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Sonntag, 24. Oktober 2010

Gott schütze Deutschland! Aber warum?

Die von den Republikanern in Delaware auserkorene Kandidaten für den US-Senat, Chrissi O’Donnell staunte nicht schlecht, als sie kürzlich auf einer Podiumsdiskussion von der US-Verfassung hörte.



Als klassische Teebeutlerin agiert sie stets im Intellekt-freien Räumen, lügt ungeniert das Blaue vom Himmel runter und hat keinerlei Scheu ihre Bildungslücken stolz jedermann zu präsentieren.
Wozu sollte auch eine US-Senatorin von Petitessen wie der US-Verfassung gehört haben?
Ihren Hauptanliegen (Ächtung von Masturbation, Anti-Obama Pogrome, fundamental asoziale Politik zugunsten der Evangelikalen und Reichen) werden von der lästigen Bill Of Rights ohnehin nur behindert.

“Congress shall make no law respecting an establishment of religion, or prohibiting the free exercise thereof; or abridging the freedom of speech, or of the press; or the right of the people peaceably to assemble, and to petition the Government for a redress of grievances.”
(1. Zusatzes zur Verfassung der Vereinigten Staaten von Amerika)

Deutsche missverstehen diese Teebeutler und Christen-Fundis, wenn sie annehmen, daß derart extremistische und realitätsferne Positionen den Kandidaten diskreditieren müßten.

Für eine Mehrheit der amerikanischen Wähler sind krasse Wissenslücken und intellektuelle Blamagen keine Gründe, die einen Politiker für Top-Ämter disqualifizieren.
Der beste Beweis ist die Wiederwahl George W. Bushs im Jahr 2004.

Wir in Deutschland haben keinerlei Veranlassung auf dem hohen Ross zu sitzen.

Die Regierungsspitzen - Merkel, Wulff und Seehofer beispielsweise - legen gerade in den letzten Wochen dar, daß sie keinerlei Kenntnis von unserer Rechtsordnung, unserer Kulturgeschichte und Religion haben.

Einige gehen soweit, Angela Merkel offen Verfassungsbruch vorzuwerfen, da sie mehr oder minder verklausuliert fordere, Zuwanderer hätten sich an Christliche Werte zu halten.

Der Internationale Bund der Konfessionslosen und Atheisten (IBKA) wendet sich nachdrücklich gegen die Aussage von Bundeskanzlerin Angela Merkel, wonach in Deutschland fehl am Platze sei, wer das christliche Menschenbild nicht akzeptiere.
"Der Staat ist Heimstatt aller Bürger und hat das Grundrecht der Weltanschauungsfreiheit zu schützen. Die Kanzlerin wurde auf die Wahrung der Verfassung vereidigt und missachtet deren Prinzipien, wenn sie Nichtchristen quasi rhetorisch ausbürgert", sagt Rudolf Ladwig, Zweiter Vorsitzender des IBKA.
"Grundwerte wie Selbstbestimmung und Gleichberechtigung der Frau wurden gegen das Christentum errungen, sie auf ein 'christliches Menschenbild' zurückzuführen ist dreister Etikettenschwindel. Noch heute ist es um die freiheitlichen Grundwerte in etlichen Religionen oft schlecht bestellt."
Als Affront gegen die nichtreligiösen Bürger Deutschlands empfindet der IBKA die Aussage von Kanzlerin Merkel, die schleichende Säkularisierung sei "ebenso beunruhigend wie Integrationsprobleme".
"Die Emanzipation vieler Menschen von religiösen Dogmen trägt zum innergesellschaftlichen Frieden bei. Eine Bundeskanzlerin sollte die Säkularisierung anerkennen, statt zu diffamieren. Es wird Zeit, dass Frau Merkel sich endlich integriert, statt den geistigen Bürgerkrieg zu schüren", erklärt Ladwig.

