TAMMOX IST UMGEZOGEN / AUS TAMMOX WURDE "TAMMOX-II"

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Donnerstag, 1. Juli 2010

Gott schütze unser Land.

Das Ergebnis von gestern zeigt, daß im politischen Kandidatenfindungsprozess keineswegs die geeignetsten Menschen in die entsprechenden Posten rutschen.
Dabei meine ich nicht „geeignet“ im ganz allgemeinen Sinne - so wie sich mancher zum Beispiel Helmut Schmidt in eine Regierungsposition wünscht.

Jemand, der nicht Mitglied von SPD, FDP oder CDU/CSU ist, hat nur theoretische Chancen in das höchste Staatsamt zu kommen.
Ein Grüner wäre eine riesige Überraschung.
Mitglieder der Linken oder gar Nichtparteimitglieder sind chancenlos.

Dabei muß auch endlich mal klar gesagt werden, daß Horst Köhler zwar der Mehrheit des Urnenpöbels 2004 unbekannt war, aber das heißt keinesfalls, daß er fern des politischen Hauptbetriebs Karriere gemacht hatte, sondern lediglich, daß der Durchschnittsbürger vollkommen verblödet und an politischen Zusammenhängen desinteressiert ist.

Köhler ist seit 29 Jahren CDU-Mitglied und kam schon 1976 ins Bundeswirtschaftsministerium.
Nach vielen Stationen im Bundesfinanzministerium wurde er 1990 Mitglied der Bundesregierung und einer der wichtigsten Staatssekretäre überhaupt. Der zukünftige Präsident übernahm für das Finanzministerium die Maastrichtverhandlungen und die Ausgestaltung der Währungsunion. Köhler war Helmut Kohls Sherpa, also sein direkter Beauftragter bei den G7-Treffen.
Anschließend ging es für den Staatssekretär weiter bergauf.
1993 bis 1998: Präsident des Deutschen Sparkassen- und Giroverbandes.
1998 bis 2000: Präsident der Europäischen Bank für Wiederaufbau und Entwicklung (EBWE).
2004 -2004: Geschäftsführenden Direktor des Internationalen Währungsfonds (IWF).

Die 2004er BILD-Schlagzeile „Horst WER?“ zeigt nur das Bildungsniveau eines ehemaligen Kulturvolks, das sehr genau über „Laff! Oh Laff! Laff ju iiser wei“-Lena, die Brustimplantatsgrößen diverser Fußballer-Ehefrauen und die neuesten Entwicklungen allerlei Vorabend-Soaps Bescheid weiß, sich aber einen Dreck um die wesentlichen finanzpolitischen und wirtschaftlichen Weichenstellungen unseres Landes schert.

Horst Köhler war kein Polit-Außenseiter ist folglich auch nicht deswegen gescheitert.

Er versagte im Amt, weil er nicht über die intellektuelle Autorität verfügte sich Gehör zu verschaffen und unglücklicherweise ein extrem miserabler Redner war, der auch im direkten Gespräch stets unbeholfen genau den falschen Ton traf.

Das alles kombiniert mit einer extremen Eitelkeit, die dazu führte, daß er sich und sein Amt nicht auseinander halten konnte, gab ihm den Rest, da er kleinste Kritik und nicht devot buckelnde Hofberichterstattung als Majestätsbeleidigung empfand.

Manchmal merkt man doch noch, daß die Geschichte der deutschen Demokratie nicht so lang ist.

Da fehlt es an Souveränität eines Citoyens, der um seine Rolle als Bürger und die Rollen der Amtsträger weiß.

Es ist ein Treppenwitz der neueren Geschichte, daß ausgerechnet George W. Bush den Deutschen Parlamentariern einst eine kleine Demokratielektion gab.

Das trug sich zu anläßlich seines Besuches am 23. Mai 2002, am 53. Jahrestag des Inkrafttretens des Grundgesetzes, im Deutschen Bundestag, als er einige wenig unumstrittene Dinge aufsagte:

"Amerika und die Völker in Europa sind mehr als militärische Verbündete, wir sind mehr als bloße Handelspartner: Wir sind Erben derselben Zivilisation. Die Verheißungen der Magna Charta, die Weisheit Athens, die Schöpferkraft von Paris, das unbeugsame Gewissen Luthers, der sanfte Glaube des Franziskus - all das ist Teil der amerikanischen Seele. Die Neue Welt war erfolgreich, weil sie den Werten der Alten Welt treu blieb."

