Dienstag, 6. Oktober 2009
Moral ist relativ
Wenn deutsche Politiker ihre außenpolitischen Sonntagsreden über Menschenechte halten und ihre erhobenen Zeigefingerchen tränenrührig umher schwenken, werden meistens Unterdrückte verschiedener Kategorien genannt.
Stufe eins:
Die Luxusklasse der Empörung wird bei unterdrückten Christen bemüht, die in China oder dem Irak nicht so können, wie sie wollen.
Stufe zwei:
Dahinter rangieren diskriminierte Frauen. Genitalverstümmelung und Burka-Zwang gefällt uns nicht, aber irgendwie gehöre das ja auch zur Kultur in archaischen Gebieten.
Ein ausdrücklicher Asylgrund ist das jedenfalls nicht. Frauen zu diskriminieren ist kein moralisches Vergehen, das Handlungsbedarf erzeugt.
Noch nicht einmal zu symbolischen Taten reicht es - oder wurde jemals erwogen Nationen von olympischen Spielen oder anderen Sportereignissen auszuschließen, nur weil sie Frauen verbieten Leichtathletik zu betreiben?
Stufe drei der Unterdrückung sind Kinder.
Sie sterben zu Tausenden jeden Tag an Hunger, müssen sich als Kindersoldaten in Kriegen verheizen lassen und leisten schwere Arbeit in Fabriken oder als Teppichknüpfer.
Dagegen unternehmen wir nicht nur nichts, sondern fördern diesen Zustand sogar aktiv, indem wir begierig in Bangladesch und Vietnam durch Kinderarbeit superbillig hergestellte Textilen kaufen.
Daß tausende Kinder verhungern liegt hauptsächlich an der EU-Agrarpolitik, die in Afrika die Landwirtschaft unmöglich macht und von wem haben wohl die Kindersoldaten ihre Waffen und woher stammen die Mienen, auf die sie treten und verstümmelt werden?
Aus Deutschland - das freut den Staat - bringt ja Arbeitsplätze und Steuereinnahmen.
Die Kehrseite:
Millionen Kinder weltweit sind laut einem neuen Unicef-Bericht Oper von Gewalt, Ausbeutung oder Menschenhandel. Wie das UN-Kinderhilfswerk am Dienstag in Köln mitteilte, müssen mindestens 150 Millionen Kinder unter 15 Jahren hart arbeiten und gehen deshalb unregelmäßig oder gar nicht zur Schule. Zugleich sitzen rund eine Million Minderjährige in Gefängnissen, davon die Hälfte ohne Gerichtsverfahren.
Stufe vier der Unterdrückung: Tiere.
Hier empört sich die Topppolitiker-Kaste eigentlich gar nicht mehr. Aber dafür gibt es Myriaden von kleinen Privatinitiativen, die sich für in Mallorca ausgesetzte Katzen engagieren oder in Andalusien verprügelte Esel beschützen.
Stufe fünf: Schwule.
Sie haben zwar in Dutzenden Ländern die Todesstrafe zu befürchten, aber da diese Linie (in Abstufungen) von all den großen hochmoralischen Religionsführern unterstützt wird, setzt sich kaum jemand für Schwulenrechte ein.
Mal sehen, ob sich das ändert, wenn der große Vorkämpfer der Homorechte, und zukünftige Außenminister „Schwesterwelle“ (taz) den Iran besucht.
Grundsätzlich gilt aber bei moralischen Zeigefingern, daß sie sie bevorzugt denen gegenüber erhoben werden, die ökonomisch am Boden liegen.
Ohne wirtschaftliche Konsequenzen zu befürchten, empört es sich am liebsten!
So entdecken sogar CDU-Politiker ihr Herz für in Burkas gezwungene Frauen in Afghanistan, beklagen die Unterdrückung der Christen im Irak und bejammern die Beschneidung von Somalierinnen.
Alle drei Länder haben für unsere Importwirtschaft derzeit keine Relevanz.
Länder, die ökonomisch bedeutend sind, billionenschwere Staatsfonds jonglieren oder auf enormen Bodenschätzen hocken, werden auffällig weniger mit Menschen- (oder Tier)rechten behelligt.
Ist schon mal jemand auf die Idee gekommen Saudi-Arabien oder Katar zu beschimpfen, weil es dort keine Demokratie gibt und Frauen kein vollständiges Wahlrecht haben?
Ein Treppenwitz der Geschichte, daß das wahabitische Saudi-Arabien der engste Verbündete des Westens ist und vom Lichtjahre demokratischeren und säkulareren Irak verlangt wird eine Demokratie zu etablieren.
In Saudi Arabien heißt es Rübe ab, wenn man nur einen Bibel besitzt - Im Irak des Saddam Hussein waren Christen geschützt; der irakische Vizepremier und Außenminister Tarek Aziz war Christ.
