie sich scheiden läßt, konvertiert, oder womöglich lesbisch wird.

Diese kirchlichen Extrawürste zuungunsten der Beschäftigten sind keineswegs nur gewohnheitsmäßig akzeptiert sondern immer wieder juristisch determiniert:

Kindergärtner und Sozialarbeiter im Dienst der Kirche haben außerdem weitreichende Loyalitätspflichten: Sie müssen die christlichen Glaubensgrundsätze auch in ihrem Privatleben beachten. Andernfalls droht ihnen die Entlassung. "Ein Kirchenaustritt zum Beispiel ist ein Kündigungsgrund", sagt Prof. Ulrich Hammer, Arbeitsrechtler aus Hildesheim. Er verweist auf ein Urteil des Landesarbeitsgerichts Rheinland-Pfalz in Mainz (Az.: 7 Sa 250/08).
Darin erklärten die Richter es für zulässig, dass ein kirchliches Altenheim eine Pflegerin entlassen darf, wenn sie aus der Kirche austritt. Dies stehe weder im Widerspruch zur Glaubensfreiheit, noch verstoße es gegen das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz. Die Kirchen hätten vielmehr das Recht, von Mitarbeitern "ein loyales und aufrichtiges Verhalten" im Sinne ihres eigenen Selbstverständnisses zu verlangen. Ärzte in einem Krankenhaus der Caritas oder der Diakonie riskierten außerdem ihren Job, wenn sie sich öffentlich für Abtreibungen aussprechen, ergänzt Kirchenrechtsexperte Hammer. Im Streit um dieses Thema hatte das Bundesverfassungsgericht 1985 im Sinne der Kirche entschieden (Az.: 2 BvR 1703/83).
Seitdem folgen auch die Arbeitsgerichte dieser Linie. "Das wäre also auch heute noch ein Grund für eine Entlassung", sagt Hammer. Denn Ärzte seien als Autoritätspersonen zu den "verkündungsnahen" Personen zu zählen. Letztlich müsse sich aber selbst der Pförtner oder Archivar einer kirchlichen Einrichtung mit solchen Äußerungen vorsehen. "Er kann sich zumindest nicht sicher sein, dass es ihm keinen Ärger bringt." Auch erneut zu heiraten, kann kirchlich Beschäftigten den Job kosten, wie das Bundesarbeitsgericht 2004 entschieden hat. In dem Fall war die zweite Ehe eines katholischen Kirchenmusikers erst nach seiner Einstellung bekanntgeworden. Prompt wurde ihm gekündigt - zu Recht, wie die Richter urteilten. Denn nach den Regeln der Kirche sei es ein schwerwiegender Verstoß, eine Ehe einzugehen, die nach dem Verständnis der Kirche ungültig ist (Az.: 2 AZR 447/03).
(SZ)

Es gibt also kein gleiches Recht für alle und es gibt auch kein vernünftiges Recht.

Freitag, 25. Juni 2010

Équipe Cornichon…



(dt: „Gurkentruppe“ - vulgo: Bundesregierung)

Vor ein paar Tagen sah ich einen Vertreter einer sehr seltenen Spezies im deutschen Fernsehen:
Hugo Müller-Vogg, der Ex-FAZ-Herausgeber mit Rechtsdrall und Rotzbremse, der nun in der BILD-Zeitung kolumniert.
Er glaubt immer noch daran, daß Schwarz-Gelb eine schöne Sache ist.
Nach gelungener Bundespräsidentenwahl* KÖNNTE sich das Merkel-Westerwelle-Kabinett rappeln und neu durchstarten.



*(Titanic-Titel Juli 2010: „Merkels Krisen-Rezept: Jetzt wird ein KNÖDEL Präsident“)

Ob Müller-Voggs vage Vorhersage eintreffen wird, wird sich zeigen.
Allein, mir fehlt der Glaube.
Beim „ultimate fightclub“ (FDP gegen CSU) hat heute Black Haderthauer (nomen et omen) ordentlich zugehauen.
Was Guidos Trümmertruppe nun wieder beim Elterngeld plane, regt die rechte Rüplerin richtig auf.

Die Liberalen betrieben Familienpolitik nach dem Motto "Für die Armen Gutscheine, für den Rest gar nichts". Dies sei "ein weiterer Beweis dafür, dass die FDP inhaltlich konzeptlos herumschlingert zwischen Klientelpolitik für Superreiche und sozialistischer Familienpolitik à la Pinochet", fügte die CSU-Politikerin in Anspielung auf den früheren chilenischen Diktator Augusto Pinochet hinzu. Für Bürgerliche sei es "ein verheerendes Signal, dass Familien, die nicht im Sozialleistungsbezug sind, nichts wert sind".
FDP-Generalsekretär Christian Lindner entgegnete, die Äußerungen Haderthauers zeigten "beklagenswert wenig Stilbewusstsein und Kooperationsbereitschaft. Es ist eine Unart, auf Vorschläge in der Sache immer gleich rabiat und persönlich zu antworten." Der FDP-Sozialexperte Pascal Kober forderte eine Entschuldigung von Haderthauer. Ein Vergleich mit der Familienpolitik unter Pinochets Militärregime sei unerhört und verhöhne dessen Opfer.
(Sueddeutsche.de)

Na bitte - immerhin wird man gut unterhalten von den Comedians in der Berliner Waschmaschine.

Unglücklicherweise trifft die Équipe Cornichon zwischendurch auch ernsthafte Entscheidungen und die sind durchweg unkomisch.
Sparpaket und „Wachstumsbeschleunigungsgesetz“ sind solche schädlichen Taten.

Aktuell steht eine Atom-Entscheidung an.
Unnötig zu erwähnen, daß die einzig vernünftige Lösung - ATOMAUSSTIEG - nicht von Merkels Kasperverein erwogen wird.
Ebenfalls selbstverständlich, daß sich die drei K.O.alitionäre auch in dieser causa gegenseitig auf die Füße treten und ein heilloses Chaos angerichtet haben.

In den Verhandlungen mit der Atomindustrie ist die Bundesregierung planlos und zerstritten.
(Markus Balser, SZ)

Von einer energiepolitischen Konzeption hat man sich völlig verabscheidet.
Entscheiden wird nichts, Laufzeits-Zahlen werden nicht genannt.
Einzig die kurzfristige Hilfe beim Stopfen der Haushaltslöcher interessiert noch.

Die Brennelemente-Steuer ist damit auch ein sang- und klangloser Abschied vom großen Wurf in der Energiepolitik. Über die Zukunft der Atomkraft wird in Deutschland nicht im Sinne eines richtungsweisenden Zukunftskonzepts entschieden. Es geht nicht mehr um eine neue Politik und um den Übergang ins Zeitalter der Wind- und Solarenergie. Es geht um den nächsten Haushalt. Die Koalition verabschiedet damit, nachdem bereits das Ziel von Steuersenkungen aufgegeben wurde, ein weiteres Prestigeprojekt. Die scharfen Debatten in der schwarz-gelben Koalition haben gezeigt: Angela Merkel hat die Sprengkraft des Atomstreits unterschätzt. Und sie tut es noch.
(Markus Balser)

Der SZ-Mann Balser hat schon Recht - aber ich möchte den Verteilungsaspekt erwähnen.

Nach dem Willen von Brüderle und Co werden viele Milliarden Euro aus den Taschen der Bürger in die Kassen der vier Energie-Oligopolisten gespült, von denen dann wiederrum circa ein Drittel als neue Steuer an Schäuble fließen soll.

