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Donnerstag, 25. März 2010

Matrjoschka

Myriaden Kircheninteressierte haben schon über Joseph Ratzinger geschrieben.
Seine Vita ist bekannt.
Wie jeder über 80-Jährige, der eine internationale Karriere gemacht hat, ist auch der Pontifex kein Simpel, der sich nie geändert hätte.
Nein, der Mann ist polyvalent.

Ratzinger ist aber im Gegensatz zu vielen anderen „Großen“ kein Individuum, dem Sympathien oder Antipathien zufliegen.
Er ist nicht nur unnahbar, sondern vor allem diffuse Reaktionen auslösend.

Es gibt Typen, die sehr viel homogeneren Konnotationen erwirken: Helmut Schmidt, Dalai Lama, Gorbatschow, Karol Woytila, zu Guttenberg und Obama mag eigentlich jeder.

Die Antipoden sind George Bush, Saddam, Roland Koch, Gaddafi und Co - die mag niemand.

Der gegenwärtige Papst gehört in die dritte Kategorie der Spalter. Hendryk Broder, Scholl-Latour, Kissinger, Friedmann, Gysi, Alice Schwarzer und Peer Steinbrück fliegen die Sympathien nicht einfach so zu.
Auch wenn man sie gar nicht mag, so bestreitet man nicht, daß sie ab und an sehr kluge Dinge von sich geben.

Ratzinger hat zusätzlich auch noch eine gehemmter Persönlichkeit, der es widerstrebt aus der Reihe zu tanzen und Pflöcke einzuschlagen.

Persönlichkeit und Bildung prädestinieren Joseph Ratzinger für einen mittleren Posten in der Hierarchie einer konservativen Organisation.

Bekanntlich ist sein jetziger Job aber alles andere als mittelmäßig, sondern die Toppositionen eines Milliardenmitglieder-Vereins.

Von Außen betrachtet sieht es tatsächlich so aus, als ob er eher passiv ganz an die Spitze gespült worden wäre.
Schwer vorstellbar, daß er einst als junger Priester an den Stäben des Vatikantores gerüttelt hätte und grölte „Ich will da rein!“

Nur wer sich ändert, bleibt sich selbst treu.
Soviel Biermann gilt auch für den Ratzinger Sepp.

Sechs Metamorphische Stadien mache ich bisher aus.

(1) Als Student war er scheinbar ganz zugänglich und ließ sich von der sprachlich begabteren Kommilitonin Uta-Ranke-Heinemann bei Latein- und Griechisch-Übersetzungen helfen.
Relativ unumstritten auch seine Rolle als progressiver Antreiber.
Er war der Peritus des Kölner Kardinals Frings und initiierte mit gerade mal Anfang 30 die „Reform des Offiziums“. Er schlug derart forsch Pflöcke ein, daß er später auf Drängen Professor Hans Küngs einen Lehrstuhl für Dogmatik in Tübingen erhielt.

(2) Die Legende geht nun so, daß der junge Professor angewidert von den Studentenunruhen um 1968 aus diesem Reformgewand schlüpfte und seinen ultrakonservativen Kern offenbarte.

(3) Ende der 70er dann die nächste Häutung: Vom Wissenschaftler wurde er zum Frommen und machte eine steile Karriere in der Kirchenhierarchie.
Bischof, Erzbischof, Kardinal und Chef der Glaubenskongregation in Eilschritten.

(4) Als Boss des von ihm selbst einst reformierten „Heiligen Offiziums“ kam dann der Hardliner-Ratzinger zum Vorschein:
Der nahezu allmächtige und gnadenlose Exekutor des Kirchenrechts, der gleich reihenweise Köpfe rollen ließ, wenn Bischöfe auch nur Millimeter von der Vatikanischen Lahrer abwichen.
Die südamerikanische Befreiungstheologie, die sich von den rechtsradikalen Menschenschlächter-Diktatoren absetzen wollte und sich auf die Seite des geschundenen Volkes stellte, rottete der nunmehr „Panzerkardinal“ Genannte quasi im Alleingang aus.
Seinen damaligen einzigen Vorgesetzen, Papst Johannes Paul II, versuchte er ein ums andere mal rechts zu überholen.
So sabotierte Ratzinger die ökumenischen Bemühungen seines Papstvorgängers mit seiner „Dominus Iesus“-Schrift vom August 2000, in der er mal eben feststellte, daß andere christliche Konfessionen noch nicht einmal Kirchen wären.
Später verspottete er Woytilas Amtsverständnis sogar und plauderte wenig charmant über die päpstlichen Jugendtreffen aus, daß es wenig nütze eine Million Teenager zu einem Massengottesdienst zusammen zurufen, wenn anschließend der ganze Platz mit benutzten Kondomen übersät sei. Viel zu verweltlicht und an den Zeitgeist anbiedernd liefen diese päpstlichen Messen ab. Der 78-Jährige Ratzinger schien sich resigniert zurück ziehen zu wollen.

(5) Urplötzlich vom Ehrgeiz gepackt, schlug der Herr der Inquisitionsbehörde bei der Trauerfeier seines Vorgängers erneut Pflöcke ein, wurde schnell und klar zum Nachfolger gewählt. Er schien diesmal sogar eine 180°-Wende absolviert zu haben.
Sein erster großer Auftritt war der Weltjugendtag in Köln, bei dem er sich von „Be-ne-detto!“-Rufen gedopt zu Popstar-Allüren verstieg.
Er reckte nun euphorisch beide Arme empor und fand Geschmack an extravaganter und vor allem TEURER Garderobe.
Es hätte nicht viel gefehlt und er hätte die Bühnen mit Hüftschwung und „Let me - entertain - you“-Gesang à la Robbi Williams besprungen.

(6) Eine Kette von PR-Desastern verwandelte den Pop-Papst Benedetto von 2005 nun zum großen Schweiger.
Es will einfach nichts mehr gelingen. Die Ökumene liegt am Boden, das Verhältnis zu Juden und Moslems ist ruiniert. Deutsche Katholiken wenden sich mit Grauen ab.
Nun schmollt der Pontifex Maximus.

Zu einer weiteren Metamorphose ist er offensichtlich nicht mehr imstande.
Es wird keinen Ratzinger 7.0 mehr geben.
Anders als ein Insekt, das sich von Larve zum Erwachsenen tatsächlich grundlegend ändert, also nicht nur aus seiner Haut schlüpft, ist der Papst immer auch Joseph Ratzinger geblieben.

Insbesondere seine Lebensphase (4) wird nun zu einem gewaltigen Problem.
Damals hatte er 500.000 Kleriker unter Kontrolle zu halten, die ihm alle gehorchten.

Als „Mr Kirchenrecht“ trat er das weltliche Recht so oft mit Füßen, daß ihm diese Entscheidungen nun insgesamt vor die Füße fallen.

Kinderfickende Priester weltweit waren seine Angelegenheit.

Dies ist durchaus wörtlich zu verstehen, denn das Kirchenrecht hat nie die Opfer im Focus, sondern die Täter.
Um die Täter, die Mitglieder des Klerikerstandes waren, zu schützen, mußte Ratzinger 4.0 der oberste Vertuscher des Katholischen Weltreiches werden.

Andreas Zielke beschreibt in der SZ von heute die Unterschiede von weltlichen und Kirchenrecht.

Bedeutsam dabei ist die Systematik, unter der die Strafbarkeit läuft. So wie der Erlass von Johannes Paul II. dem Schutz der "heiligen Sakramente" dient, so definiert der Codex von 1983 die Verstöße gegen jenes sechste Gebot als Vergehen der "Amtsanmaßung" oder der Verletzung besonderer "Verpflichtungen".
Geschützt wird also primär nicht, wie im weltlichen Strafrecht, die sexuelle Selbstbestimmung der Opfer. Geschützt wird vielmehr die Reinheit des "Bußsakramentes" der Beichte (der Priester darf diesen sakralen Akt nicht durch sexuelle Annäherung an den Beichtenden pervertieren) oder sonstiger weihevoller Amtspflichten. Selbst beim Missbrauch von Minderjährigen wird diesen kein autonomes Schutzrecht zugestanden.
Folgerichtig droht die schwerste Strafe nicht für Sexualverkehr mit Kindern, sondern Priestern, die einem "Mitschuldigen an einer Sünde gegen das sechste Gebot des Dekalogs die Absolution erteilen". Diese gelten, vor jeglichem Urteil, schon mit der Tat als exkommuniziert. Hier drückt sich der kanonische Perspektivenwechsel am drastischsten aus. Nicht etwa schlimmere Tatumstände beim Missbrauch des Opfers begründen hier die scharfe Strafe, sondern der Missbrauch des Absolutionsrechts. […] Und um die Differenz zum weltlichen System vollends zu markieren, wird der Beschuldigte einem Verfahren unterworfen, das eher an Kafka als an Recht erinnert. Der Beschuldigte erfährt den Namen des ihn anzeigenden Missbrauchsopfers nicht, eine öffentliche Verhandlung gibt es nicht, die Herrschaft des Verfahrens liegt bei der Glaubenskongregation in Rom, mag das Vergehen auch in Irland oder Südamerika stattgefunden haben. […]
Nicht zufällig endet der gesamte Kodex damit (Art. 1752), dass die "Wahrung der kanonischen Billigkeit und das Heil der Seelen in der Kirche immer das oberste Gesetz sein muss." Strafen in diesem Sinn dient nicht der Schuldvergeltung oder weltlicher Prävention, nicht also dem empirischen Schutz potentieller Opfer, sondern einem spirituellen Zweck, dem Heil der Seelen in einem Reich, das nicht von dieser Welt ist. […] Entsprechend häufig ist die Nicht-Verurteilung, gerade bei Pädophilie. Nach Scicluna führten von den 3000 Beschuldigungen der letzten neun Jahren nur 20 Prozent zu Strafen, bei rund 60 Prozent wurde das Verfahren aus Rücksicht auf den Beschuldigten eingestellt.