Für einen Staat, der Frauen grundsätzlich keinerlei Teilhabe an der Macht einräumt und antidemokratisch als patriarchische absolute Monarchie gegen die UN-Menschenrechtskonvention opponiert, sammeln wir gar devot die Steuern ein und bezahlen seine Beamten.
Vor den Mächtigen buckeln wir devot.
Geradezu grotesk wird die Situation, wenn aus der Mitte so eines Staates mutige Schritte unternommen werden, während wir uns an der Steinzeit - Fraktion orientieren.
Da ist der Emir von Katar, der plötzlich einen Sender al-Jazira on air gehen läßt, der fröhlich kontrovers diskutiert, Frauen als Anchorwoman beschäftigt und alle gesellschaftlichen Probleme anpackt (Tabu ist nur die Königsfamilie).
Da ist auf einmal eine fulminante iranische Oppositionsbewegung, die sich um den Ex-Premier Musawi schart.
Der neueste Streich:
Ausgerechnet der 85-Jährige König Abdullah von Saudi-Arabien schlägt Pflöcke des Fortschritts ein:
Er eröffnete letzten Monat die König-Abdullah-Universität für Wissenschaft und Technologie (KAUST), an der Frauen und Männer gleichberechtigt nebeneinander studieren können.
Dem extrem mächtigen wahabitischen Klerus trieb das die Zornesröte ins Gesicht.
Scheich Saad bin Nasser al-Schethri aus dem einflussreichen Rat für große Islamgelehrte meldete sich schäumend in einem Interview zu Wort und erklärte es sei inakzeptabel, dass Männer und Frauen gemeinsam unterrichtet würden.
König Abdullah reagierte sofort und machte unmißverständlich klar, was er von der Koranauslegung des Islamgelehrten hielt:
Er feuerte al-Schethri, stellte sich schützend vor die Frauen und handelt sich gerade ganz gewaltigen Ärger mit dem Klerus ein.
Die Welt ist nicht ganz so schwarz-weiß, wie es scheinen mag aus der antiislamischen Brille.
Als in Deutschland noch nicht daran zu denken war, eine Frau in höchste Staatsämter zu wählen - keine Frau hat bis heute eins der Kernministerien (Innen, Außen, Wirtschaft, Finanzen!) in Deutschland bekommen - saßen mit Benazir Bhutto (ab 1988 Premierministerin in Pakistan) und Tansu Çiller (ab 1993 Ministerpräsidentin der Türkei) in islamischen Ländern Frauen schon an den Hebeln der Macht.
Stufe eins:
Die Luxusklasse der Empörung wird bei unterdrückten Christen bemüht, die in China oder dem Irak nicht so können, wie sie wollen.
Stufe zwei:
Dahinter rangieren diskriminierte Frauen. Genitalverstümmelung und Burka-Zwang gefällt uns nicht, aber irgendwie gehöre das ja auch zur Kultur in archaischen Gebieten.
Ein ausdrücklicher Asylgrund ist das jedenfalls nicht. Frauen zu diskriminieren ist kein moralisches Vergehen, das Handlungsbedarf erzeugt.
Noch nicht einmal zu symbolischen Taten reicht es - oder wurde jemals erwogen Nationen von olympischen Spielen oder anderen Sportereignissen auszuschließen, nur weil sie Frauen verbieten Leichtathletik zu betreiben?
Stufe drei der Unterdrückung sind Kinder.
Sie sterben zu Tausenden jeden Tag an Hunger, müssen sich als Kindersoldaten in Kriegen verheizen lassen und leisten schwere Arbeit in Fabriken oder als Teppichknüpfer.
Dagegen unternehmen wir nicht nur nichts, sondern fördern diesen Zustand sogar aktiv, indem wir begierig in Bangladesch und Vietnam durch Kinderarbeit superbillig hergestellte Textilen kaufen.
Daß tausende Kinder verhungern liegt hauptsächlich an der EU-Agrarpolitik, die in Afrika die Landwirtschaft unmöglich macht und von wem haben wohl die Kindersoldaten ihre Waffen und woher stammen die Mienen, auf die sie treten und verstümmelt werden?
Aus Deutschland - das freut den Staat - bringt ja Arbeitsplätze und Steuereinnahmen.
Die Kehrseite:
Millionen Kinder weltweit sind laut einem neuen Unicef-Bericht Oper von Gewalt, Ausbeutung oder Menschenhandel. Wie das UN-Kinderhilfswerk am Dienstag in Köln mitteilte, müssen mindestens 150 Millionen Kinder unter 15 Jahren hart arbeiten und gehen deshalb unregelmäßig oder gar nicht zur Schule. Zugleich sitzen rund eine Million Minderjährige in Gefängnissen, davon die Hälfte ohne Gerichtsverfahren.
Stufe vier der Unterdrückung: Tiere.