(Pressemitteilung des IBKA vom 18.10.2010)

Unser gegenwärtiger Bundespräsident, Merkels Sockenpuppe 2.0, schließt sich an seinen Vorgänger in zwei Aspekten nahtlos an: Er frömmelt und ist ein miserabler Redner.

Merkel soll angeblich in Hintergrundrunden Kostproben ihres schwarzen Humors und ihrer parodistischen Künste geben - vielleicht findet sie es ja einfach amüsant ein Schau-Amt, das über keine reale Macht, außer der Rede, verfügt mit miserablen Rhetoren zu besetzen.

Wulffs erste Auftritte gerieten allesamt zu Pannen: Loveparade, Urlaub in der Maschmeyer-Villa, Sarrazindebatte, etc.
Verständlich, daß er mit seiner ersten Rede zum 20.Jahrestag der Deutschen Einheit Boden gutmachen wollte.

Aber Christian Wulff hält auch eine Rede, die dem Motto folgt: Allen Wohl und keinem Wehe.
[…] Es dauert eine Weile, bis das Publikum, darunter die gesamte politische Klasse der Republik aus Bund und Ländern, sich mit diesem Redner anfreundet. Denn das größte Problem von Christian Wulff ist seine mangelnde Redekunst. Er trägt das Manuskript mit seiner ein wenig knödelnden Stimme so gleichförmig vor, dass die Zuhörer kaum die Chance haben zu erkennen, wenn er zu einer bedeutenden Passage ansetzt.
[…] Mit einem „Gott schütze Deutschland“ endet er und verlässt eilig das Podium, ohne große Geste, mit Beifall, der eher höflich ausfällt.
(Holger Schmale, FR, 03.10.10)

Wulffs Auftritte sind stets eine körperliche Herausforderung, da die Anwesenden hart gegen das Einschlafen ankämpfen müssen.
Vielen verlangte der brutale Drang die Augenlider zu schließen ihre ganze Kraft ab.

Vielleicht war es einfach nur ein Zugeständnis an seine CDU-Freunde mit dem inzwischen hinlänglich bekannten Satz über den Islam einen Aufreger zu platzieren, der als Wachmacher fungierte.

OK; Schäuble hatte schon vor drei Jahren am Rande seiner Islamkonferenzen gesagt, angesichts von Millionen Muslims in Deutschlands sei es eine Tatsache, daß „der Islam“ heute zu Deutschland gehöre.
Obwohl damals wie heute niemand definiert hatte, was denn „DER“ ominöse Islam eigentlich sein soll - scheinbar gehören säkulare und alevitische Türken dazu, der Mohammedanische Chirurg aus Teheran aber nicht - regte sich über Schäuble niemand auf.
Anders als Schäuble ist Wulff aber ein Unglückling ohne intellektuelles Format, der nicht in der Lage ist, sich klar auszudrücken und das Timing zu bedenken.

Die Islam-Debatte will ich jetzt nicht noch einmal anzetteln.

Wesentlich schlimmer finde ich Wulffs Endsatz „Gott schütze Deutschland“.

Was soll das bitte heißen?
Wulff hat scheinbar auch noch nichts davon gehört, daß Kirche und Staat in Deutschland getrennt sind.

Wulff ist das Staatsoberhaupt und nicht der religiöse Führer.

Wulff fällt zudem noch hinter das sehr viel Christlichere Land USA zurück, in dem das Staatsoberhaupt Obama auch die Amerikanischen Atheisten mit einbezieht.
In Deutschland ist die Gruppe derjenigen, die keiner Religion angehören sogar eine relative Mehrheit.
Dem zahlenmäßig größten „Bekenntnis-Block“ stößt der Präsident also vor den Kopf.
Ich fühle mich jedenfalls keinesfalls von Wulff repräsentiert. Er ist für mich nur ein alberner Grüßaugust, der intellektuell leicht unterbelichtet seine Klientel bedient.
Anders als Merkel, die ob ihrer tatsächlichen exekutiven Macht für mich ernst zu nehmen ist, kann mir CHRISTian Wulff also vollkommen egal sein.

