TAMMOX IST UMGEZOGEN / AUS TAMMOX WURDE "TAMMOX-II"

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Mittwoch, 23. Juni 2010

Das nervt jetzt aber echt!

Joachim Gauck macht so viel Wahlkampf, daß heute sogar ein Radfahrer buchstäblich unter seine Räder kam.

Die Feuilletonisten-Gnuherde ist unterdessen in den reißenden Meinungsbach gesprungen und trampelt die CDU-Krokodile einfach nieder.
Gauck ist super, Gauck ist toll, hallt es mir aus allen Zeitungen entgegen.

Gestern zelebrierte der allgemeine Wunsch-Gauck sein Bewerbungshochamt in Berlin.
Kritik gibt es nur noch von wenigen stramm CDU-treuen Organen, die meinen, daß Gauck inhaltlich nicht so viel Neues sage. 90 % der Schreiberlinge sind sich einig: „We want Gauck for president!“

Präsidentschaftskandidat Joachim Gauck hält im Deutschen Theater eine anrührende Rede. Mit jedem seiner Sätze wird unverständlicher, warum die schwarz-gelbe Koalition unbedingt an einem eigenen Kandidaten festhält.
[…] Mal ist Gauck links, mal konservativ, mal Mitte, mal grün, mal gelb. Er eckt bei allen an und doch können sich alle mit ihm identifizieren. Immer aber vertritt er einen festen Standpunkt, der Debatten zulässt und Nachdenklichkeit erzeugt. Da erscheint es immer seltsamer, dass Union und FDP lieber einen Kandidaten in die Wahl schicken, der so offensichtlich aus parteitaktischen Gründen auserkoren wurde, als Joachim Gauck zu unterstützen. Nach diesem Vormittag im Deutschen Theater jedenfalls ist ein besserer Präsidentschaftsbewerber kaum vorstellbar.
(Thorsten Denkler)

Gauck-Festspiel in Berlin. Der rot-grüne Präsidentschaftskandidat hält im Deutschen Theater eine Vorstellungsrede. Netzaktivisten, Kurt Biedenkopf und andere Polit-Promis sind entzückt. Claudia Roth ist ganz aus dem Häuschen. "Mann war der gut", die Parteichefin der Grünen strahlt noch mehr als sonst. Mit ausgebreiteten Armen steht sie auf dem Vorplatz des Deutschen Theaters in Berlin und umarmt jeden, den sie zu fassen bekommt. "Der andere" tue ihr jetzt schon leid, sagt Roth. Damit meint sie Christan Wulff, den Kandidaten von CDU und FDP. Der Favorit aus Niedersachsen könne seinem Herausforderer aus Rostock rhetorisch nie und nimmer das Wasser reichen. Die übrigen Zuhörer im Berliner Theater denken ähnlich.
(Michael Schlieben)

Präsident der Herzen hält Hof. Wer hätte das gedacht? Der rot-grüne Anti-Wulff Joachim Gauck ist ein Popstar, Bundespräsident der Herzen, mindestens. Nun hat er im Deutschen Theater zu Berlin Hof gehalten. […] Gauck gilt als begnadeter Rhetoriker - sein Talent stellte er auch hier wieder unter Beweis, bei seinem einzigen öffentlichen Auftritt vor der Präsidentenwahl.
(Adrian Pickshaus)

Die Gauck-Hofberichterstatter haben sich regelrecht hochgegauckelt; allen erscheint der Pfarrer aus Rostock im Rentenalter als Erlöser, als eierlegende Wolfsmilchsau der Politik.

Offensichtlich überkompensieren hier einige Damen und Herren der schreibenden Zunft ihr schlechtes Gewissen, daß sie einst so massiv Wahlwerbung für Guido und Angie betrieben.

Schwarz/Gelb ist allerdings auch tatsächlich im Pech.
Sie stecken einerseits im Demoskopie-Tal und andererseits ist der CDU-Gegenkandidat, Pro-Christ-Christian Wulff ein so klassisch-farbloser Apparatschik, daß neben ihm selbst ein graues Faultier wie eine schillernde Persönlichkeit wirkt.

In der Bewertung des Niedersachsen-MP’s herrscht ebenfalle große Einigkeit.
Das einzig Auffällige, das Wulff in den letzten 30 Jahren als aktiver CDU-Politiker geleistet hat, ist seine konsequente Unauffälligkeit.
Er ist politisch eine echte Null, ein thematischer Totalausfall, der das erste mal überhaupt bemerkt wurde, als er, der strenggläubige Christ, seine Frau aus dem Haus jagte und in BUNTE und BILD ausführlich seine zweite Hochzeit inszenierte.