Und die sogenannte Brennelemente-Steuer ist keine Belastung, sondern Teil eines für die Atomindustrie günstigen Deals: Wenn es zur Laufzeitverlängerung für Atomkraftwerke kommt, profitiert die Industrie mit mindestens sechs Milliarden Euro pro Laufjahr - und gibt davon dann zwei an den Staat ab.
(Prantl über das Sparpaket)

Unterm Strich wollen Schwarz und Gelb den unverantwortlichen Mauschlern bei Vattenfall für ihre Glanzleistungen à la Pannenmeiler Krümmel vier Milliarden Euro jährlich zuschustern.

Das ist den Chefs von EnBW, E.on, Vattenfall und RWE aber noch zu wenig.
Sie hätten gerne ein noch günstigeres Gesetz.
Merkel empfängt stehenden Fußes und buckelnden Rückens im Kanzleramt.

Die vier können tun was sie wollen - Merkels Tür steht ihnen immer offen.

Davon können Millionen von Hartz’IV’lern nur träumen.

Möglicherweise gefällt ihnen ja auch das ein oder andere Gesetz nicht.
Aber sie werden nicht sofort im Kanzleramt empfangen.
Ihnen bleibt nur zuhause das Schauspiel der Équipe Cornichon als die Lachnummer aufzunehmen, die sie ist.

Donnerstag, 24. Juni 2010

Is ja alles supergut, ne?

Die Regierung vermasselt jetzt sogar die guten Nachrichten“
staunt heute die Süddeutsche Zeitung auf Seite 1.

Gute Nachrichten. Gute Nachrichten?

Was ist denn damit gemeint, fragte ich mich irritiert?
Welche aktuellen Geschehnisse sind denn gut? Gaza-Krise, Kirgisistan, G20-Gipfel, Mega-Ölpest im Golf von Mexico?
Das kann alles offensichtlich nicht gemeint gewesen sein - denn da wird es nur schlimmer und schlimmer.
Was haben wir denn noch für Nachrichten?

Daß es in Deutschland bei der Bildung so ungerecht zugeht wie in keinem anderen Land der Erde, weil Akademikerkinder eine 500% höhere Chance haben Abitur zu machen?
Am drastischsten ist die Benachteiligung Armer in den Schulwunderländern im Süden:
In Bayern sind für die Chancen für ein Arbeiterkind die Hochschulreife zu erlangen 6,6 Mal geringer als die eines Kindes wohlhabender Akademiker.
Das war das neueste Ergebnis der OECD-Pisa-Studie.
Der Befund wurde erstmals vor zehn Jahren erstellt; seit dem ununterbrochen bei internationalen Studien bestätigt und verbessert hat sich rein gar nichts. Zehn Jahre Stillstand in Deutschland, zehn Jahre Pochen der überwiegend CDU-geführten Bundesländer auf Bildungsautonomie und Frühselektion.
Bei dem Thema gibt es nicht Gutes, das die Bundesregierung versauen könnte.

Mal bei Spon gucken. Ah, da lesen wir als Toppmeldung einen Text von Barbara Hans - nach dem Unicef-Jahresbericht 2010 nimmt die Kinderarmut weltweit dramatisch zu:

Für Banken gab es den Rettungsschirm, für Autokonzerne die Abwrackprämie. Doch wer kümmert sich in der globalen Rezession um die Armen? Kaum jemand, sagt Unicef. Vor allem Kinder zählen zu den Verlierern der Krise - dabei wäre Hilfe einfach und effektiv. Es war das Wort des Jahres 2009: Die "Abwrackprämie", die doch eigentlich Umweltprämie hieß, sollte die Konjunktur ankurbeln. 2500 Euro konnte einstreichen, wer sein altes Auto zum Schrotthändler brachte und in einen Neu- oder Jahreswagen investierte. Rund fünf Milliarden Euro stellte der Bund insgesamt für die Maßnahme zur Verfügung. Sie sollte dabei helfen, die Folgen der Finanzkrise abzufedern und die Automobilindustrie vor dem Schlimmsten zu bewahren. Das war die eine Seite der Krise.

Überraschend ist das nicht, daß sich die Deutschen mit Milliardenaufwand um Altautos kümmern, aber kein Geld für die 30.000 jeden Tag verhungernden Kinder aufbringen können.

Gerade hat Dirk Niebel verkündet, daß wir die zugesagten Mittel für die Entwicklungshilfe nicht aufbringen werden.
Das ist vielleicht schön für die Koalitionshaushälter und die Partei der Besserverdienenden, aber nichts, das man grundsätzlich als „gute Nachricht“ ansehen könnte.

Nein, nein, was der eingangs zitierte Nico Fried mit den positiven Entwicklungen meinte, ist die etwas weniger extrem ausfallende Neuverschuldung des Bundes.

Nicht, daß wir uns falsch verstehen - Zinszahlungen an Banken sind immer noch der zweitgrößte Haushaltsposten und wir nehmen nicht nur wieder jede Menge NEUE Schulden auf - sondern sogar REKORD-Schulden.
So viel wie nie zuvor in der Geschichte.

Die Kanzlerin findet es sensationell, daß die Krise nun vorbei sei. Schäuble stimmt ein: Die Krise sei überwunden.
Aha?
Kaum ist dieser Optimismus in der Welt, kassiert ihn sofort der offizielle Regierungssprecher Wilhelm: Nein, Schäuble habe nur „die Stimmung aufhellen wollen“.
So wirklich sei die Krise nicht zu Ende - außerdem fürchte man den Double Dip.

Wir wissen also nichts - außer, daß wir immer noch so viele neue Schulden machen wie nie zuvor.
In das Brüderle-Denkschema übertragen heißt das: Na locker - also haben wir wieder reichlich Kohle übrig und können endlich mal wieder unser reiches Klientel entlasten.

Steuersenkungensteuersenkungensteuersenkungensteuersenkungen.

Der Plan hat ja bisher auch schon so toll geklappt.

Nicht nur die Opposition ist fassungslos ob so viel Dummdreistheit.

Von 2011 bis 2014 wird der Bund auch jetzt noch kumuliert etwa 150 Milliarden Euro an neuen Krediten zur Finanzierung des Bundeshaushaltes aufnehmen muessen. Vor diesem Hintergrund auf den Gedanken zu kommen, jetzt sei doch finanzieller Spielraum fuer Steuersenkungen noch in dieser Legislaturperiode, ist hanebuechen - auch wenn der Konsolidierungsbedarf bis 2016 nach der neuen Schuldenregel ("Schuldenbremse") jetzt etwas geringer sein mag.
Die Steuersenker aus FDP und CDU spielen wieder verrueckt und tanzen Frau Merkel und Herrn Schaeuble wieder auf der Nase herum. In einer Situation, in der wir zum Beispiel dringend mehr Mittel im Bildungsbereich brauchen, die nachhaltig finanziert werden muessen, darf kein Geld fuer im Moment unnoetige und im Ergebnis eher geringe Steuersenkungen verplempert werden.
(Der stellvertretende Vorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion Joachim Poss)


Bundeswirtschaftsminister Brüderle kämpft weiterhin gegen die Realität. Trotz einer absoluten Rekordverschuldung im Bundeshaushalt hält der Minister an der Forderung nach Steuersenkungen fest. Die Regierung hat trotz aller Luftbuchungen mit ihren Sparvorschlägen bisher noch nicht einmal die Hälfte der Sparsumme erreicht, die für eine grundgesetzkonforme Ausgestaltung des Bundeshaushalts bis 2016 benötigt wird. Statt endlich vernünftige Vorschläge zum Abbau von Subventionen, auch im eigenen Etat, zu machen, setzt Brüderle blind auf weitere Verschuldung.
Kluge Haushaltskonsolidierung sowie Investitionen in Bildung und Forschung sowie für Klimaschutz und soziale Teilhabe eine echte Zukunftsrendite. Steuersenkungen wie sie Brüderle fordert, zerstören mittelfristig die Basis unserer Volkswirtschaft.
(Alexander Bonde, Sprecher für Haushaltspolitik der Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen)

Noch mal zur Erinnerung:

FDP und CSU haben dafür gesorgt, daß Hoteliers wie Baron von Finck, dessen Familie die Mövenpick-Hotelkette gehört und der zur Bundestagswahl 1,1 Millionen Euro der FDP spendete, rund eine Milliarde aus der Staatskasse geschenkt bekommen.

