TAMMOX IST UMGEZOGEN / AUS TAMMOX WURDE "TAMMOX-II"

Um die beklagte Seitenaufbaugeschwindigkeit zu verbessern, bin ich auf einen zweiten Blog umgezogen. Und zwar hierhin. Ich bin dankbar für ein Feedback!

Freitag, 1. Oktober 2010

Impudenz des Monats September 2010

Und schon wieder einmal zeigt der Kalender eine „1“ - hohe Zeit für mich den Blödmann des Monats zu küren.

Stuttgart, die Hauptstadt des Musterländles war bisher bundesweit bekannt für gepflegte Langeweile, luxuriöse Autobauer und biedere Hausfrauen, die die angeblichen deutschen Urtugenden beim „Kehraus“ zelebrieren.
Der Baden Württemberger spricht ein eigentümliches „sch“ statt „s“, wählt IMMER konservativ (gerne auch mal NPD) und „erfreut“ die Bundespolitik mit Figuren wie Gerhard Meyer-Vorfelder, Günter Oettinger, Filbinger, Schavan, Teufel, sowie den Gebrüdern Schäuble und Kauder.
Reine Formsache also, daß bei der Landtagswahl im März 2011 wieder Schwarz-Gelb angekreuzt würde. Die Südwest-CDU verzichtete bei der Oettinger-Nachfolge auf Experimente und zauberte einen Ministerpräsidenten hervor, der offensichtlich im selben Labor, wie all die anderen BW-Unionisten gezüchtet wurde: Stefan Mappus, der Prototyp des früh verfetten Pyknikers mit feistem Gesicht, ultrakonservativer Einstellung und offensiv zur Schau gestellter Provinzialität.

Der 42-Jährige Pforzheimer ist die Impudenz des Monats.
Mappus hat viel damit zu tun, daß das Stuttgart von heute ganz anders konnotiert wird.



Plötzlich werden der staunenden Bundesrepublik Bilder präsentiert, die man sonst nur von Krawallen in Hamburg oder Berlin kennt.
Friedliche Alte, Mütter mit Kleinkindern, bürgerliche Durchschnittsmenschen werden auf einmal auf Mappus‘ Befehl von Hundertschaften Polizisten im Terminator-Outfit mit Schlagstöcken traktiert, mit Wasserwerfern umgehauen und in Tränengast eingenebelt.



Obwohl es andere Regierungschefs schon mit erheblich problematischeren Demonstranten zu tun hatten, wurde selten so überzogen, wie gestern bei der Räumung des Stuttgarter Schlossplatzes.
Eine harmlose Schülerdemo führte zu so einem rabiaten Polizeieinsatz, daß am Ende mehrere Hundert Menschen verletzt wurden.
Darunter zwei achtjährige Kinder.



Ein durchaus konservativer Hamburger Bürgermeister Klaus von Dohnanyi bewirkte Ende 1987 das sogenannte „Wunder von der Hafenstraße“; indem er sein Amt und seine Person als Pfand dafür einsetzte die seit sechs Jahren tobenden Auseinandersetzungen um die berühmten besetzten Häuser friedlich zu beenden.
Er setzte sich mit den Hausbesetzern an einen Tisch, warb um deren Vertrauen und handelte eine vertragliche Lösung aus, die bis heute gilt.

Die Protestler gegen Stuttgart 21
wären für einen Regierungschef wesentlich einfacher zu erreichen, da sie aus der Mitte der Gesellschaft stammen und alles andere als an Gewalt interessierte Profirandalierer sind.

Der Stuttgarter Ministerpräsident unterliegt hier einer kapitalen Fehleninschätzung, indem er die Gegner des zehn Milliarden schweren Nonsensprojekts pauschal als undemokratisch diffamiert.
Mappus verdrängt völlig, daß anders als bei den Schanzenkrawallen in Hamburg oder den 1. Mai-Demos in Berlin eine klare Mehrheit der Bevölkerung mit den Demonstranten sympathisiert.
Die Impudenz des Monats hat Merkels unerwartete Positionierung pro Stuttgart 21 als Aufforderung zum harten Durchgreifen mißverstanden.
Er kommt aus einem so konservativen Umfeld, daß er irrtümlich davon ausgeht, er sammele Pluspunkte, wenn er gegen vermeidlich „liberale“ Auswüchse der Gesellschaft polemisiere.