Extrem ungünstig für den Papst erweist sich nun der Umstand, daß der weltliche Journalismus nachforscht und seine Erkenntnisse so gar nicht geheim hält.

Eine regelrechte Bombe ließ gestern die NYT platzen.

Es geht um den katholischen Priester Lawrence Murphy, der von 1950 bis 1974 in einer bekannten Schule für gehörlose Kinder gearbeitet hatte.
Murphy hat mindestens 200 gehörlose Jungs sexuell misshandelt.
Die Vorgesetzten wußten das und da sie sexuellen Attacken des Priesters so auffällig und häufig waren, daß sie sich nicht mehr verheimlichen ließen, wandten sie sich an den Chef der Glaubenskongregation in Rom.
Zum Beispiel ist da Rembert G. Weakland, Erzbischofs von Milwaukee, der 1996 mehrfach an "His Eminence", den "Prefect, The Sacred Congregation for the Doctrine of the Faith" Kardinal Ratzinger schrieb und die Vorgänge detailliert schilderte.

Kardinal Tarcisio Bertone aus der vatikanischen Glaubenskongregation antwortete nach über einem halben Jahr und ließ Weakland ein geheimes kirchenrechtliches Verfahren gegen Murphy eröffnen.

Der Beschuldigte war not amused und wandte sich ebenfalls an Ratzinger.
Der heutige Papst tat das was ihm das Kirchenrecht vorschrieb:
Er ignorierte das Leid der Opfer, verweigerte ihnen die Gerechtigkeit und sorgte dafür daß das Erzbistum von Milwaukee das Verfahren stoppte.

Murphy, der inzwischen den Löffel abgegeben hat, konnte unbehelligt und unverurteilt bleiben - Ratzi sei Dank.

Sextäter in der RKK - da werden alle Augen zugedrückt:

Im Jahr 1993 schickt Rembert G. Weakland, der Erzbischof der Diözese Milwaukee, Murphy zu einem Sozialpädagogen. Der legt dort ein umfangreiches Geständnis ab und räumt ein, dass die Vorwürfe gegen ihn der Wahrheit entsprechen. Weitere drei Jahre vergehen, bis der Bischof sich dazu durchringt, Konsequenzen für den Triebtäter in Erwägung zu ziehen. In dem Brief heißt es: "Eine Person hat unter Eid ausgesagt, dass Pfarrer Murphy die Beichte genutzt hat, um zu sündhaften Handlungen gegen das sechste Gebot aufzufordern". Offen gesteht Weakland in dem Brief, weniger an der nötigen Gerechtigkeit interessiert zu sein, als an einer "heilenden Antwort" der Kirche auf den Ärger der Gehörlosen. Immerhin lässt der Bischof in seinem Schreiben keinen Zweifel daran, dass der Priester massiv und über viele Jahre hinweg Schutzbefohlene missbraucht hat. Doch eine Reaktion Ratzingers bleibt aus. (SZ)

Wenn sich Kleriker an den Schwächsten vergreifen, sorgt der Vatikan dafür, daß die Opfer im Stich gelassen werden.
Kinder sind sowieso schwach.
Gehörlose konnten erst Recht auf keine Gnade bei Ratzinger setzen.

Das gleiche Bild in Holland mit blinden Kindern:

Schwere neue Vorwürfe gegen die katholische Kirche: In den Niederlanden sollen Geistliche regelmäßig Kinder einer Blindenschule misshandelt und sexuell missbraucht haben. Demnach vergingen sich die Täter sogar im Klassenraum an ihren Opfern - in Anwesenheit anderer Schüler.
(Spon 18.03.10)

Aus der Nummer wird Benedikt 6.0 nicht mehr rauskommen.

2 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Hier eine Stellungnahme von Uta Ranke-Heinemann, die im öffentlichen Diskurs völlig untergeht und von den meisten Medien einfach ignoriert wird:
http://www.jungewelt.de/2010/02-22/004.php

Tammo Oxhoft hat gesagt…

Vielen Dank für den Link!

Auf die beiden „geheimen“ Schreiben habe ich ja auch schon mehrfach hingewiesen.
Gerade im Moment merkt man aber mal wieder extrem stark, wie der Papst, als der immerhin Hauptverantwortliche und Hauptvertuscher, geschont wird.

Da ist noch sehr viel Aufklärungsarbeit zu leisten.

Die BBC-Dok, auf die Ranke-Heinemann hinweist, habe ich oben auf meinen Blog gesetzt.

LGT