Ob der damaligen amerikanischen Politik kam es aber zu einem sehr deutschen Eklat:

Kurz nachdem Bush mit seiner Rede begonnen hatte, verließ der Grünen-Bundestagsabgeordnete Hans-Christian Ströbele die Sondersitzung des Parlaments. Er halte es nicht für richtig, "für diese Politik begeistert zu klatschen", sagte Ströbele, der ein Gegner der amerikanischen Anti-Terrorpolitik ist. Er habe zunächst die Bundestagsverwaltung gefragt, ob er Zwischenfragen stellen dürfe. "Dies ist nicht erlaubt worden, obwohl die Geschäftsordnung des Parlaments auch bei dieser Sitzung gilt." Bei einem weiteren Störmanöver hielten Parlamentarier der PDS ein Transparent mit der Aufschrift "Mr. Bush + Mr. Schröder: Stop your wars" hoch. Saaldiener entfernten das Plakat, worauf drei Abgeordnete der PDS aus Protest den Saal verließen. Im Plenum und im Publikum wurde Protest gegen das Verhalten der PDS-Politiker laut.
(Spon 23.05.2002)

Presse, Politiker der anderen Parteien und Publikum - alle waren sich einig in ihrer Empörung.
So könne man mit dem US-Präsidenten nicht umgehen.
Man schämte sich kollektiv.
Sehr tief hatte man allgemein noch den Obrigkeitsstaat verinnerlicht.

Der einzige, den diese Lächerlichkeit nicht im Geringsten aufregte, war George W. Bush - über den ich wirklich noch nie in meinem Leben etwas Positives gesagt oder geschrieben habe - aber ganz offensichtlich ist er es aus den USA gewöhnt lautstarke Proteste zu erleben.
Bürger, oder besser Citoyens, die sich amtierenden Politikern mit Plakaten entgegen stellen, sind GWB nicht unbekannt.
Es mag sein, daß er sich gewaltig darüber ärgert - aber dann ist selbst Erbsenhirn GWB schlau genug sich das nicht anmerken zu lassen und solche Proteste zu akzeptieren.

In Deutschland sind einige Volksvertreter da eher im Kaiserreich stehengeblieben, als man widersprechende Untertanen in den Kerker sperren konnte.

Unvergessen natürlich Franz-Joseph Strauß Attacken auf Demonstranten („Ratten und Schmeißfliegen“).

Helmut Kohl raste im Mai 1991 wie ein Walross auf Speed, wütend zum Faustkampf entschlossen in eine Menge, um sich an einem Eierwerfer zu rächen.

Im Mai 2005 rastete Bremens Wirtschaftssenator Peter Gloystein von der CDU komplett aus, als er bei einem Weinfest von der Bühne aus plötzlich begann einen Obdachlosen zu bepöbeln und dann eine Flasche Sekt über dessen Kopf ergoss – mit den hämischen Worten „Hier haste auch was zu trinken“.

Kurt Beck rüffelte im Dezember 2006 einen demonstrierenden Hartz-Empfänger er solle sich erst mal waschen und rasieren.

Die Contenance zu verlieren, ist für einen Top-Politiker immer ein Armutszeugnis - auch wenn Demonstranten oft unfair mit ihnen umgehen.

1994 stand ich bei einer Wahlkampfveranstaltung mit Rudolf Scharping ziemlich nah an einer Gruppe Jusos, die derart laut in ihre Trillerpfeifen bliesen, daß die gesamte Veranstaltung abgesagt wurde. Scharping stand nur ein paar Minuten hilflos auf der Bühne - natürlich in der für ihn typischen extrem phlegmatischen Weise.
Das war lächerlich - für alle Beteiligten. Immerhin gab es auch Scharping-Fans und andere Interessierte, die extra gekommen waren, um zu hören, was er zu sagen hatte.

Im Jahr 2004 war ich im Hamburger Congress Centrum bei einer Rede Gerhard Schröders, der Thomas Mirow für die Hamburg-Wahl 2004 unterstütze.
Die 3000 Plätze waren restlos ausverkauft und es ging hoch her. Mindestens ein Drittel der Anwesenden dürften Protestanten gewesen sein, die mit Plakaten, Gesängen und allerlei anderen Methoden auf den Putz klopften.
Der Bundeskanzler hatte genügend Selbstvertrauen und Routine, um die Demonstranten locker zu kontern, ohne diese zu beleidigen, ohne wie Kohl und Strauß auszurasten, ohne wie GWB gänzlich ungerührt zu bleiben und vor allem ohne das Köhler’sche Beleidigtsein.