Eine Bundesregierung mit einem gleichgeschlechtlich verheirateten Vizekanzler passt dem BW-MP sowieso überhaupt nicht. Viele halten Mappus für reaktionär und geradezu hysterisch schwulenfeindlich.

Die Befürchtungen gründen sich zum einen auf die markigen Sätze, mit denen der CDU-Fraktionschef im Jahr 2005 die Schirmherrschaft des damaligen Sozialministers Andreas Renner (CDU) für den Christopher Street Day in Stuttgart verurteilt hat. Von einem solchen "frivolen, karnevalesken Zurschaustellen sexueller Neigungen" sollten sich Christdemokraten besser fernhalten, polterte Mappus. Er habe in puncto Toleranz keinerlei Nachholbedarf, aber da werde "versucht, auf eine für mich abstoßende Art und Weise eine Woche lang Veranstaltungen durchzubringen, die wir ablehnen". Im Rückblick war das wohl der Anfang von Renners schmählichem Ende.
Genährt werden die Befürchtungen auch durch die Pressemitteilung, mit der sich Mappus und der sozialpolitische Sprecher der Landtags-CDU im Juli gegen ein Adoptionsrecht für gleichgeschlechtliche Paare aussprachen. "Geradezu unerträglich" sei der Fall zweier lesbischer Frauen, hieß es darin, die mittels künstlicher Befruchtung ein Kind in die Welt gesetzt hätten - "kurioserweise mit dem Samen eines homosexuellen Freundes".
(Stuttgarter Zeitung 12.12.2009)

Herr Mappus verkennt nicht nur die gesellschaftliche Realität; er hat auch seine Parteichefin noch nicht verstanden.
Daß sich die „oberste Anästhesistin der Bundesrepublik“ (Spiegel) fast immer aus politischen Entscheidungen heraushält, hat neben dem offensichtlichen Grund - bloß niemand verschrecken - eine weitere Ursache:
Sie kann es einfach nicht. In den sehr seltenen Fällen, in denen sich Merkel festlegt, liegt sie immer falsch. Pro Irakkrieg, Pro George Bush, Kirchhofsche Flattax, Kopfpauschale, Bundespräsidenten, Atomkraft for ever, Stuttgart 21.

Unversehens hat sich die Kanzlerin nun mit Stuttgart 21 ein Megaproblem an den Hals geholt.

Die Physikerin der Macht hat sich auf ein neues Experiment eingelassen. In Stuttgart droht es außer Kontrolle zu geraten.
(Roland Nelles, SPON, 01.10.10)

Indem sie die Wahl in BW selbst zum großen Plebiszit über den unterirdischen Bahnhof aufbauschte, hat sie ihren südwestlichen Parteifreunden gleich mehrere faule Eier ins Nest gelegt.
- Die Hoffnungen das Desasterprojekt aus dem Wahlkampf heraus zu halten, sind auf ein Minimum eingedampft.
- Die überdeutliche inhaltliche Bewertung pro-Stuttgart-21 von einer Regierung, die bisher so offensichtlich wider die ökonomische und ökologische Vernunft handelte, macht es nicht besser.

Der Ministerpräsident müßte, wenn er klug wäre, deeskalierend wirken und versuchen sich von dem Wahlurnengift Bundesregierung abzusetzen.

Er ist aber alles andere als klug und leidet zudem auch noch an extremer Selbstüberschätzung. Nun will er mit dem Kopf durch die Wand.

Der Proteststurm gegen das Milliardenprojekt der Bahn im Herzen von Stuttgart wirft alle bisherigen Prognosen über die Akzeptanz der Parteien bei den Wählern über den Haufen. Parteien, die für die Verlegung des alten Stuttgarter Kopfbahnhofs unter die Erde votieren, werden derzeit abgestraft. Nur die Gegner - wie die Grünen - profitieren. Sie sind mit derzeit 27 Prozent Zustimmung auf dem Weg zu einer Volkspartei in Baden-Württemberg. Die Lage ist also brenzlig für die CDU, zumal nach den Geschehnissen am Donnerstag, dem 30. September. Die Bilder von weinenden Schülern, die von der Polizei mit Wasserwerfern und Reizgas auseinandergetrieben wurden, machen die CDU mittlerweile auch unter ihren Stammwählern suspekt. Der Protest speist sich nämlich aus der Mitte der Bevölkerung. Es sind Bürgerinnen und Bürger aus allen Schichten der Bevölkerung bei den Demos. Und die sind nicht gut auf die CDU zu sprechen. Mittlerweile sagen langjährige CDU-Wähler sogar offen in die Fernsehkamera, dass sie beim nächsten Gang an die Wahlurnen nicht mehr schwarz wählen.
(Rudolf Rauschenberger, ZDF, 01.10.10)