Der Typ wird nun also der nächste Bundespräsident.

Dazu sage ich: So what?

Bundespräsidenten sind wie Pfingsten - es gibt sie, man freut sich möglicherweise über einen Feiertag, aber für 90 % der Bevölkerung reicht das Interesse nicht so weit, um auch nur eine Ahnung zu haben, welche Entstehungsgeschichte es dazu gibt.

(Glückliche Tammox-Leser - immerhin Pfingsten habe ich schon einmal genau erklärt)

Seit ich in der Schule, in einer GMK-Stunde, einst miterlebte, daß niemand die Frage „wer wählt den Bundespräsidenten?“ beantworten konnte, stelle ich die Frage zu Testzwecken immer mal wieder.
Keiner weiß das - wenn nicht gerade zufällig eine Wahl ansteht und daher ausnahmsweise von den Mehrheitsverhältnissen in der Bundesversammlung berichtet wurde.
So wie es auch in jeder besseren Zeitung, jedes Jahr zu Pfingsten den kleinen Kasten mit der Hintergrund-Info über die Ausgießung des Heiligen Geistes gibt.

Das wird an dem Wochenende kurz wahrgenommen und sofort wieder verdrängt.

Ich behaupte, daß der Bundespräsident im Normalfall irrelevant ist. Für den Plebs ist das völlig uninteressant.
Macht hat das Staatsoberhaupt ohnehin nicht.
Wenn er ein guter Redner ist, kann er sich aber Gehör verschaffen.

Nur, was heißt das schon?
Bruder Johannes, also Hobby-Prediger Rau, wurde aus drei Gründen Präsident:
Er wollte gerne, SPD und Grüne hatten zufällig gerade die Mehrheit in der Bundesversammlung und außerdem sollte Clement endlich NRW-MP werden. Die Stelle hätte Rau aber womöglich noch ewig besetzt, wenn er nicht hochgelobt worden wäre.

Rau galt als sympathisch, aber irgendwie auch langweilig.
Es ist bezeichnend, daß ausgerechnet er die inhaltlich besten Präsidenten-Reden hielt.
Reden, die thematisch konkret und fordernd waren.
Er ist nur nie durchgedrungen. Denn niemand nimmt einen Bundespräsidenten ernst.

Richard von Weizsäcker, der sich in dem Ruhm sonnen kann, allgemein als der beste Bundespräsident ever zu gelten, ist deswegen aufgefallen, weil seine berühmte 8. Mai-Rede das Deutsche Trauma-Thema hatte, das automatisch für Aufmerksamkeit sorgte.

Ja, er hat das Richtige gesagt.
Das fiel aber deswegen so stark auf, weil andere Wichtige zu der Zeit - Jenninger und Kohl beispielsweise - bei dem Thema so sagenhaft schlecht redeten.
Im Antagonismus zu Kohl wurde Weizsäcker berühmt - jeder wußte, daß Kohl rasend eifersüchtig auf Weizsäckers Zustimmungswerte war.
Daher wollte er ihm keinesfalls eine zweite Amtszeit gönnen.
Die SPD nutzte das damals zu einer netten kleinen parteipolitischen Intrige aus, indem SIE zuerst Weizsäcker zur Wiederwahl vorschlug und damit Kohl matt setze - wie könnte er sich dann noch gegen einen CDU-Mann aussprechen?
Weizsäcker konnte im Ausland bei Königs einen guten Eindruck machen - gewiss, aber ist das nicht eine Mindestvoraussetzung für den Job?

In Zeiten, in denen Polit-Vuvuzela Westerwelle Deutschlands oberster Diplomat werden konnte, offenbar nicht mehr.

Bundespräsidenten im Pressespiegel - da herrscht eine solche Einigkeit, daß ich schon deswegen misstrauisch werde:
Wir hatten angeblich immer so ein Glück mit den Staatschefs - bis auf Lübke, aber wie man jetzt weiß, war der eben neurologisch krank.
Ich kann mich da nicht anschließen.

Für Papa Heuß bin ich zu jung - außerdem denke ich, daß direkt nach dem Krieg andere Maßstäbe galten.
Über Lübke breiten wir mal dezent den Mantel des Schweigens - aber dann kam nur noch Heinemann, der wirklich gut war.
Was ist denn überhaupt von Carstens, Scheel und Herzog in Erinnerung?
Einer wanderte, einer sang und der Dritte hat mal was von einem „Ruck“ geplappert.
Auch so eine Rede, ohne die allergeringste Nachwirkung.
Die „Ruck-Rede“ ist dabei das klassische Beispiel für den großen Graben zwischen VERöffentlichter Meinung und öffentlicher Meinung.
Erstere war entzückt, letztere war vollkommen desinteressiert.

