Freitag, 26. Oktober 2007
Pudding an der Wand
Helmut Schmidt beklagte gestern in der Zeit, daß die heutigen Medien zwar quantitativ enorm zugenommen haben, dafür aber fast gar nicht mehr kontrovers und meinungsfreudig sind. Es herrscht absoluter Mainstream, Feigheit und Kleingeistigkeit. 1998 hatten zwar eine Menge Zeitungskolumnisten die Nase vom Pfälzer Provinzialismus und dem totalen Reformstau der Bundesregierung voll, aber die CDU konnte sich natürlich noch auf die konservativen Verlagshäuser wie Springer verlassen, die Kohl lobten oder via Kirch via Sat1 gefälligen Journalismus betrieben.
Regierungsmitglied war von 1990 – 1998 übrigens auch eine gewisse Frau Merkel – die schon damals tatenlos-tumb zusah, wie alles den Bach runterging.
Ab 2002/2003 klappte dann aber der Pluralismus vollkommen zusammen, als die beiden größten eher liberalen Blättern Stern und Spiegel unverhohlen reine CDU-Propaganda betrieben.
Deren jeweils auffälligste Autoren, Gabor Steingart und Hans-Ulrich Jörges, waren derart hasserfüllt, daß man nur staunend mit den Ohren schlackern konnte.
Jörges, Chef des Berliner STERN-Büros, stand laut Wikipedia an der Spitze der journalistischen Kritiker der Regierung Gerhard Schröders, bezeichnete ihn als "Kanzler von Neverland" und "Dead Gerd walking".
Auch nach dem Regierungswechsel bekam er stets Schaum vorm Mund, wenn es um Rot/Grün ging Im Mai 2006 geriet Jörges in die Kritik mit einem polemischen Kommentar zu Hartz IV unter der Überschrift („Der Kommunismus siegt - Arbeit wird verhöhnt, Nichtstun belohnt.“). Er sprach darin und in einer Sendung von Quasselstrippe Sabine Alkoholix in der gleichen Woche von "2.000 Euro Sozialleistungen", die Familien mit mehreren Kindern unter "günstigsten Umständen" bekommen könnten, konnte auf Anfrage der taz aber nicht konkret erläutern, wie er auf diese Zahl kam.
Steingart, ebenfalls Büroleiter in Berlin – nur für den Spiegel, verlor komplett seine Ausgewogenheit und huldigte dermaßen schleimtriefend der Merkel, daß dem Spiegel nur übrig blieb ihn nach Amerika zu versetzen.
Der wunderbare Journalist Gerhard Hofman hat dieses Phänomen nun in seinem neuen Buch „Die Verschwörung der Journaille zu Berlin“ bewundernswert analysiert.
Hier wird akribisch und in Tagebuchform nachvollzogen wie vom Mai 2005 beginnend die VERÖFFENTLICHTE MEINUNG systematisch Angela Merkel den Weg ebnete. Ob dieser nahezu 100% igen Medienunterstützung und Umfragewerten, die zunächst locker nach einer absoluten CDU-Mehrheit aussahen, ist es schon verblüffend, daß Merkel es noch fertig brachte so sehr zu stümpern, daß die CDU beinahe hinter die SPD zurück gefallen wäre.
2004 begann ich einen sehr guten Freund von mir, der ein strammer Rechter ist und schwor die CDU zu wählen, hartnäckig nach ökonomischen Konzeptionen der CDU auszufragen. Bis heute habe ich keine Antwort erhalten. Er schwärmt stets nur diffus von „Angie“, der er offenbar vor allem anrechnet nicht Gerhard zu sein.
Ein allgemeines Phänomen – weder Stern noch Spiegel haben jemals nachgefragt, was eigentlich nach CDU-Vorstellungen passieren sollte, wenn sie an Ruder kämen.
Kein Wunder – hatte doch Merkel als Parteichefin mit aller Gewalt jegliche programmatischen Diskussionen unterdrückt und alle Exponenten konkreter Vorschläge ins AUS gedrängt. Eine spezielle Erwartungshaltung – eine Kategorie neuer Art war nämlich geboren: Man erwartete einfach NICHTS und wenn Merkel über einen roten Teppich ging ohne hinzufallen oder ohne Tony Blair in den Schritt zu greifen, war es eben schon „viel besser als nichts“!