Für einen Moment möchte ich mich aber einmal in einen Christen versetzen.
Wie verstünde ich dann denn Satz „Gott schütze Deutschland“?

Ist es nicht hochgradig blasphemisch, wenn ein theologischer Laie Gott erklärt wen oder was ER zu schützen hätte?
Kann man nicht annehmen, daß Gott schon selbst weiß, wer seines Schutzes bedarf?
Ist er auf irdische Ratgeber angewiesen?
Laufen in Petrus‘ Büro die Fürbitten ein und werden quantitativ gewichtet, so daß „der Herr“ dann gewissermaßen demoskopisch inspiriert das schützt, was am meisten verlangt wird?
So wie Horst Seehofer für sechsstelligen Summen Umfragen für die Bayerische Staatskanzlei machen läßt und dann seine Forderungen erhebt je nach dem was gerade populär ist?

Oder ist Gott ein Schwarz-Gelber, der auf die Mächtigen hört und dementsprechend den Gesuchen eines Präsidenten eher folgt, als denen von Hartz-IV‘lern?

Dafür sprächen die Erfahrungen von 1933 bis 1945.
Den immer wieder von Spitzenpolitikern, Bischöfen und Kardinälen ausgesprochenen Satz „Gott schütze Adolf Hitler“ entsprach er immerhin mindestens 42 mal - so oft gingen Attentatsversuche schief.
Gott ließ „den Führer“ stets mit (ziemlich) heiler Haut davon kommen, so daß Hitler „der Vorsehung“ noch mehr Autorität abgewinnen konnte.
Ich nehme an, daß von den sechs Millionen getöteten Juden auch allerlei Bitten um Schutz kamen. Auf dem Ohr war der liebe Gott allerdings taub.
Die 20 Millionen im Zweiten Weltkrieg ums Leben gekommenen Russen brauchte Gott ohnehin nicht zu schützen, da so viele Atheisten darunter waren.

Und überhaupt waren das Kommunisten!


Alle Anhänger des Kommunismus wurden von Gottes Stellvertreter auf Erden Papst Pius XII, folgerichtig pauschal exkommuniziert.

Die "acta apostolicae sedis", die Gesetzessammlung des Heiligen Stuhls vom Juni 1949 machte die Exkommunikation der Kommunisten und ihrer Anhänger aktenkundig und offiziell.

Die Weisung des Vatikans lautet: Kein Katholik kann Mitglied einer kommunistischen Partei sein oder sie begünstigen. Kein Katholik darf Bücher, Zeitungen oder Zeitschriften veröffentlichen, lesen oder verbreiten, in denen die kommunistische Doktrin verkündet wird. Jeder Katholik, der die materialistische und antichristliche Lehre des Kommunismus verkündet, sie verteidigt oder gar verbreitet, verfällt als Abtrünniger des katholischen Glaubens der Exkommunikation.
(DER SPIEGEL)

Der unfehlbare Papst definiert „kommunistische Erzsünder“ als Intellektuelle und KP-Propagandisten, die automatisch exkommuniziert sind.

Überhaupt keine Probleme in Punkto Moral und Sünde hat der Vatikan hingegen mit Faschisten und Nazis. Warum auch? Man kooperierte wunderbar mit der NSdAP.
Hatten sich doch die meisten Christen offiziell in den Dienst der nationalsozialistischen Judenvernichtung gestellt.

Noch nicht einmal einzelne Massenmörder wie die Mitglieder der katholischen Kirche Adolf Hitler, Heinrich Himmler, Reinhard Heydrich, Rudolf Hoess, Julius Streicher, Fritz Thyssen, Klaus Barbie, Leon Degrelle, Emil Hacha, Ante Pavelic, Konrad Henlein, Pierre Laval, Franco, Mussolini, oder Josef Tiso wurden exkommuniziert.
Tiso, fanatischer Judenvernichter, kompromissloser Hitler-Bewunderer, katholischer Priester und Staatspräsident der Slowakai wird noch heute von RKK-Fürsten verehrt.