Eine Maßnahme, die nicht nur sozialpolitisch unverantwortlich ist, sondern das System erneut verkompliziert, indem eine weiter Ausnahmeregelung geschaffen wird.

Und woher kommt diese Milliarde?

Bei Schäuble in der Schublade liegt sie nicht - denn dann müßten wir nicht neue Schulden auftürmen.
200 Millionen kommen aber durch die Abschaffung des Übergangsgeldes von Arbeitslosen zu Hartz IV rein. 400 Millionen bringt die Einsparung des Elterngeldes bei HartzIV-Empfängern, 100 Millionen das Streichen des Heizkostenzuschusses für Wohngeldempfänger und noch mal 200 Millionen bringen Einschränkungen des Elterngeldes.

Wer den Gürtel hier enger schnallt, ist also klar.
Es ist auch klar, wer davon profitiert.
Und es ist klar, wie das demoskopisch beim Wahlvolk ankommt.

Brüderle Leichtfuß will nun weiter in dieser Richtung vorgehen.
Allerdings pfeift ihn die Kanzlerin derzeit zurück und findet, daß wir immer noch sparen sollten.
Wir kennen das ja schon - inmitten der schwersten Wirtschaftskrise sind sich Kanzlerin und Wirtschaftsminister spinnefeind - einer wiederspricht dem anderen.
Man setzt sich nach Strickmuster durch. Eine rechts, eine links, den Bürger fallen lassen.
Merkel siegte über Brüderle bei der causa „wer vertritt Schäuble in Brüssel“. Daher gewann er anschließend die Opelfrage und nun ist sie wieder dran.

Was für ein Chaotenhaufen.

Ich überlege immer wie es angehen kann, daß Schwarzgelb überhaupt noch Anhänger hat.

Wieso liegen sie zusammen bei 35 % und nicht bei 0%?

Möglicherweise gibt es hier einen Zusammenhang mit einer anderen Meldung des Tages:

Etwa jeder siebte Deutsche zwischen 18 und 64 Jahren hat ein Alkoholproblem.
Wie die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung am Donnerstag in Köln mitteilte, konsumieren insgesamt 9,5 Millionen Bundesbürger der betroffenen Altersgruppe Alkohol "in einer gesundheitlich riskanten Menge".

(RP online)

Ein Siebtel also. Hm, das sind umgerechnet 14,3 %.

Fällt nur mir auf, daß das ziemlich genau das FDP-Wahlergebnis der letzten Bundestagswahl ist?

Mittwoch, 23. Juni 2010

Das nervt jetzt aber echt!

Joachim Gauck macht so viel Wahlkampf, daß heute sogar ein Radfahrer buchstäblich unter seine Räder kam.

Die Feuilletonisten-Gnuherde ist unterdessen in den reißenden Meinungsbach gesprungen und trampelt die CDU-Krokodile einfach nieder.
Gauck ist super, Gauck ist toll, hallt es mir aus allen Zeitungen entgegen.

Gestern zelebrierte der allgemeine Wunsch-Gauck sein Bewerbungshochamt in Berlin.
Kritik gibt es nur noch von wenigen stramm CDU-treuen Organen, die meinen, daß Gauck inhaltlich nicht so viel Neues sage. 90 % der Schreiberlinge sind sich einig: „We want Gauck for president!“

Präsidentschaftskandidat Joachim Gauck hält im Deutschen Theater eine anrührende Rede. Mit jedem seiner Sätze wird unverständlicher, warum die schwarz-gelbe Koalition unbedingt an einem eigenen Kandidaten festhält.
[…] Mal ist Gauck links, mal konservativ, mal Mitte, mal grün, mal gelb. Er eckt bei allen an und doch können sich alle mit ihm identifizieren. Immer aber vertritt er einen festen Standpunkt, der Debatten zulässt und Nachdenklichkeit erzeugt. Da erscheint es immer seltsamer, dass Union und FDP lieber einen Kandidaten in die Wahl schicken, der so offensichtlich aus parteitaktischen Gründen auserkoren wurde, als Joachim Gauck zu unterstützen. Nach diesem Vormittag im Deutschen Theater jedenfalls ist ein besserer Präsidentschaftsbewerber kaum vorstellbar.
(Thorsten Denkler)

Gauck-Festspiel in Berlin. Der rot-grüne Präsidentschaftskandidat hält im Deutschen Theater eine Vorstellungsrede. Netzaktivisten, Kurt Biedenkopf und andere Polit-Promis sind entzückt. Claudia Roth ist ganz aus dem Häuschen. "Mann war der gut", die Parteichefin der Grünen strahlt noch mehr als sonst. Mit ausgebreiteten Armen steht sie auf dem Vorplatz des Deutschen Theaters in Berlin und umarmt jeden, den sie zu fassen bekommt. "Der andere" tue ihr jetzt schon leid, sagt Roth. Damit meint sie Christan Wulff, den Kandidaten von CDU und FDP. Der Favorit aus Niedersachsen könne seinem Herausforderer aus Rostock rhetorisch nie und nimmer das Wasser reichen. Die übrigen Zuhörer im Berliner Theater denken ähnlich.
(Michael Schlieben)

Präsident der Herzen hält Hof. Wer hätte das gedacht? Der rot-grüne Anti-Wulff Joachim Gauck ist ein Popstar, Bundespräsident der Herzen, mindestens. Nun hat er im Deutschen Theater zu Berlin Hof gehalten. […] Gauck gilt als begnadeter Rhetoriker - sein Talent stellte er auch hier wieder unter Beweis, bei seinem einzigen öffentlichen Auftritt vor der Präsidentenwahl.
(Adrian Pickshaus)

Die Gauck-Hofberichterstatter haben sich regelrecht hochgegauckelt; allen erscheint der Pfarrer aus Rostock im Rentenalter als Erlöser, als eierlegende Wolfsmilchsau der Politik.

Offensichtlich überkompensieren hier einige Damen und Herren der schreibenden Zunft ihr schlechtes Gewissen, daß sie einst so massiv Wahlwerbung für Guido und Angie betrieben.

Schwarz/Gelb ist allerdings auch tatsächlich im Pech.
Sie stecken einerseits im Demoskopie-Tal und andererseits ist der CDU-Gegenkandidat, Pro-Christ-Christian Wulff ein so klassisch-farbloser Apparatschik, daß neben ihm selbst ein graues Faultier wie eine schillernde Persönlichkeit wirkt.

In der Bewertung des Niedersachsen-MP’s herrscht ebenfalle große Einigkeit.
Das einzig Auffällige, das Wulff in den letzten 30 Jahren als aktiver CDU-Politiker geleistet hat, ist seine konsequente Unauffälligkeit.
Er ist politisch eine echte Null, ein thematischer Totalausfall, der das erste mal überhaupt bemerkt wurde, als er, der strenggläubige Christ, seine Frau aus dem Haus jagte und in BUNTE und BILD ausführlich seine zweite Hochzeit inszenierte.

