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Samstag, 4. September 2010

Sex sells

Deutschlands schönster Minister sonnt sich mal wieder auf dem Umfrageolymp.

Seine letzte Photosession als Tom Cruise 2.0 läßt eigentlich nur noch eine Steigerung zu; der durch und durch inszenierte Bundeskriegsminister sollte in der nächsten Playgirl-Ausgabe blankziehen.



Adelige dürfen das.
Offensichtlich denkt so manche Fränkische Guttenberg-Anhängerin unterbewußt noch sehnsüchtig an „lex prima noctis“-Zeiten, wenn sie bei Umfragen die Beliebtheitsnoten für Minister vergeben muß.

Ein Politiker, der es als Modepüppchen ganz nach oben schafft - das geht nur mit blauem Blut.

DJ Dosenpfand (vulgo: Jürgen Trittin; den ich immer besser finde) beobachtete diese Regel auch im Interview des aktuellen „Rolling Stone“:

RS: Gerhard Schröder hat einmal ein Modeshooting gemacht, schon wurde er als „Brioni-Kanzler“ verhöhnt.

JT: Schröders Inszenierung war ja vergleichsweise bescheiden verglichen mit der Selbstinszenierung von Herrn zu Guttenberg. Daran sieht man: Was der alte Adel darf, darf der Aufsteiger noch lange nicht. Schröder wurde doch durch die Klassenbrille angeschaut, und dann hieß es, guckt mal, der Aufsteiger, wie der sich aufführt. Bäh. Beim alten Adel finden wir das ganz normal, da schaut man eben auf und bewundert.

Unser sexy Modepüppchen
schwebt soweit über den politischen Dingen, daß es ihm gar nicht schadet der schlechtesten Bundesregierung aller Zeiten anzugehören.

Die schwarz-gelbe Koalition ist bald seit einem Jahr an der Macht, hat aber noch nichts Wesentliches entschieden. Erst mutete sie dem Land eine lange Wartezeit zu, weil die Bundespolitiker die Wahl in Nordrhein-Westfalen im Mai fürchteten und die Wähler nicht mit unliebsamen Entscheidungen verprellen wollten. Dieser Politik der Leere folgt ein schauerliches Theater, Beschimpfungen, Grabenkämpfe, tausend Vorschläge, aber keine Entscheidungen. Die Politik wirkt nicht kompetent, die Probleme des Landes zu lösen. Wenn dann doch entschieden wird, heißt das nicht viel. Die Bürger haben gelernt, dass Gesetze recht eingeschränkt gültig sind. Ob die Rente mit 67 oder die Laufzeiten der Kernkraftwerke, die Oppositionspartei SPD und die Regierungsparteien CDU, CSU und FDP sind derzeit vor allem damit beschäftigt, Beschlüsse über den Haufen zu werfen, die erst ein paar Jahre alt sind. Zudem zwingt das Bundesverfassungsgericht den Gesetzgeber immer wieder nach Klagen von Bürgern zur Korrektur, beispielsweise bei den Themen Pendlerpauschale, Vorratsdatenspeicherung, Wahlcomputer, Hartz IV, Sorgerecht, Homo-Ehe.
(Der Spiegel 30.08.10)

Das kleinste Problem sind da die fortgesetzten Lügen des CSU-Stars in der Causa Kunduz.

Da sind nicht nur die Widersprüche bezüglich der beiden gefeuerten Top-Beamten seines Ministeriums, die den Minister klar der Lüge bezichtigten.
Merkel und Westerwelle können aber bereits seit einem Jahr erfolgreich verhindern, daß Guttenberg zu der Causa im Untersuchungsausschuss konfrontiert wird.

Die Informationspolitik des Model-Ministers ist seit dem nicht ehrlicher geworden.

Heute genau vor einem Jahr wurden beim Tanklasterbombardement von Kunduz 142 Menschen getötet.
Verantwortlich ist niemand - Guttenberg fährt hier die Strategie „Sauerland“ und schert sich einen Dreck um seine Aufklärungsversprechen von vor einem Jahr.
Daß seine Chefin vor einem Jahr im Bundestag genauso log - "Die lückenlose Aufklärung ist für mich und die ganze Bundesregierung ein Gebot der Selbstverständlichkeit" Die Bundeswehr werde "mit allen zur Verfügung stehenden Kräften genau dazu beitragen" - macht die Sache nicht besser.
Guttenberg versprach damals hoch und heilig die entsprechenden Akten zu veröffentlichen. Geschehen ist nichts - alles ist bis zum heutigen Tage als „geheim“ eingestuft.