Die CDU hat außerdem immer noch nicht erkannt, daß wir uns im Jahr 2010 befinden.
Heute kann man nicht mehr seine eigene manipulierende Sicht der Dinge durchdrücken, wenn gelichzeitig schon Dutzende Videos durch die sozialen Netze des www rasen, die eine ganz andere Realität zeigen, als die von der Union Transportierte.

Was hat die Regierung eigentlich geritten ausgerechnet während einer seit Wochen angemeldeten und genehmigten Schülerdemonstration Wasserwerfer und martialisch kostümierte Polizisten loszuschicken?

Die Bilder von zusammengeschlagenen Rentnern und Kindern sind schon durch die Republik gegangen, während Mappus‘ Epigonen die Schuld den Demonstranten zuschieben.

"In einem Rechtsstaat muss man darauf achten, dass Entscheidungen nicht nur getroffen, sondern auch umgesetzt werden", sagt Peter Hauk, Chef der CDU-Landtagsfraktion. Und schiebt den schwarzen Peter auf die andere Seite. "Ich finde es unverantwortlich von Müttern und Vätern, dass sie ihre Kinder nicht nur mitnehmen, sondern auch in die erste Reihe stellen." Hauk gibt den Grünen die Hauptschuld für die Eskalation: "Da geht die Saat, die die Grünen mitgelegt haben, jetzt auf." Im Übrigen wehre er sich dagegen, "mich unter das Diktat von Altkommunisten und Altlinken zu stellen, die in den letzten Wochen die Rädelsführer des Protestes waren". Dass es auch ihr ureigenstes Klientel ist, das gegen "Stuttgart 21" auf die Straße geht, will die CDU im Südwesten nicht einsehen. Die Grünen dagegen werden ihre Umfragewerte in Baden-Württemberg noch weiter verbessern, in manchen Untersuchungen liegen sie schon vor der SPD.
(Florian Gathmann 30.09.10)

Nein, ich glaube nicht, daß der Wähler ein von Schwarmintelligenz durchdrungener Weiser ist, aber ob die Bürgerlichen in BW es bis März schaffen vergessen zu lassen, wie die Stimmung jetzt ist, wage ich zu bezweifeln.
Das könnte sehr übel ausgehen für Mappus.
Merkel wird noch den Tag verfluchen, an dem sie sich an den untergehenden Haudrauf gekettet hat.
Der Kampf um die demoskopischen Herzen hat Mappus womöglich bereitsendgültig verloren.

Wie ist die öffentliche Wirkung der gestrigen Geschehnisse? Auf der einen Seite sah man eine Art basisdemokratischen „Volkssturm“ – 12.000 Demonstranten, viele davon Greise und Jünglinge, unbewaffnet, friedlich, politisch engagiert. Ihre Motivation war und ist eine hehre – in Zeiten der angeblichen Politikverdrossenheit stellten sie sich einem Abrisskommando in den Weg, das mit dem Fällen von Bäumen Fakten für die Unumkehrbarkeit eines milliardenschweren Infrastrukturprojekts schaffen sollte, das lokal und regional von der Mehrheit abgelehnt wird. Auf der anderen Seite sah man die Staatsmacht in ihrer hässlichsten Form – grotesk martialische Einsatzkräfte, die mit äußerster Gewalt den Willen der Volksvertreter gegen das eigene Volk durchzusetzen hatten. Dies ist weiß Gott keine Konstellation, die einem PR-Verantwortlichen im Dienste der Landespolitik gefallen könnte. Mehr noch – dies ist ein Kampf, den der Staat nur verlieren kann, selbst wenn er sein Ziel vordergründig erreicht.
(Spiegelfechter)

Keine Kommentare: