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Sonntag, 30. Mai 2010

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So viele Jahre konnte sich die Klientelpartei FDP auf überwiegend wohlgesonnene Journalisten und Verbände stützen.
Von SPIEGEL über Focus bis zum DIHT war klar, daß die Wirtschaft bei Guidos Mannen in besten Händen wäre.
Dieses absurde Schauspiel ging solange gut, bis sich das Land tatsächlich weitgehend in die Hände der FDP begab.
Denn eine CDU fand in den Koalitionsverhandlungen nicht statt. Merkel nahm sich eine Auszeit und der designierte Finanzminister Schäuble, der jetzt angeblich so tapfer gegen FDP-Irrealismen kämpft, hatte tumb alle Wahnwitzforderungen aus dem Thomas-Dehler-Haus abgenickt.

Das schöne neue Schlaraffenland für die Besitzenden wurde ausgerufen. Das obere Zehntel der Gesellschaft würde von lästigen Abgaben an den sozialistischen Staat befreit und im Zuge dessen käme es wie von allein zu einer völligen ökonomischen Gesundung.
Die Märkte, von ihren Fesseln befreit, entfalteten grenzenlose Kräfte.

Daß wir uns statt in einem Guido‘schen Hirngespinst aber in der Realität befinden kam zum Zeitpunkt der KOalitionsverhandlungenn noch niemanden der Tigerenten-Claqueure in den Sinn.

Journalisten sind Herdentiere. Die wenigsten trauen sich eine eigene Meinung zu.
Sie erinnern an gigantische Gnu-Herden, die sich auf der Flucht vor der Dürre vor einem großen Rubikon zusammenpressen.
Ein großer Fluß, in den aber niemand zuerst springen mag, weil sich keine Individuen aus der Gruppe lösen mögen. Keiner wagt den ersten Schritt.
Irgendwann ist dann aber doch die kritische Masse erreicht; die argumentative Öde im Rücken springen doch einige Tiere los. Sie sind die Initialzündung und dann bricht die ganze Herde auf breiter Front die Uferböschungen hinab.

Nach der Mövenpickspende, den Reiseeskapaden des Außenministers und der spätrömischen Dekadenz-Attacke ist es nun so weit.
Die Fähnchen haben sich gedreht; „Feuer frei gegen die FDP“ lautet nun das Motto fast aller Redaktionsstuben.

Morgen kommt der SPIEGEL mit einer langen Schwennicke-Geschichte heraus:
„In Rekordzeit in eine tiefe Existenzkrise. Stationen eines beispiellosen Niedergangs“

(Ein sehr lustiger Artikel übrigens - bisher nicht online leider)

Westerwelle ist drauf und dran, die tragischste politische Figur der deutschen Nachkriegsgeschichte zu werden. Keiner flog je so hoch und stürzte so schnell so tief ab wie er. Gegen ihn hat Ikarus einen kontrollierten Sinkflug hingelegt.

Letzten Donnerstag schlug in der SZ mal wieder Heribert Prantl zu und listete unter dem Titel „Schlaraffenland, abgebrannt“ die sieben Hauptprobleme der FDP auf.
Zu Recht setzt er auf Platz 1 der Probleme die fehlende Programmatik.

Die FDP hat ein völlig veraltetes Programm. Ihr gültiges Programm, das Wiesbadener Programm, stammt aus dem Jahr 1997, aus der Ära Kohl. Es wurde geschrieben im Glauben an den immerwährenden Aufschwung, im Geist des Neoliberalismus und in Unkenntnis der Groß-Krisen. SPD, CDU und Grüne haben, wie der Göttinger Politologe Franz Walter es formuliert, 'ihren programmatischen Horizont zu Beginn des Jahrhunderts neu vermessen' - die SPD im Hamburger Programm 2007, die CDU in den 'Grundsätzen für Deutschland' des Parteitags von Hannover 2007 und die Grünen beim Parteitag von Berlin 2002. Die Linken haben immerhin im Jahr 2007 'Berliner Programmatische Eckpunkte' formuliert. Die FDP: nichts. Ihr Programm von 1997 hat noch keine Ahnung von weltweiten Finanzkrisen, vom Klimawandel, vom internationalen Terrorismus. Es ist ein Schlaraffenland-Programm, aus dem aber die FDP-Rhetorik nach wie vor schöpft.

Prantl führt die anderen Hauptprobleme korrekt und sachlich auf.
Klug deutet er a priori an, daß man die Liste der Desaster noch weiter führen könnte:

Die FDP hat also Probleme, es sind - mindestens - sieben.

Einen weiteren Punkt möchte ich nennen; Guidos Westerwelles pathologischer Wahrheitsantagonismus hat auf die gesamte Partei abgefärbt.

Aber am stärksten ist es immer noch beim Chef selbst - er bringt es einfach nicht fertig ehrlich zu sein.
Sicher wäre es naiv von Politikern zu erwarten stets ehrlich zu sein - das ist unrealistisch und vielleicht auch gar nicht wünschenswert.

Aber Westerwelle verbiegt grundsätzlich derart die Fakten, daß ihm jetzt keiner mehr glaubt.
Er hat viel zu oft „Feuer“ geschrien.

Er bezichtigte rot/grün der Steuererhöhungen - dabei hatte die FDP in den Kohl-Jahren die Einkommenssteuer auf Maximalsätze getrieben. Dabei hatte die FDP während der Schröder-Zeit gegen jede Steuersenkung gestimmt.

Westerwelle gibt vor für Schwulenrechte einzutreten, dabei hat er im Bundestag gegen das rot/grüne Lebenspartnerschaftsgesetz gestimmt.

Er attackierte die angeblich zu hohen Hartz-Sätze mit gefälschten Zahlen, nach denen eine Kellnerin weniger Geld als Hartz verdiene.


Im viel zitierten Hetzaufsatz, den der Vizekanzler am 11. Februar 2010 in der WELT veröffentlichte, heißt es:

Was sagt eigentlich die Kellnerin mit zwei Kindern zu Forderungen, jetzt rasch mehr für Hartz IV auszugeben? Wer kellnert, verheiratet ist und zwei Kinder hat, bekommt im Schnitt 109 Euro weniger im Monat, als wenn er oder sie Hartz IV bezöge. Diese Leichtfertigkeit im Umgang mit dem Leistungsgedanken besorgt mich zutiefst. Die Missachtung der Mitte hat System, und sie ist brandgefährlich. Wer dem Volk anstrengungslosen Wohlstand verspricht, lädt zu spätrömischer Dekadenz ein.

109 Euro weniger also für jemanden, der arbeitet, als für den Hartz-IV-Empfänger?
Das Rechenbeispiel stammt aus der BILD; dem Presseorgan, das Guidos Intellekt entspricht.

Auf eine kleine Anfrage der Linken rechnete Ursula von der Leyens Ministerium nach:
Das monatliche Lohnspiegel-Bruttogehalt beträgt 1629 Euro. Zuzüglich Kindergeld, -Zuschlag und Wohngeld kommt die Kellnerin auf 2107 Euro; das sind am Ende genau 421 Euro mehr als ihre Hartz-IV-Kollegin. Trinkgelder nicht eingerechnet.

Der Vizekanzler lügt, wenn er sich als Sozialwohltäter wegen der Erhöhung des Schonvermögens feiert.

Westerwelle: Ich habe nicht ein einziges Mal Hartz-IV-Empfänger kritisiert, sondern mit klaren Worten ein System, das zu wenig Treffsicherheit für die wirklich Bedürftigen hat. Schwarz-Gelb hat hier auch schon Verbesserungen erreicht: Das Schonvermögen für Hartz-IV-Empfänger wurde für die Altersvorsorge verdreifacht.

Ein typischer FDP-Satz. Klingt gut, ist aber gelogen!

Tatsächlich ist die Erhöhung des Schonvermögens eine Quersubvention für die Versicherungswirtschaft, die mit dem Gesetz auf Privatkundenaquise gehen kann.

99,8 % der Hartz-IV-Empfänger bringt das rein gar nichts.


Laut einer Berufung auf eine interne Erhebung der Bundesagentur für Arbeit, wurden von Januar bis September 2009 bundesweit 5,554 Millionen Anträge auf das Arbeitslosengeld II bewilligt oder abgelehnt. Darunter waren nur 11.000 Anträge, die wegen mangelnder Hilfebedürftigkeit aufgrund von vorhandenem Vermögen abgelehnt worden sind, das entspricht 0,2 Prozent aller Anträge.
(Thüringer Allgemeine)

Voller Lügen auch die aktuellen Argumentationen der FDP-Größen wider die Finanzmarkttransaktionssteuer.

WESTERWELLE:
Die sogenannte Finanzmarkttransaktionssteuer sieht der IWF aber sehr kritisch, weil sie einfache Sparer belasten kann und nicht nur große Spekulanten. Trotzdem haben wir zugestimmt, dass dieses Instrument in der EU noch einmal geprüft wird. Gleichwohl meinen wir, dass die Steuer auf Finanzaktivitäten, die Financial Activities Tax, sehr viel zielgenauer ist. Denn sie trifft die hochspekulativen Finanzjongleure und nicht die Anlagen von Kleinsparern oder künftigen Rentnern.

Die Finanzmarkttransaktionssteuer würde an die 20 Milliarden Euro einbringen und hochspekulative Anleger treffen.

Westerwelle will diese Zocker schonen und behauptet wahrheitswidrig, sie träfe die Kleinsparer. Richten soll es nun die Aktivitätssteuer, die maximal ein Zehntel einbrächte und den Investmentbankern daher gefiele.



Wer zweimal lügt, dem glaubt man nicht.

Wer hundertmal lügt, heißt Westerwelle.

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