Der Typ wird nun also der nächste Bundespräsident.

Dazu sage ich: So what?

Bundespräsidenten sind wie Pfingsten - es gibt sie, man freut sich möglicherweise über einen Feiertag, aber für 90 % der Bevölkerung reicht das Interesse nicht so weit, um auch nur eine Ahnung zu haben, welche Entstehungsgeschichte es dazu gibt.

(Glückliche Tammox-Leser - immerhin Pfingsten habe ich schon einmal genau erklärt)

Seit ich in der Schule, in einer GMK-Stunde, einst miterlebte, daß niemand die Frage „wer wählt den Bundespräsidenten?“ beantworten konnte, stelle ich die Frage zu Testzwecken immer mal wieder.
Keiner weiß das - wenn nicht gerade zufällig eine Wahl ansteht und daher ausnahmsweise von den Mehrheitsverhältnissen in der Bundesversammlung berichtet wurde.
So wie es auch in jeder besseren Zeitung, jedes Jahr zu Pfingsten den kleinen Kasten mit der Hintergrund-Info über die Ausgießung des Heiligen Geistes gibt.

Das wird an dem Wochenende kurz wahrgenommen und sofort wieder verdrängt.

Ich behaupte, daß der Bundespräsident im Normalfall irrelevant ist. Für den Plebs ist das völlig uninteressant.
Macht hat das Staatsoberhaupt ohnehin nicht.
Wenn er ein guter Redner ist, kann er sich aber Gehör verschaffen.

Nur, was heißt das schon?
Bruder Johannes, also Hobby-Prediger Rau, wurde aus drei Gründen Präsident:
Er wollte gerne, SPD und Grüne hatten zufällig gerade die Mehrheit in der Bundesversammlung und außerdem sollte Clement endlich NRW-MP werden. Die Stelle hätte Rau aber womöglich noch ewig besetzt, wenn er nicht hochgelobt worden wäre.

Rau galt als sympathisch, aber irgendwie auch langweilig.
Es ist bezeichnend, daß ausgerechnet er die inhaltlich besten Präsidenten-Reden hielt.
Reden, die thematisch konkret und fordernd waren.
Er ist nur nie durchgedrungen. Denn niemand nimmt einen Bundespräsidenten ernst.

Richard von Weizsäcker, der sich in dem Ruhm sonnen kann, allgemein als der beste Bundespräsident ever zu gelten, ist deswegen aufgefallen, weil seine berühmte 8. Mai-Rede das Deutsche Trauma-Thema hatte, das automatisch für Aufmerksamkeit sorgte.

Ja, er hat das Richtige gesagt.
Das fiel aber deswegen so stark auf, weil andere Wichtige zu der Zeit - Jenninger und Kohl beispielsweise - bei dem Thema so sagenhaft schlecht redeten.
Im Antagonismus zu Kohl wurde Weizsäcker berühmt - jeder wußte, daß Kohl rasend eifersüchtig auf Weizsäckers Zustimmungswerte war.
Daher wollte er ihm keinesfalls eine zweite Amtszeit gönnen.
Die SPD nutzte das damals zu einer netten kleinen parteipolitischen Intrige aus, indem SIE zuerst Weizsäcker zur Wiederwahl vorschlug und damit Kohl matt setze - wie könnte er sich dann noch gegen einen CDU-Mann aussprechen?
Weizsäcker konnte im Ausland bei Königs einen guten Eindruck machen - gewiss, aber ist das nicht eine Mindestvoraussetzung für den Job?

In Zeiten, in denen Polit-Vuvuzela Westerwelle Deutschlands oberster Diplomat werden konnte, offenbar nicht mehr.

Bundespräsidenten im Pressespiegel - da herrscht eine solche Einigkeit, daß ich schon deswegen misstrauisch werde:
Wir hatten angeblich immer so ein Glück mit den Staatschefs - bis auf Lübke, aber wie man jetzt weiß, war der eben neurologisch krank.
Ich kann mich da nicht anschließen.

Für Papa Heuß bin ich zu jung - außerdem denke ich, daß direkt nach dem Krieg andere Maßstäbe galten.
Über Lübke breiten wir mal dezent den Mantel des Schweigens - aber dann kam nur noch Heinemann, der wirklich gut war.
Was ist denn überhaupt von Carstens, Scheel und Herzog in Erinnerung?
Einer wanderte, einer sang und der Dritte hat mal was von einem „Ruck“ geplappert.
Auch so eine Rede, ohne die allergeringste Nachwirkung.
Die „Ruck-Rede“ ist dabei das klassische Beispiel für den großen Graben zwischen VERöffentlichter Meinung und öffentlicher Meinung.
Erstere war entzückt, letztere war vollkommen desinteressiert.

In Wahrheit ist der Bundespräsident tatsächlich nur ein freundlicher Grüßonkel, der wie ein oberster Saaldiener ab und an mal ein paar Urkunden ausstellt und im Ausland als Pomp-Mann eingesetzt wird, wenn man mal wieder ein anderes Land bummfiedeln muß, aber die Regierung selbst keine Zeit oder keine Lust hat, sich dorthin zu bequemen.

Die Unter-30-Jährigen wissen mehrheitlich noch nicht mal, wie der Bundespräsident heißt, geschweige denn, welche Aufgaben er hat.
Köhler, die Inkarnation der sprachlichen Verwirrung, okkupierte nun sinnlose sechs Jahre den Amtssitz.
Auch das war irrelevant für Deutschland.
Mit einem Wulff an seiner Stelle wird sich nichts ändern.

Das einzig Interessante an der Causa Bundespräsidentenwahl ist meiner Ansicht nach die Erkenntnis, daß sich Angela Merkel; die angeblich so meisterhafte Machttaktikerin, schon wieder in eine klassische NoWin-Situation manövriert hat.

Geradezu tumb ist sie in Trittins und Gabriels Falle getappt.
Wir erinnern uns, daß der SPD-Chef die Kanzlerin zwei Tage vor der Wulff-Nominierung per SMS auf Gauck hingewiesen hatte, ihr sogar versprach Gauck auch dann zu unterstützen, wenn sie, Merkel, ihn als ihren Kandidaten und ihre Idee ausgäbe.
So abwegig war der Vorschlag nun nicht.
Merkel findet ihn ohnehin toll und der Geck Gauck ist dermaßen eitel, daß er unumwunden erzählte, er hätte eigentlich eher erwartet von den bürgerlichen Parteien nominiert zu werden.
Der Mann findet es also absolut normal, daß die Parteien bei der Besetzung des allerhöchsten Staatsamtes bei ihm klingeln und betteln, daß er es macht.

Wieso ist Merkel nicht auf den Deal eingegangen?
Sie hätte einen PR-Erfolg erzielt und sich beim Volk endlich mal wieder als die überparteiliche und beliebte Präsidialkanzlerin inszenieren können.
Ein netter Nebeneffekt wäre gewesen die FDP zu disziplinieren - indem sie das sanfte Signal gegeben hätte auch mal wieder was mit den Sozen zustande zu bekommen.

Merkels Berater haben aber genauso versagt wie ihr Instinkt.
Offenbar hat sie nur bis zur Nasenspitze gedacht und sah da einerseits eine komfortable schwarz-gelbe Mehrheit, andererseits eine bequeme Möglichkeit die innerparteilichen Katholiken zu befrieden und auch noch den Rivalen Wulff wegzuloben.