(Man muß sich das mal vorstellen - die Befreier von Ausschwitz, die Rote Armee, verdammt der Vatikan in der drastischsten möglichen Weise, aber der Lagerkommandant Rudolf Hoess, sowie der Megasadist Josef Mengele blieben Mitglieder der RKK.)

Gottes Wege sind zwar unergründlich, aber die Geschichte der letzten 2000 Jahre, seit Gott seine Filiale auf diesem Planeten aufgemacht hat, zeigt einigermaßen klar, wer von ihm geschützt wird und wer nicht.
Minderheiten, Arme, Schwache, Juden, Homosexuelle, Kinder (alle fünf Sekunden verhungert ein Kind auf der Erde - sicher kein angenehmer Tot!), Muslime, Tiere, Pflanzen können offenbar eher selten mit Gottes Schutz rechnen.

Sie wurden immer wieder Millionenfach dahingerafft, während die Schlächter und Täter, die Reichen und Mächtigen zufrieden alt werden konnten.

Hitler, Papst Johannes-Paul II, Schäuble und Ronald Reagan überlebten politische Attentate.

Echte Friedensstifter - Bobby Kennedy 1968, Jitzchak Rabin am 4.11.1995, Zoran Đinđić am 12.03.2003, die potentielle EU-Kommissionspräsidentin Ylva Anna Maria Lindh am 11.September 2003, Sven Olof Joachim Palme am 28.02.1986, Muhammad Anwar as-Sadat am 06.10.1981, Indira Gandhi 31.10.84, Muhammad Baqir al-Hakim am 29.08.2003 oder auch Benazir Bhutto am 27.12.07 hatten dagegen keinen göttlichen Schutz und fielen Attentaten zum Opfer.

Mal den blasphemischen Aspekt beiseite lassend; ist es nicht ein bißchen willkürlich von Christian Wulff den „göttlichen Schutz Deutschlands“ anzumahnen?
Das erscheint mir schon wieder so schwarz-gelb.
Nach dem Motto „Der Teufel scheißt immer auf den größten Haufen“ und Deutschland ist ein riesengroßer Haufen verglichen mit den meisten Ländern der Erde.
Wir sind reich, haben eine geringe Kindersterblichkeit, seit Dekaden keine Kriege auf unserem Boden, eine hohe Lebenserwartung und es gibt noch nicht mal Vulkane und Erdbeben hierzulande.
Ich würde meinen, daß Deutsche, göttlich betrachtet, gut wegkommen.

Wenn sich schon Christian Wulff anmaßt Gott beeinflussen zu können, sollte er dann nicht lieber ex cathedra fordern „Gott schütze Somalia!“ oder „Gott schütze den Sudan“, oh, oder noch wichtiger „Gott schütze den Kongo!“.
„Gott schütze Afghanistan!“ erschiene mir ebenfalls weitaus dringlicher als eine besondere himmlische Police für westeuropäische EU-Staaten.

Wieso ausgerechnet Deutschland?

2 Kommentare:

verquer hat gesagt…

moin tammox,

so weit mir bekannt ist und wiki nicht lügt, wurde Joseph Goebbels allerdings von der RKK exkommuniziert. Er hatte nämlich eine geschiedene Protestantin geheiratet...

http://de.wikipedia.org/wiki/Magda_Goebbels#Ehe_mit_Joseph_Goebbels

Das mit der automatischen Exkommunikation, wenn man kommunistische Schriften bloß liest, war mir allerdings neu.

Tammo Oxhoft hat gesagt…

Sagenhaft wie blöd ich bin - ich hatte Goebbels beim Schriben schon rausgenommen - weil das Thema schon mal aufkam.
Als ich das dann postete, habe ich den Absatz aber dann doch noch mal aus einem früheren Post zitiert, weil ich die Links beibehalten wollte - und schwupp war Goebbels wieder drin!

http://tammox.blogspot.com/2010/10/wirre-willkur-versus-verstand.html

Danke für das Aufpassen.

LGV