TAMMOX IST UMGEZOGEN / AUS TAMMOX WURDE "TAMMOX-II"

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Dienstag, 22. Juni 2010

Tu Quoque.

Bis auf die Linke waren sich im Bundestag alle Parteien einig über die Bewertung des Vorgehens gegen die "Gaza-Solidaritätsflotte".
DuDuDu Israel! Sowas tut man doch nicht. Seid mal lieb zu den Palästinensern. Aber andererseits verstehen wir Euch ja auch irgendwie - die „Sicherheit Israels“ muß Priorität haben.

Im Abgeordneten-Deutsch:

Wir fordern in einem interfraktionellen Antrag eine internationale Untersuchung des Einsatzes, die das Vorgehen beider Seiten, einschließlich möglicher Verbindungen einiger Organisatoren zur radikalislamischen Hamas und anderen radikalen islamistischen Organisationen, in den Blick nehmen soll.
Wir unterstützen die Forderung der Europäischen Union nach einer sofortigen Aufhebung der Gaza-Blockade. Gleichzeitig müssen Israels legitime Sicherheitsinteressen voll gewahrt werden.
Wir begrüßen die Ankündigung der israelischen Regierung, dass die Positivliste von Gütern, deren Einfuhr nach Gaza möglich ist, in eine Negativliste verbotener Güter wie Waffen und waffenfähiges Material umgewandelt wird.

(PRESSEMITTEILUNG der Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen. NR. 0726 vom 21. Juni 2010)


„Donnerschlach - das hat mich jetzt aber echt überzeugt!“ wird sich Avigdor Liebermann denken, sofort alle seine bisherigen Positionen über Bord werfen und den Eingeschlossenen in Gaza persönlich mit humanitären Hilfsgütern entgegen eilen.

Die Deutsche Nahost-Politik ist mal wieder geprägt von einem allgemeinen Zuständigkeitswahn, gepaart mit grenzenloser Naivität.
Psychologisch-historisch ist es gerade noch erklärlich, daß Deutsche sich besonders für Israel interessieren.
Ich halte viel von dem Satz „die Deutschen werden den Juden den Holocaust niemals verzeihen“.
Allein die Existenz Israels ist für Deutschland eine ständige Erinnerung daran, welches Jahrtausendverbrechen sie mit der Shoah angerichtet haben.
Da fühlt sich jeder Politiker latent doch ein bißchen schuldig für die Ursachen des Nahost-Konflikts.

Die Fokussierung auf Israel scheint mir aber ein weltweites Phänomen zu sein.

Wieso ist das eigentlich so?

Wer extrem ablehnend gegenüber der Israelischen Politik eingestellt ist und den Genozid-Vergleich anstellt (was ich KLAR ablehne!!!), sollte doch mal erklären, wieso sich das Interesse so sehr auf den kleinen Staat am östlichsten Teil des Mittelmeers konzentriert.

Sicher - da gibt es seltsame militärische Entscheidungen und kuriose Figuren in der Knesset - aber da könnte man locker ein Dutzend Staaten mit wesentlich abartigeren und brutaleren Regimen nennen.

Es stimmt doch nun einmal, daß zumindest Teile Israels ein Hort der Menschenrechte und Demokratie sind - verglichen mit allen Staaten im Umkreis.
Schwule, Lesben, Transen, Hippies, Goths, Nudisten, etc können frei, offen und unbehelligt in Tel Aviv leben - geschützt vom Staat Israel.
Das ist in sämtlichen anderen Nahost-Staaten weniger empfehlenswert.

Und, nein, Israel rottet nicht die Palästinenser aus.
Das ist kein Genozid.
Es schon schlimm genug und ungerecht genug, wie Palästinenser seit Dekaden zu leiden haben.
Ich hasse dümmliche historische Vergleiche!
Dennoch vergleiche - auf Umwegen - auch ich, wenn ich den Anhängern der Genozid-These vorwerfe, daß sie bei anderen, schlimmeren, Zuständen sämtliche Augen, inkl Hühneraugen, zukneifen.

Der persönlich hochsympathische aber wissenschaftlich umstrittene Historiker Daniel Goldhagen* stellte 2009 einen spektakulären body-count an - von Trumans Atombombenabwurf über Pol Pot bis Milosevic und Saddam Hussein.

Mindestens 130 Millionen Menschen, schreibt Goldhagen, wurden weltweit durch Genozid und politischen Massenmord im 20. und 21. Jahrhundert getötet. Das sind mehr Opfer als in konventionellen Kriegen. Daraus schließt der Autor: Völkermord ist schlimmer als Krieg. Und er fragt: Was sind die Bedingungen, die Motivationen und die Mittel von Völkermord und jener zugrunde liegenden Politik, die Goldhagen als "Eliminationismus" bezeichnet? Was treibt die Täter, was macht ganz gewöhnliche Menschen zu Massenmördern, und wie kann die internationale Staatengemeinschaft Genozide verhindern?
(Deutschlandfunk)

Was ist überhaupt genau ein Genozid?

Goldhagen:
Vieles von dem, was die Leute über den Völkermord sagen, rührt von theoretischen Annahmen her, die unserem Verständnis des Holocaust übergestülpt wurden. Es ist erstaunlich, dass diese Ideen überlebt haben – aller offenkundigen Evidenz zum Trotz. Nehmen Sie etwa den ehemaligen Uno-Generalsekretär Boutros-Ghali. Er sagte seinerzeit: Wir haben das, was in Ruanda geschah, nicht als Genozid wahrgenommen, weil wir dachten, man benötige moderne Technik und Gaskammern um einen Völkermord zu verüben. Dass er damit rechnen konnte, mit einer solchen Aussage davonzukommen, ist bezeichnend. In Wahrheit sind die meisten Menschen in unserer Epoche mit Methoden umgebracht worden, die lange vor dem 20. Jahrhundert entwickelt wurden: durch Aushungern, Kugeln, Knüppel, Macheten.

Nach dieser Definition gab es in der Tat seit der Shoah diverse Genozide - bis in die jüngste Vergangenheit.

Kaum wahrgenommen wurde die Ermordung von 200.000 Mayanachkommen 1982-84 in Guatemala. Täter waren (Christliche) Militärs des Diktators Efrain Ríos Montt, der dort bis heute als Abgeordneter im Parlament sitzt und hochgeachtet ist

900.000 Tutsi wurden 1994 von (Christlichen) Hutu ermordet. Weitgehend unter den Augen einer achselzuckenden Weltöffentlichkeit.

Laut unterschiedlichen Quellen sind allein in den 90er Jahren in Nordkorea 220.000 bis 3,5 Millionen Menschen verhungert.
(Amnesty International)

Erneute Hungerkatastrophen gab es 2003 und 2008 - womöglich wieder mit Myriaden Toten.

Mir ist nicht bekannt, daß internationale Friedensaktivisten wie Henning Mankell jemals mit Schiffen voller Hilfsgüter gen Nordkoreas Küsten gefahren sind.

Weltweit verhungern täglich mehrere Zehntausend Menschen.

Und im Süden Kirgisiens sind im Juni 2010 vermutlich über 10.000 Menschen massakriert worden - der Spiegelfechter spricht vom "Genozid in Zentralasien"

Schlußbemerkung:

Natürlich ist es dennoch sehr zu begrüßen, wenn sich Menschrechtsaktivisten für Palästinenser in Not einsetzen.
Zum Beispiel:



*Daniel Goldhagen: Schlimmer als Krieg: Wie Völkermord entsteht und wie er zu verhindern ist. Siedler Verlag 704 Seiten, 29,95 Euro

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