Bekommen hat sie jetzt aber nur Ärger - sie zittert vor der FDP und mußte bereits beim Sparpaket aus Angst vor liberalen Gauck-Stimmen vor den FDP-Ministern kapitulieren.

Unversehens ist sie in babylonische Gefangenschaft geraten.
Zu groß wäre das Desaster für sie, wenn Wulff nicht durchkäme.

Die meisten Auguren sprechen sogar davon, daß Merkel schon unerträglichen Dampfdruck im CDU-Kessel bekäme, wenn sie Wulff erst im zweiten oder dritten Wahlgang durchbrächte.

Ich halte es - wie bereits ausgeführt - für fast unmöglich, daß Gauck gewählt wird.


Was ist also, wenn Wulff relativ glatt durchkommt?

Dann hat Merkel ebenfalls verloren - da sie damit nur ihre parteipolitische Abgehobenheit unter Beweis gestellt hätte.
Denn nun ist Gauck der Kandidat der Herzen - nahezu jeder findet ihn besser geeignet für das Amt.
Bringt Merkel also den offensichtlich schlechteren Kandidaten - aus rein parteitaktischem Kalkül durch - dürfte das ihrem öffentlichen Ansehen erheblich schaden - und das in einer Zeit, in der es ihr demoskopisch ohnehin so dreckig geht, wie nie.

Am 30. Juni wird ein Siegmar Gabriel in die Bundesversammlung gehen, der nur gewinnen kann - bei welchem Ergebnis auch immer.
Umgekehrt sieht es bei Merkel aus - sie verliert auf alle Fälle, egal welche Entscheidung getroffen wird.

Normalerweise vermeidet Merkel diese Nowin-Situation, aber offenbar ist ihr inzwischen alles entglitten.

Dienstag, 22. Juni 2010

Tu Quoque.

Bis auf die Linke waren sich im Bundestag alle Parteien einig über die Bewertung des Vorgehens gegen die "Gaza-Solidaritätsflotte".
DuDuDu Israel! Sowas tut man doch nicht. Seid mal lieb zu den Palästinensern. Aber andererseits verstehen wir Euch ja auch irgendwie - die „Sicherheit Israels“ muß Priorität haben.

Im Abgeordneten-Deutsch:

Wir fordern in einem interfraktionellen Antrag eine internationale Untersuchung des Einsatzes, die das Vorgehen beider Seiten, einschließlich möglicher Verbindungen einiger Organisatoren zur radikalislamischen Hamas und anderen radikalen islamistischen Organisationen, in den Blick nehmen soll.
Wir unterstützen die Forderung der Europäischen Union nach einer sofortigen Aufhebung der Gaza-Blockade. Gleichzeitig müssen Israels legitime Sicherheitsinteressen voll gewahrt werden.
Wir begrüßen die Ankündigung der israelischen Regierung, dass die Positivliste von Gütern, deren Einfuhr nach Gaza möglich ist, in eine Negativliste verbotener Güter wie Waffen und waffenfähiges Material umgewandelt wird.

(PRESSEMITTEILUNG der Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen. NR. 0726 vom 21. Juni 2010)


„Donnerschlach - das hat mich jetzt aber echt überzeugt!“ wird sich Avigdor Liebermann denken, sofort alle seine bisherigen Positionen über Bord werfen und den Eingeschlossenen in Gaza persönlich mit humanitären Hilfsgütern entgegen eilen.

Die Deutsche Nahost-Politik ist mal wieder geprägt von einem allgemeinen Zuständigkeitswahn, gepaart mit grenzenloser Naivität.
Psychologisch-historisch ist es gerade noch erklärlich, daß Deutsche sich besonders für Israel interessieren.
Ich halte viel von dem Satz „die Deutschen werden den Juden den Holocaust niemals verzeihen“.
Allein die Existenz Israels ist für Deutschland eine ständige Erinnerung daran, welches Jahrtausendverbrechen sie mit der Shoah angerichtet haben.
Da fühlt sich jeder Politiker latent doch ein bißchen schuldig für die Ursachen des Nahost-Konflikts.

Die Fokussierung auf Israel scheint mir aber ein weltweites Phänomen zu sein.

Wieso ist das eigentlich so?

Wer extrem ablehnend gegenüber der Israelischen Politik eingestellt ist und den Genozid-Vergleich anstellt (was ich KLAR ablehne!!!), sollte doch mal erklären, wieso sich das Interesse so sehr auf den kleinen Staat am östlichsten Teil des Mittelmeers konzentriert.

Sicher - da gibt es seltsame militärische Entscheidungen und kuriose Figuren in der Knesset - aber da könnte man locker ein Dutzend Staaten mit wesentlich abartigeren und brutaleren Regimen nennen.

Es stimmt doch nun einmal, daß zumindest Teile Israels ein Hort der Menschenrechte und Demokratie sind - verglichen mit allen Staaten im Umkreis.
Schwule, Lesben, Transen, Hippies, Goths, Nudisten, etc können frei, offen und unbehelligt in Tel Aviv leben - geschützt vom Staat Israel.
Das ist in sämtlichen anderen Nahost-Staaten weniger empfehlenswert.

Und, nein, Israel rottet nicht die Palästinenser aus.
Das ist kein Genozid.
Es schon schlimm genug und ungerecht genug, wie Palästinenser seit Dekaden zu leiden haben.
Ich hasse dümmliche historische Vergleiche!
Dennoch vergleiche - auf Umwegen - auch ich, wenn ich den Anhängern der Genozid-These vorwerfe, daß sie bei anderen, schlimmeren, Zuständen sämtliche Augen, inkl Hühneraugen, zukneifen.

Der persönlich hochsympathische aber wissenschaftlich umstrittene Historiker Daniel Goldhagen* stellte 2009 einen spektakulären body-count an - von Trumans Atombombenabwurf über Pol Pot bis Milosevic und Saddam Hussein.

Mindestens 130 Millionen Menschen, schreibt Goldhagen, wurden weltweit durch Genozid und politischen Massenmord im 20. und 21. Jahrhundert getötet. Das sind mehr Opfer als in konventionellen Kriegen. Daraus schließt der Autor: Völkermord ist schlimmer als Krieg. Und er fragt: Was sind die Bedingungen, die Motivationen und die Mittel von Völkermord und jener zugrunde liegenden Politik, die Goldhagen als "Eliminationismus" bezeichnet? Was treibt die Täter, was macht ganz gewöhnliche Menschen zu Massenmördern, und wie kann die internationale Staatengemeinschaft Genozide verhindern?
(Deutschlandfunk)

Was ist überhaupt genau ein Genozid?

Goldhagen:
Vieles von dem, was die Leute über den Völkermord sagen, rührt von theoretischen Annahmen her, die unserem Verständnis des Holocaust übergestülpt wurden. Es ist erstaunlich, dass diese Ideen überlebt haben – aller offenkundigen Evidenz zum Trotz. Nehmen Sie etwa den ehemaligen Uno-Generalsekretär Boutros-Ghali. Er sagte seinerzeit: Wir haben das, was in Ruanda geschah, nicht als Genozid wahrgenommen, weil wir dachten, man benötige moderne Technik und Gaskammern um einen Völkermord zu verüben. Dass er damit rechnen konnte, mit einer solchen Aussage davonzukommen, ist bezeichnend. In Wahrheit sind die meisten Menschen in unserer Epoche mit Methoden umgebracht worden, die lange vor dem 20. Jahrhundert entwickelt wurden: durch Aushungern, Kugeln, Knüppel, Macheten.