In Wahrheit ist der Bundespräsident tatsächlich nur ein freundlicher Grüßonkel, der wie ein oberster Saaldiener ab und an mal ein paar Urkunden ausstellt und im Ausland als Pomp-Mann eingesetzt wird, wenn man mal wieder ein anderes Land bummfiedeln muß, aber die Regierung selbst keine Zeit oder keine Lust hat, sich dorthin zu bequemen.

Die Unter-30-Jährigen wissen mehrheitlich noch nicht mal, wie der Bundespräsident heißt, geschweige denn, welche Aufgaben er hat.
Köhler, die Inkarnation der sprachlichen Verwirrung, okkupierte nun sinnlose sechs Jahre den Amtssitz.
Auch das war irrelevant für Deutschland.
Mit einem Wulff an seiner Stelle wird sich nichts ändern.

Das einzig Interessante an der Causa Bundespräsidentenwahl ist meiner Ansicht nach die Erkenntnis, daß sich Angela Merkel; die angeblich so meisterhafte Machttaktikerin, schon wieder in eine klassische NoWin-Situation manövriert hat.

Geradezu tumb ist sie in Trittins und Gabriels Falle getappt.
Wir erinnern uns, daß der SPD-Chef die Kanzlerin zwei Tage vor der Wulff-Nominierung per SMS auf Gauck hingewiesen hatte, ihr sogar versprach Gauck auch dann zu unterstützen, wenn sie, Merkel, ihn als ihren Kandidaten und ihre Idee ausgäbe.
So abwegig war der Vorschlag nun nicht.
Merkel findet ihn ohnehin toll und der Geck Gauck ist dermaßen eitel, daß er unumwunden erzählte, er hätte eigentlich eher erwartet von den bürgerlichen Parteien nominiert zu werden.
Der Mann findet es also absolut normal, daß die Parteien bei der Besetzung des allerhöchsten Staatsamtes bei ihm klingeln und betteln, daß er es macht.

Wieso ist Merkel nicht auf den Deal eingegangen?
Sie hätte einen PR-Erfolg erzielt und sich beim Volk endlich mal wieder als die überparteiliche und beliebte Präsidialkanzlerin inszenieren können.
Ein netter Nebeneffekt wäre gewesen die FDP zu disziplinieren - indem sie das sanfte Signal gegeben hätte auch mal wieder was mit den Sozen zustande zu bekommen.

Merkels Berater haben aber genauso versagt wie ihr Instinkt.
Offenbar hat sie nur bis zur Nasenspitze gedacht und sah da einerseits eine komfortable schwarz-gelbe Mehrheit, andererseits eine bequeme Möglichkeit die innerparteilichen Katholiken zu befrieden und auch noch den Rivalen Wulff wegzuloben.

Bekommen hat sie jetzt aber nur Ärger - sie zittert vor der FDP und mußte bereits beim Sparpaket aus Angst vor liberalen Gauck-Stimmen vor den FDP-Ministern kapitulieren.

Unversehens ist sie in babylonische Gefangenschaft geraten.
Zu groß wäre das Desaster für sie, wenn Wulff nicht durchkäme.

Die meisten Auguren sprechen sogar davon, daß Merkel schon unerträglichen Dampfdruck im CDU-Kessel bekäme, wenn sie Wulff erst im zweiten oder dritten Wahlgang durchbrächte.

Ich halte es - wie bereits ausgeführt - für fast unmöglich, daß Gauck gewählt wird.


Was ist also, wenn Wulff relativ glatt durchkommt?

Dann hat Merkel ebenfalls verloren - da sie damit nur ihre parteipolitische Abgehobenheit unter Beweis gestellt hätte.
Denn nun ist Gauck der Kandidat der Herzen - nahezu jeder findet ihn besser geeignet für das Amt.
Bringt Merkel also den offensichtlich schlechteren Kandidaten - aus rein parteitaktischem Kalkül durch - dürfte das ihrem öffentlichen Ansehen erheblich schaden - und das in einer Zeit, in der es ihr demoskopisch ohnehin so dreckig geht, wie nie.

Am 30. Juni wird ein Siegmar Gabriel in die Bundesversammlung gehen, der nur gewinnen kann - bei welchem Ergebnis auch immer.
Umgekehrt sieht es bei Merkel aus - sie verliert auf alle Fälle, egal welche Entscheidung getroffen wird.

Normalerweise vermeidet Merkel diese Nowin-Situation, aber offenbar ist ihr inzwischen alles entglitten.

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