Hier empört sich die Topppolitiker-Kaste eigentlich gar nicht mehr. Aber dafür gibt es Myriaden von kleinen Privatinitiativen, die sich für in Mallorca ausgesetzte Katzen engagieren oder in Andalusien verprügelte Esel beschützen.
Stufe fünf: Schwule.
Sie haben zwar in Dutzenden Ländern die Todesstrafe zu befürchten, aber da diese Linie (in Abstufungen) von all den großen hochmoralischen Religionsführern unterstützt wird, setzt sich kaum jemand für Schwulenrechte ein.
Mal sehen, ob sich das ändert, wenn der große Vorkämpfer der Homorechte, und zukünftige Außenminister „Schwesterwelle“ (taz) den Iran besucht.
Grundsätzlich gilt aber bei moralischen Zeigefingern, daß sie sie bevorzugt denen gegenüber erhoben werden, die ökonomisch am Boden liegen.
Ohne wirtschaftliche Konsequenzen zu befürchten, empört es sich am liebsten!
So entdecken sogar CDU-Politiker ihr Herz für in Burkas gezwungene Frauen in Afghanistan, beklagen die Unterdrückung der Christen im Irak und bejammern die Beschneidung von Somalierinnen.
Alle drei Länder haben für unsere Importwirtschaft derzeit keine Relevanz.
Länder, die ökonomisch bedeutend sind, billionenschwere Staatsfonds jonglieren oder auf enormen Bodenschätzen hocken, werden auffällig weniger mit Menschen- (oder Tier)rechten behelligt.
Ist schon mal jemand auf die Idee gekommen Saudi-Arabien oder Katar zu beschimpfen, weil es dort keine Demokratie gibt und Frauen kein vollständiges Wahlrecht haben?
Ein Treppenwitz der Geschichte, daß das wahabitische Saudi-Arabien der engste Verbündete des Westens ist und vom Lichtjahre demokratischeren und säkulareren Irak verlangt wird eine Demokratie zu etablieren.
In Saudi Arabien heißt es Rübe ab, wenn man nur einen Bibel besitzt - Im Irak des Saddam Hussein waren Christen geschützt; der irakische Vizepremier und Außenminister Tarek Aziz war Christ.
Für einen Staat, der Frauen grundsätzlich keinerlei Teilhabe an der Macht einräumt und antidemokratisch als patriarchische absolute Monarchie gegen die UN-Menschenrechtskonvention opponiert, sammeln wir gar devot die Steuern ein und bezahlen seine Beamten.
Vor den Mächtigen buckeln wir devot.
Geradezu grotesk wird die Situation, wenn aus der Mitte so eines Staates mutige Schritte unternommen werden, während wir uns an der Steinzeit - Fraktion orientieren.
Da ist der Emir von Katar, der plötzlich einen Sender al-Jazira on air gehen läßt, der fröhlich kontrovers diskutiert, Frauen als Anchorwoman beschäftigt und alle gesellschaftlichen Probleme anpackt (Tabu ist nur die Königsfamilie).
Da ist auf einmal eine fulminante iranische Oppositionsbewegung, die sich um den Ex-Premier Musawi schart.
Der neueste Streich:
Ausgerechnet der 85-Jährige König Abdullah von Saudi-Arabien schlägt Pflöcke des Fortschritts ein:
Er eröffnete letzten Monat die König-Abdullah-Universität für Wissenschaft und Technologie (KAUST), an der Frauen und Männer gleichberechtigt nebeneinander studieren können.
Dem extrem mächtigen wahabitischen Klerus trieb das die Zornesröte ins Gesicht.
Scheich Saad bin Nasser al-Schethri aus dem einflussreichen Rat für große Islamgelehrte meldete sich schäumend in einem Interview zu Wort und erklärte es sei inakzeptabel, dass Männer und Frauen gemeinsam unterrichtet würden.
König Abdullah reagierte sofort und machte unmißverständlich klar, was er von der Koranauslegung des Islamgelehrten hielt:
Er feuerte al-Schethri, stellte sich schützend vor die Frauen und handelt sich gerade ganz gewaltigen Ärger mit dem Klerus ein.
Die Welt ist nicht ganz so schwarz-weiß, wie es scheinen mag aus der antiislamischen Brille.
Als in Deutschland noch nicht daran zu denken war, eine Frau in höchste Staatsämter zu wählen - keine Frau hat bis heute eins der Kernministerien (Innen, Außen, Wirtschaft, Finanzen!) in Deutschland bekommen - saßen mit Benazir Bhutto (ab 1988 Premierministerin in Pakistan) und Tansu Çiller (ab 1993 Ministerpräsidentin der Türkei) in islamischen Ländern Frauen schon an den Hebeln der Macht.
Abonnieren
Kommentare zum Post (Atom)
5 Kommentare:
Also von den Olympischen Spielen eine Symbolpolitik für egal was erwarten finde ich lustig. Die Olympischen Spiele sind so eine heuchlerische Werbeveranstaltung für die Mächtigen dieser Welt, dass einem schlecht werden könnte. In dem Zusammenhang sollte man nur an China denken, wo das Olympische Komitee auch schon den Ausbruch der Demokratie oder zumindest ganz tolle Reformen verortet hatte. Außer denen hat die aber irgendwie keiner so recht bemerkt.
Die ganze Veranstaltung dient nur dazu, dass die Mächtigen dieser Welt vorführen können, wie toll sie mit technischen, sportlichen und chemischen Mitteln Leute auf höchstleistung trimmen können. Und nichts anderes. Symbole gar politische sind von denen nicht zu erwarten, außer dem, dass sie schon traditionell gerne die Bühne für die eitle Selbstdarstellung von Diktaturen abgeben.
"Genitalverstümmelung und Burka-Zwang gefällt uns nicht, aber irgendwie gehöre das ja auch zur Kultur in archaischen Gebieten.
Ein ausdrücklicher Asylgrund ist das jedenfalls nicht. Frauen zu diskriminieren ist kein moralisches Vergehen, das Handlungsbedarf erzeugt." Naja das ist nicht nur in archaischen Gebieten ein Problem. Derartige Verstümmelungen finden auch hierzulande statt. Und es interessiert keinen. Warum wandern die Verantwortlichen für soetwas nicht reihenweise in den Knast? Auch wenn es tatsächlich Hohlbratzen gibt (selbst erlebt), die soetwas mit dem ach so kulturellen Hintergrund entschuldigen wollen. So kulturell kann nichts sein, dass es rechtfertigt Leute zu verstümmeln.
Komischerweise wollte man mir aber nciht das Recht zugestehen diesen Leuten eine zu knallen, obwohl das zu meiner Jähzornskultur gehört. Manchmal verstehe ich die Welt nicht.
Schon garnicht auf eine lebensgefährliche Art und Weise. Genauso wenig kapiere ich, dass das kein Asylgrund ist.
Nachtrag:
bist du sicher, dass Stufe 3 und Stufe 4 nicht ausgetauscht werden müssen?
@OC...
Stimmt, 3 und 4 sind eigentlich auszutauschen.
Ich erinnere mich gerade an eine TV-Sendung, in der 1990 erstmals über die unfassbar abartigen Zustände in Rumänischen Kinderheimen berichtet wurde.
So einen Horror hatte ich bis dahin noch nie gesehen.
Später erfuhr man dann von den TV-Journalisten, daß es hunderte von Zuschauerzuschriften gab - alle wollten Geld spenden. Allerdings nicht für die Kinder, sondern für zwei Fohlen, über die in derselben Sendung ebenfalls berichtet wurde. Der Besitzer war in Not geraten und überlegte die armen kleinen Pferdchen verwursten zu lassen…..
Und Bezüglich der Genitalbeschneidung - das was Du schreibst, ist exakt das was ich meine. Es gibt diesbezüglich zwar ein paar unerschütterte Politikerehefrauen, oder eben alte Frauenrechtler wie Alice Schwarzer, die das immer mal wieder ansprechen.
Offenbar ist das aber nicht so dringend, daß man auf höherer politischer Ebene was zu unternehmen gedenkt.
Olympia:
Nicht ohne Grund, gilt das IOC als die korrupteste Organisation überhaupt. Meiner Ansicht nach haben internationale Sportfunktionäre ohnehin keine Daseinsberechtigung, außer sich selbst die Taschen vollzustopfen.
Immerhin gab es aber doch den ein oder anderen Pressebericht über die Menschenrechte in China - das war immerhin überhaupt ein Thema (wenn auch kein wichtiges).
Daß man aber Saudi-Arabien oder Kuweit ächten sollte, weil dort Frauen überhaupt keinen Sport betreiben dürfen - oder hat jemand schon mal eine Schwimmerin aus arabischen Staaten gesehen? - habe ich nur einmal von Heiner Geißler gehört.
Das interessiert nicht wirklich.
Moral ist relativ ... und kommt nach dem Fressen (B.Brecht)
Volle Zustimmung zum Post - allein, was sagt uns der? Er sagt uns 'was über Menschen, über durchschnittlich einssiebzig hochgestapelte Zellhaufen ...
Beste Grüße
@ Vogel - vielen Dank.
In meiner Küche hängt ganz oben an der Wand der Spruch:
"Erst kommt das Fressen, dann kommt die Moral!"
MRR hat wie so oft Recht - Brecht ist als Dichter nach wie vor total unterschätzt. Der Spruch ist einfach genial und man findet jeden Tag wieder Situationen, auf die er zutrifft.
LG
T
Kommentar veröffentlichen