Nach dieser Definition gab es in der Tat seit der Shoah diverse Genozide - bis in die jüngste Vergangenheit.

Kaum wahrgenommen wurde die Ermordung von 200.000 Mayanachkommen 1982-84 in Guatemala. Täter waren (Christliche) Militärs des Diktators Efrain Ríos Montt, der dort bis heute als Abgeordneter im Parlament sitzt und hochgeachtet ist

900.000 Tutsi wurden 1994 von (Christlichen) Hutu ermordet. Weitgehend unter den Augen einer achselzuckenden Weltöffentlichkeit.

Laut unterschiedlichen Quellen sind allein in den 90er Jahren in Nordkorea 220.000 bis 3,5 Millionen Menschen verhungert.
(Amnesty International)

Erneute Hungerkatastrophen gab es 2003 und 2008 - womöglich wieder mit Myriaden Toten.

Mir ist nicht bekannt, daß internationale Friedensaktivisten wie Henning Mankell jemals mit Schiffen voller Hilfsgüter gen Nordkoreas Küsten gefahren sind.

Weltweit verhungern täglich mehrere Zehntausend Menschen.

Und im Süden Kirgisiens sind im Juni 2010 vermutlich über 10.000 Menschen massakriert worden - der Spiegelfechter spricht vom "Genozid in Zentralasien"

Schlußbemerkung:

Natürlich ist es dennoch sehr zu begrüßen, wenn sich Menschrechtsaktivisten für Palästinenser in Not einsetzen.
Zum Beispiel:



*Daniel Goldhagen: Schlimmer als Krieg: Wie Völkermord entsteht und wie er zu verhindern ist. Siedler Verlag 704 Seiten, 29,95 Euro

Montag, 21. Juni 2010

Alle Blogs einig - außer ich.

Unser Rambo-Minister Niebel, den zwar keiner leiden kann, insbesondere nicht, weil er ein Ministeramt besetzt, das er bis zur Wahl als höchst überflüssig ansah, abschaffen wollte und nun als Parkplatz für alte FDP-Kumpel zweckentfremdet, hat sich mit den bösen Israelis angelegt.

Nun muß man ihm also zähneknirschend zubilligen mal was Richtiges gemacht zu haben.
Ausgerechnet dieser Militarist Niebel, der Israel-Solidaritäts-Sticker auf seinem Aktenkoffer hat, ein Jahr im Kibbuz verlebte und Vizepräsident der Deutsch-Israelischen-Gesellschaft ist?

Was war denn da los?

Ist er plötzlich zur Vernunft gekommen?

Ich meine, nein! Niebel ist schlicht und ergreifend ein polternder Haudrauf, der eines Ministeramts nicht würdig ist.


Ganz offensichtlich hat er seine Israel-kritischen Äußerungen (die Blockade sei "kein Zeichen von Stärke, sondern eher ein Beleg unausgesprochener Angst", "Es ist für Israel fünf Minuten vor Zwölf",…) in einem Anfall von Furor getan und genau DAS ist eben grundsätzlich falsch für einen Minister auf Auslandsreise.

Da soll man sich gefälligst besonnen und wohlüberlegt ausdrücken.

Um keine Missverständnisse aufkommen zu lassen:

Ja, man darf und soll Israels Regierung kritisieren.

Es stimmt, gerade als Freund Israels ist man verpflichtet dem Verbündeten in den Arm zu fallen, wenn man ihn auf einem Holzweg wähnt.

Es mangelt in Nahost nicht gerade an Hysterie, Psychoterror, Phobien und Neurosen.

Das überträgt sich auch auf die Diskussion ÜBER Israel in ganz anderen Teilen der Welt.

Beispiel Deutschland: Ganz Linke, Schulter an Schulter mit den ganz Rechten und fast alle Blogs reagieren extrem hysterisch auf jede kritikwürdige Handlung der Israelischen Regierung, weil sie ihr ebenfalls Hysterie vorwerfen.

Ein paar wenige deutsche Meinungsmacher fühlen sich publizistisch derart umzingelt, daß sie gebetsmühlenhaft immer wieder die Pro-Israel-Argumente aufsagen:

1.) Gaza-Blockade - wieso klagt eigentlich niemand Ägypten an, das Gaza fast immer genauso abriegelt und ebenso wie Israel offenbar nichts mit dem im Elend vegetierenden Palästinensern zu tun haben will.

2.) Hamas - wieso geht eigentlich immer unter, daß von ihr tagtäglich Terror ausgeübt wird? „Die Israelis lassen generell keine ausländischen Politiker nach Gaza, um nicht die Hamas, die terroristische Organisation, die dort die Macht hat, aufzuwerten. Diese nutze solche Aktionen zu propagandistischen Zwecken und zur internationalen Aufwertung. Damit werde die Position der moderaten Palästinenser geschwächt. Die Hamas, deren Charta zur Vernichtung Israels aufruft, steht auf der Terrorliste der Europäischen Union. Wie man mit einem geschworenen Feind reden und Koexistenz, gar ein Friedensabkommen erzielen soll, darüber machen sich die Besserwisser und Gutmenschen dieser Welt keine Gedanken. Für sie ist Israel immer der Täter, und alle anderen sind Opfer.“ (Welt)

3.) Das Trauma Holocaust - wie könnte man es nicht verstehen, daß ein Volk, das einmal bereits fast ausgerottet wurde und seit 1000 Jahren Pogromen durch Christen überall in der Welt ausgesetzt war unter keinen Umständen zulassen will sich noch einmal ohne Gegenwehr abschlachten zu lassen?

Diese drei Punkte werden in Variationen immer wieder aufgesagt und sind echte Trigger der Israel-kritischen Ultrarechten und Ultralinken.

Das könne man nun wirklich nicht mehr hören.

Und dann folgt unweigerlich die Gegenrede von dem „Quasi-Völkermord“ an den Palästinensern, den desaströsen Israelischen Militäraktionen, der unverantwortlichen Siedlungspolitik, die die Hamas nur noch stärken, den grauenhaften Lebensbedingungen in Gaza, das Ignorieren von UN-Resolutionen, etc pp.

Das Schlimme ist, daß beide Positionen richtig sind.
Tu Quoque hilft nur leider gar nichts.
Raketen aus Gaza werden durch Raketen aus Israel nicht besser.
Tote Zivilisten auf der einen Seite sind nicht weniger inakzeptabel, als tote Zivilisten auf der anderen Seite.
Von „Schuld“ ist ebenfalls ganz sicher keine Seite mehr frei.

Am Allerwenigsten können wir in dieser Situation Kräfte gebrauchen, die noch Öl ins Feuer gießen.

Öl im Feuer sind zum einen die extrem Religiösen auf allen Seiten, die sich aufgrund IHRES Gottes zweifelsfrei im Recht sehen.

Öl im Feuer sind aber auch Hysteriker von Außen wie Dirk Niebel.

Ja sicher, die Israelische Blockade Gazas ist ganz großer Mist - aber sie ist auch eine Tatsache.

Nur selten werden Ausnahmen gemacht, wie bei der EU-Außenbeauftragten Catherine Ashton oder bei UN-Generalsekretär Ban Ki Moon. Doch das hat sich aus Israels Sicht nicht bewährt, weil die beiden nun kraft eigener Anschauung für ein Ende der desaströsen Blockadepolitik plädieren.
(Peter Münch)

Kann Niebel so verblödet sein zu glauben, daß für ihn andere Regeln gelten?
Er hat es tatsächlich geschafft die Fronten noch einmal zu verhärten - ähnlich wie Henning Mankell, der mit einem Höchstmaß an Naivität (unter Mithilfe ein schwer stümpernden Israelischen Armee) der Hamas einen riesigen Propaganda-Erfolg bescherte.

Warum macht Niebel sowas?

Eine Erklärung mag sein, dass Niebel - wie so mancher in der schwarz-gelben Regierung - noch nicht angekommen ist im neuen Amt. Wenn Westerwelle der ideale Oppositionsführer war, dann war Niebel der ideale Generalsekretär. Als Minister wird er lernen müssen, dass sich die internationale Bühne nicht für Raufereien eignet, wie sie zwischen FDP und CSU alltäglich geworden sind. Netanjahu ist nicht Seehofer.
(Jochen Gaugele)

Ist Niebel etwa der Ansicht, daß er der Erste ist, der sich um eine Entspannung in Nahost bemüht? Meint er es besser machen zu können, als Blair, Joschka Fischer, Bill Clinton etc pp?

Seit Samstag besucht er nun das palästinensische Autonomiegebiet Westjordanland und Israel - bekanntlich ein Terrain, das aufgrund der deutschen Geschichte dazu verpflichtet, alle Feinsensoren auf Höchstleistung zu trimmen. Für den ehemaligen FDP-Generalsekretär und Fallschirmjäger ohnehin kein leichtes Unterfangen, da er als Schnellplauderer gilt, der gern auch mal Fettnäpfchen mitnimmt.
[…] "Es ist für Israel fünf Minuten vor Zwölf", sagte Niebel. Israel sollte jetzt jede Chance nutzen, "um die Uhr noch anzuhalten". Was das nun wieder bedeuten soll? Und was ist, wenn es zwölf geworden ist? Genau das fragt sich auch der Generalsekretär des Zentralrats der Juden in Deutschland, Stephan Kramer, im Gespräch mit sueddeutsche.de. Kramer hält Niebels Aussagen für ein "durchsichtiges politisches Manöver, das lediglich dazu dienen soll, die schlechten Umfragewerte der FDP zu verbessern".
(Lars Langenau)

Hat Kramer etwa nicht Recht?
Jeder weiß doch, daß man im Moment von Israel aus nicht ohne weiteres nach Gaza kann.
Was rennt der Niebel also noch mal mit dem Kopf gegen die Wand und verhärtet die Positionen vor Ort?

WENN es denn stimmte, daß Niebel unbedingt den Gazastreifen besuchen wollte, dann hätte er schließlich problemlos einen kleinen Schlenker über Ägypten machen können.
Die Grenze in Rafah ist bekanntermaßen im Moment offen.
Das ist eine Helikopter-Strecke von ein paar Minuten.
Niebel lügt entweder, oder er ist selten dumm, wenn er sagt, daß das noch mehr diplomatisches Porzellan zerschlagen hätte.

Eine mögliche Einreise über Ägypten "wäre eine wirkliche Eskalation in den deutsch-israelischen Beziehungen gewesen, die ich für absolut indiskutabel halte", fügte er hinzu.
(Niebel im ARD- Morgenmagazin)

Ach ja?

Und was hat Niebel stattdessen erreicht - außer sich demoskopisch Liebkind zu machen?

Für Israels Sicherheit nichts und für die Lebensbedingungen der Palästinenser schon gar nicht.

Denen kann man nur helfen, wenn man Einfluß auf Israel hat und den hat Niebel soeben stark reduziert.

Sonntag, 20. Juni 2010

Psssst! Nichts der FDP verraten!

Manchmal scheint Gott echt Humor zu haben.

Da müht man sich Dekade um Dekade um Aufklärung, redet sich den Mund fusselig, schreibt sich die Finger wund, um den Menschen die Augen über Parasiten-Organisationen wie der Kirche oder der FDP zu öffnen, aber es interessiert einfach niemanden.

Da will man sich gerade in die innere Immigration zurück ziehen, genüßlich der Resignation frönen und dann begehen sowohl Kirche als auch FDP von allein Harakiri.

Hundert atheistische Blogs zusammen haben nicht so viel kirchliche Sprengkraft, wie ein Walter Mixa - wenn er denn in den Focus der Öffentlichkeit gerät.
Da sieht dann auch der treueste allsonntäglich Kniende Fassetten, die zu Schnappatmung und kalten Schweißausbrüchen führen.
Mixa schlug mit Teppichklopfern auf arme Waisenkinder ein, während er deren Unterhaltsgeld versoff. Mixa zerrte kleine Mädchen an ihren Haaren durch Treppenhäuser, um ihnen den Teufel auszutreiben. Mixa begrappscht seine Seminaristen, nennt sie anzüglich „meine kleinen Lustmolche“ und macht dann auf Mietnomade, etc pp.

Dasselbe Bild bei der FDP - welche Mühe habe ich mir gegeben und drastisch gewarnt vor einem Vizekanzler Westerwelle.

Aber seit der ehemalige Spaßparteichef tatsächlich im zweithöchsten Regierungsamt ist, gibt er das Polit-Pendant des realitätsentrückten Augsburger Ex-Bischofs.
Selber dem Luxus frönen, sich die Taschen füllen, im Amt versagen und andere beschimpfen.

Niemand, der nicht von dem Ausmaß des Niedergangs der FDP überrascht ist:
Von fast 15% im September 2009 auf demoskopische 3 %-Stimmung im Juni und dazu ein Parteichef, der der unbeliebteste Außenminister aller Zeiten ist.

Inzwischen sind Guidos Parteisoldaten so sehr in Panik vor dem politischen Exitus, daß sie das Undenkbare denken:
Guido muß weg!

T. Jungholt und J. Wiedemann beschreiben in Springers konservativer „Welt“ wie überlastet Gu-ido mit Parteivorsitz und Regierungsamt ist. Er müsse den Vorsitz abgeben, sich auf das Außenamt konzentrieren und eine neue FDP-Führung würde den Ausweg aus der politischen Eindimensionalität - Steuersenkungensteuersenkungesteuersenkungensteuersenkungen - suchen.
Der Mövenpickparteichef indes denkt offenbar nicht daran sich politisch kastrieren zu lassen; er würde damit zu viel Einfluß in der K.O.alition verlieren:
Er räumt freimütig ein, Fehler gemacht und sich das Regieren weniger belastend vorgestellt zu haben. Ein Aufgeben aber kommt für ihn nicht infrage, und auch eine Trennung von Parteivorsitz und Ministeramt schließt Westerwelle kategorisch aus. Dann wäre er in der Koalition gegenüber Angela Merkel und Horst Seehofer, die beide ebenfalls Regierungs- und Parteiamt in sich vereinen, gar nicht mehr durchsetzungsfähig, argumentiert er.

Westerwelles vorläufige Lösung: Abwarten und sich tot stellen.
Statt der „18“ hat er nur noch Scheiße am Schuh - was auch immer er sagte; er kann nichts mehr reißen.

Das immerhin sieht er ein.
Polit-Entfant Terrible Kubicki nennt das „Westerwelle findet im Augenblick nicht statt“.

Thematisch, programmatisch sei alles wunderbar - wenn nur Westerwelle nicht wäre.

Kubicki: Die FDP muss sich eigentlich nicht verändern. Wir sind in diesen Bereichen hervorragend aufgestellt. Aber die öffentliche Wahrnehmung ist eine andere. Die Auftritte einiger liberaler Spitzenpolitiker sind nicht dazu geeignet, den Eindruck des kalten Neoliberalismus zu verändern. […]

Abendblatt:
Sollte Westerwelle wenigstens Parteivorsitz und Ministeramt trennen?