Auf ihren ersten Auftritt in Brüssel regierte die Presse mit einem kollektiven Kotau. „Lovely Merkel“, die geborene Außenpolitikerin war auf einmal in aller Munde. Dabei hatte sie in Brüssel nur allgemein 11 MRD Euro mehr zugesagt, was natürlich alle anderen erfreute. Im einzelnen waren ihre Vorschläge derart unausgegoren, daß nur drei Tage später ihre eigene EVP-Fraktion den Murx wieder kassierte – das wurde natürlich nicht weiter transportiert.
Volle zwei Jahre konnte sich die Kanzlerin der Herzen sich um jedes Problem mäandern: Zu keinem der großen Probleme, die hierzulande diskutiert werden, gibt es eine Meinung der Frau, die doch eigentlich die Richtlinienkompetenz in Deutschland haben sollte. Afghanistan? Iran? Herdprämie? Onlinedurchsuchungen? ALG-Zahlungen?
Umso erstaunlicher, daß nun in der zweiten Legislaturhälfte doch die homogene Pro-Merkelfront der Meinungsmachern leichte Risse bekommt. So schrieb gestern Stefan Kornelius ein harschen Kommentar unter dem Titel „Die Auster-Politikerin, in dem er aufzeigt, daß Merkel immer für nette Photos und symbolische Bilder taugt (Termin mit Gore, mit dem Dalai Lama,..), aber eben immer vage und weich bleibt. Merkels Klimaziele von Heiligendamm hat die EU gleich wieder kassiert und wird sie doch nicht einheitlich auf der Klimakonferenz in Bali vertreten – der Kanzlerin ist das offenbar vollkommen wurscht. Sarkozy gibt den Ton vor bezüglich der Iran-Sanktionen aber Deutschland als wichtigster Handelspartner der Mullahs schweigt. Amerika und Russland streiten wie die Kesselflicker um den Raketenschild in Europa – nicht die geringste Meinungsäußerung von Merkel dazu. Kosovo-Frage – noch nicht mal ein Schulterzucken aus dem Kanzleramt dazu. Chinesische und indische Unterstützung für die Junta in Burma? – ist Angie doch egal! Türkei will im Irak einmarschieren? Kümmert hier auch niemanden.
Es kommt nur noch Symbolisches, das nichts und alles sagt.
Auch die ausländische Presse kippt – so titelte die Newsweek unter der Überschrift „Lost Leader“ mit einem Bild der vollkommen erlahmten Merkel.
Richtig verblüffend wird es, wenn man in dem Artikel genauer nachguckt, woher die Newsweek ihre Informationen bekommt.
In vier flankierenden Analysen wird auf fünf Seiten ausgebreitet, dass Meinungsforscher einen Linksruck in der deutschen Wählerschaft ausmachen und Merkel sich irgendwie von diesem Zeitgeist einfangen lasse. Jedenfalls wirke sie reformmüde und verfolge unbeteiligt, wie die SPD das Agendawerk 2010 schleife. Die Analysen stammen unter anderem von Hugo Müller-Vogg, dem ultrakonservativen BILD-Kolumnist und Ex-FAZ-Herausgebers und Josef Joffe, dem konservativen Part der „ZEIT“-Führung und Jörg Lau. Die BILD berichtete ausführlich über den Newsweek-Tietel und inzwischen hat sich auch die Ultrakonservative WELT dem Thema angenommen - an diesem Beitrag arbeitete auch die Chefkorrespondentin der Welt mit, Mariam Lau, Ehefrau des in Newsweek zitierten Zeit-Kommentators. Einen Tag vorher war Mariam Lau selbst mit einem Gastkommentar im Wall Street Journal vertreten. Ihre Kronzeugen für den "German Reform Blues" sind Regierungssprecher Ulrich Wilhelm und der als "ausgesprochen konservativ" vorgestellte CDU-Vertreter Volker Kauder.
Na Angie – wenn das mal nicht einreißt! Wenn das so weiter geht, musst Du womöglich noch irgendwann politisch Stellung beziehen!
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