Ein öffentliches Verfahren gegen Oberst Klein, das die Akteneinsicht erzwungen hätte, verhinderte diese Bundesregierung.

Anhaltspunkte für ein Dienstvergehen des Obersts fand der Inspekteur des Heeres nach viermonatiger Prüfung nicht. Der Chef des Einsatzführungsstabs und der diensthabende Presseoffizier, die am 4. September die Nachricht vom "erfolgreichen Einsatz gegen Aufständische im Raum Kunduz" verbreiteten, verrichten weiter ihren Job.
(Der Spiegel 30.08.10)

Die ganze persönliche Schäbigkeit des Verteidigungsministers wird aber erst beim Umgang mit der Entschädigung für die Angehörigen der Toten und den Verletzten deutlich.
Vor einem Jahr wurde schnelle und unbürokratische Hilfe gelobt.
Angekommen ist davon bisher so gut wie nichts.

Die von der deutschen Militäraktion verstümmelten Zivilisten können sich bis heute noch nicht mal die medizinische Behandlung leisten.
Ganze 5000 Dollar = 3877 Euro pro Familie eines Getöteten ist das Äußerste, das die Bundesregierung nach 12 Monaten zu zahlen bereit war.

Die Geschichte des verstümmelten vierfachen Vaters „Nur Jan“, dessen Familie jetzt hungert, der jetzt auf 1000 Dollar Schulden sitzt, die er sich wegen der benötigten Bluttransfusionen zusammenlieh, zeigt die reale Politik des famosen Barons von und zu Guttenberg:

Die Geste der Wiedergutmachung ist bei Nur Jan wie bei vielen anderen Opfern noch nicht richtig angekommen. Vielleicht liegt es daran, dass die Bundeswehr bei der Abwicklung selten selbst auftauchte. Erstellt hat die Liste mit den Opfern die Menschenrechtsgruppe AIHRC in Kunduz, sie stützte sich dabei hauptsächlich auf die Recherchen des "Stern"-Journalisten Christoph Reuter, eigene Nachforschungen hatte die Bundeswehr nie angestellt. Auch die Karten für die Konten der Kabul-Bank gab AIHRC aus. Bundeswehroffiziere sahen die meisten Opfer erst später im Fernsehen, Feldlagerkommandeur Reinhardt Zudrop verkündete da in Kunduz auf einer Pressekonferenz die Hilfen für die Opfer. Endlich, Monate nach einer Weisung seines Ministers, hatte der Oberst damit den Fall für die Truppe endgültig beendet. Der Bauer Nur Jan versteht wenig von der großen Politik hinter dem Bombardement. Wie die meisten Familien der Opfer hat er eigentlich nie begriffen, was eigentlich ablief im Streit um eine mögliche Entschädigung für ihn und die anderen Dörfler. Ab und zu fuhren sie aus ihren Dörfern mit einem Taxi nach Kunduz ins deutsche Gasthaus Lapis Lazuli oder ins Hotel Kunduz. Immer hatten Gäste aus Deutschland gerufen. Erst kam der deutsch-afghanische Anwalt Karim Popal, der den Dörflern einen wahren Geldregen, eine millionenschwere Entschädigung von der Bundesregierung, ankündigte. Später kamen auch deutsche Politiker. Alle sprachen von Wiedergutmachung, redeten von der deutschen Schuld. Alle versprachen Geld. Dann verschwanden sie wieder. Passiert ist in der Sache indes nichts, elf Monate lang.
(Der Spiegel 30.08.10)

Eins hat die Bundeswehr unter Guttenbergs Führung immerhin erreicht - sie hat mit Nur Jan mindestens einen potentiellen Selbstmordattentäter geschaffen.

"Anstatt als Krüppel weiterzuleben", sagt er drohend, "will ich lieber als Selbstmordattentäter sterben."

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