Kubicki: Das Problem ist nicht, dass Guido Westerwelle zu wenig als Außenminister oder zu wenig als Parteivorsitzender stattfindet. Das Problem ist, dass Guido Westerwelle im Augenblick gar nicht stattfindet. Er scheint eine neue Rolle zu suchen.

Ähnliche Überlegungen stellt der SPIEGEL in seiner Ausgabe von morgen an - wie kann man Guido möglichst bald aus dem Parteiamt kegeln? Er könne die Mehrfachbelastung ganz offensichtlich nicht schultern, analysierten inzwischen auch viele FDP-Parteigrößen:
"Westerwelle hat seine drei Ämter Parteivorsitzender, Minister und Vizekanzler noch nicht unter einen Hut bekommen", findet auch Alexander Pokorny, Mitglied im FDP-Bundesvorstand. […]
Westerwelle wird in der Partei angelastet, dass er die FDP in der Öffentlichkeit auf ein einziges Thema reduziert hat, die Steuersenkung. Mit seiner Politik, trotz rekordhoher Staatsschulden niedrigere Abgaben zu fordern, hat er die Liberalen ins Abseits befördert. Der Trend, so glaubt die FDP-Spitze, sei mit Westerwelle nicht mehr umzukehren. Er ist ein Parteichef auf Abruf.
Eine politisch komplett gescheiterte FDP, die sich nun auch noch eine Führungsdebatte leistet und am Vorsitzenden herummäkelt, ohne daß aber jemand mit offenen Visier kämpft, dürfte sich demoskopisch gegen Null Prozent entwickeln.

Ich bin zufrieden.

Dabei wäre es gar nicht so schwer die FDP „zu retten“.
Die noch vor ein paar Monaten so kraftstrotzenden Liberalen mit ihren sagenhaften 93 Bundestagsabgeordneten (148 in der Bundesversammlung!) sind in Wahrheit natürlich nicht nur wegen Westerwelle auf die gefühlte Bedeutung einer Splitterpartei gestürzt.

Nein, sie haben erstens tatsächlich kein Programm und zweitens noch jede Menge mehr Personalprobleme.
Da ist eine Justizministerin - von der die „Welt“ schon als Guido-Nachfolgerin orakelt („Die fähigste Ministerin der FDP, Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, solle als Übergangslösung den Parteivorsitz übernehmen.“), die ein Totalausfall ist.

Zu den urliberalen Themen, zu den Justizthemen „Swift“-Abkommen oder „Ankauf von illegal erworbenen Steuerdaten-CDs“ schwieg sie eisern.
Die echten Aufregerthemen im Bereich liberaler Rechtssaat - nämlich die Datensuche von Google-Streetview in den privaten Vorgärten oder die Ausspähung der Mitglieder von Facebook überläßt Leutheusser-Schnarrenberger komplett der CSU-Kollegin Aigner.
Ein einziges Mal äußerte sie sich zum möglicherweise größten rechtlichen Skandal dieser Legislatur - den Sex-Tätern in der RKK.
Aber nach einem Rüffel von Zollitsch knickte sie sofort ein, ließ von einer eigenen Bewertung der Causa durch ihr Ministerium ab und überließ die Aufklärung der Neuministerin Schröder, sowie der ultrakatholischen Schavan.
Entschädigungen, rechtliche Konsequenzen, staatliche Kirchenfinanzierung? Hier wäre jetzt eine Jutizministerin gefragt - Leutheusser-Schnarrenberger aber betreibt Arbeitsverweigerung total.

Das nenne ich KOMPLETTAUSFALL - für die WELT ist es die „fähigste Ministerin“.
Nun ja, da mag die Welt ob der Performance von Niebel, Brüderle, Rösler und Westerwelle sogar Recht haben.
Das FDP-Personal ist ein Alptraum.
Damit sind eben keinesfalls nur die alten Wackelköppe gemeint, die wie Brüderle zwar keine Ahnung von dem Job haben aber mit der Begründung, daß sie es sich ja schon sooooo lange gewünscht hatten, dennoch zum Minister wurden.
Da sind nämlich auch erratische Betonköpfe wie Gerhard Papke, 39, der außer seiner Rotzbremse wirklich nichts im oder am Kopf hat, das wähleranziehend wirken könnte.
Von Martin Lindner, 35, der unterdessen Guidos Stammplatz bei Anne Will subsituiert hat, will ich erst gar nicht reden.

Das Problem „Außendarstellung der FDP“ geht tiefer.

Um aus dem Schlamassel rauszukommen, braucht die FDP einen überdimensionalen Sündenbock.
Einen absoluten Buhmann, dem man alles in die Schuhe schieben kann, der wie ein schwarzes Loch allen Groll auf sich projizieren kann.

Dafür bietet sich natürlich nur Westerwelle an - der aber nicht halbherzig um ein Drittel schrumpfen darf, sondern der komplett abgeschafft werden muß.

Würde Westerwelle seiner FDP einen Gefallen tun wollen; läge ihm tatsächlich etwas am politischen Liberalismus, müßte er jetzt sofort entweder den Möllemann, oder den Lafontaine machen.

Ein Abgang à la Möllemann oder Adolf Merkle hätte natürlich den besten Knalleffekt, aber so weit will ich nicht gehen.

Bliebe die Methode Lafontaine.
Warum eigentlich nicht.

Ich weiß ja nicht wie die Grundstückspreise in Bad Honnef sind, aber angesichts der 38 anzeigepflichtigen Nebentätigkeiten Westerwelles allein in der letzten Legislatur, angesichts der geradezu krakenartigen Verstrickungen seiner Familie in dubiose Firmen, die er auch als Außenamtschef fleißig protegiert und angesichts der Karrieresprünge, die „Herr Mronz“ mit seiner Hilfe erleben durfte, kann man davon ausgehen, daß Westerwelle sich eine mindestens so große Villa wie Lafontaine bauen könnte.



Eine wöchentliche Kolumne in der BILD, hochbezahlt natürlich, in der Guido über seine Nachfolger herzöge, ist ebenso sicher wie der ein oder andere bestens bezahlte Beraterjob in der Atomenergiebranche.
Damit wäre eigentlich allen geholfen.

Guido und Herr Mronz könnten ein Kind bekommen, welches der Hausherr ab und an triumphierend frech wie Oskar der Presse entgegen stemmt, er könnte seine eigene Anne Will bei RTL-II werden und vor allem würde unser garstig-greller Guido nicht mehr von den Fesseln der Diplomatie beklemmt sein.

Er könnte nach Herzenslust täglich über das faule arbeitsscheue Hartz-Pack herziehen, jene unverschämten Blutsauger, die den Geldadel auspressen und nichts leisten wollen.
Er könnte wieder der klassische „Guido außer Rand und Band“* werden, den Stefan Gärtner und Oliver Nagel so treffend beschrieben haben.



Die FDP würde Hoyer zum Außenminister machen und Parteichef Christian Lindner könnte sich als geläuterter „Liberaler mit Herz“ ab und an empört von seinem ehemaligen Chef abgrenzen.

Wollen wir für Rot/Grün hoffen, daß Westerwelle nicht die menschliche Größe hat von allen Ämtern zurück zu treten - das wäre ein echter Aufschwung für Schwarz/Gelb.


*Das Buch ist wirklich amüsant; ich habe es vor ein paar Wochen durchgelesen; wunderte mich allerdings teilweise wie nah an der Realität sich diese angebliche Satire befand.