Ja, so ist das in der Demokratie - wenn man ein hohes politisches Amt hat, muß man darauf gefasst sein zu polarisieren.
Da gibt es Anhänger, erbitterte Gegner und Indolente, die man permanent überzeugen muß.
Das ist der Normalfall.

Es geht nicht, daß man wie Gu-ido Westerwelle aus tiefer innerer Enttäuschung darüber nicht geliebt zu werden stets zwischen „beleidigt sein“ und „beleidigen“ schwankt.
Es geht nicht, daß man sich wie einige CSU-Politiker für sakrosankt hält. Unvergessen die Impulse der Waigel-Anhänger in den 90er Jahren ob der PDS-Wahlergebnisse in den östlichen Bundesländern die Bundeshilfen zu streichen - nach dem Motto „wählt gefälligst bürgerlich, sonst hungern wir euch aus!“.
Es geht auch nicht, daß man sich hilflos versucht anzubiedern wie Horst Köhler und bei Liebesentzug wie ein schmollendes Kind alles hinwirft.
Es geht aber auch nicht, wie Wulff oder Merkel überhaupt jede Politik zu vermeiden, um bloß nirgends anzuecken.
Nur Rückgratlose verwechseln Meinungsenthaltung mit einer Methode beliebt zu werden.

Es sei an Joschka Fischer erinnert, der äußerst pointiert formulierte und sich überall reichlich Feinde machte - und dennoch weit in alle andere politischen Lager Anerkennung genoß.

In diesem Sinne war Joschka Fischer ein Vollblut-Politiker. Ein Berufspolitiker im besten Sinne.
Einer, der für eine Sache streitet, erbittert mit politischen Gegner fighted, der wahlkämpfen kann und der auch bei Abwahl seinen Hut nimmt und weg vom Fenster ist.

Westerwelle, Köhler, Merkel und Wulff sind dagegen Polit-Amateure, die mit allerlei Komplexen und Befindlichkeiten daher kommen, die ihre Positionen mit diversen Tricks festigen und sich bis zur Unkenntlichkeit verbiegen können.

Solche Typen will ich gar nicht in der politischen Spitze sehen.
Auch nicht als Bundespräsident.

Um auf den Anfang zurück zu kommen: Ja, es hätte auch Politiker gegeben, die gut für das höchste Staatsamt geeignet gewesen wären.
Personen, die sogar aktive Politiker aus großen Parteien sind.
Da ist Norbert Lammert, der immerhin frei reden kann und in der CDU anerkannt ist.

Da ist vor allem Jens Böhrnsen, der von allen unbemerkt vier Wochen einen richtig guten Job gemacht hat - ganz im hanseatischen Understatement:
Würdig, aber genau trennend zwischen hohen Amt und der ganz normalen, bescheidenen Person, die er ist. Perfekt, so wünsche ich mir einen Präsidenten.

Das Gegenteil ist der aktuelle Amtsinhaber.
Ein Emporkömmling aus der Provinz.

Geboren in Osnabrück, aufgewachsen in Osnabrück, Studium in Osnabrück, Referendariat in Oldenburg, seit 1990 wohnhaft in Hannover: so sieht also der Erlöser aus, der Mann, der die groteskeste Staatskrise der Bundesrepublik beenden und uns von dem politischen Alptraum eines um sich greifenden Aussteigertums in den höchsten Ämtern erlösen soll. Christian Wulff repräsentiert den 100-Kilometer-Horizont des schönen flachen Landes namens Niedersachsen, eine deutsche Idylle aus Backsteinen und Weidezäunen und christlicher Union. Wenn das mal keine Sensation auf dem mondänen Staatsbesuchsparkett wird.
(Burkhard Müller-Ullrich auf ach.gut)

Ein Provinzler, der sich jetzt für ganz, ganz groß hält.

An Selbstbewusstsein mangelt es Wulff dabei nicht, versteigt er sich doch zu einem historischen Vergleich, der zumindest Zweifel an seiner Bescheidenheit auslöst: "Denken Sie an Friedrich den Großen und seinen Berater Voltaire. Goethe war Minister und von Humboldt preußischer Beamter", erinnert Wulff. Bei der Frage, ob auch sein Mitbewerber Joachim Gauck ein solcher Berater sein könne, gab Wulff sich gönnerhaft: "Selbstverständlich. Ich halte sehr viel von Joachim Gauck."
(Christian, der Große. 27.06.10)

Ein Gernegroß, der gleich in seiner ersten Ansprache auf GWB macht und mit „Gott schütze unser Land“ endet.

Oh Gott.

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