Die Zeitaufteilung läuft in solchen Fällen so, daß ich tagsüber Zeitungen und Magazine lese, bzw politische Dinge aus dem Netz suche (irrrgrr - habe mir eine gehörige Überdosis Peter-Harry Carstensen eingefangen. Ganz vergessen WIE gräßlich der Typ ist).
Sobald es draußen dunkel wird, steige ich um auf Belletristik.
Für die anspruchsvolle Weltliteratur hat es diesmal nicht gereicht, aber immerhin konnte ich zwei Büchlein durchlesen, die mich schon so vorwurfsvoll vom Regal über dem Bett anglotzen.
In der Nacht von Samstag auf Sonntag mäanderte ich mich durch das gestern schon erwähnte „Küsse, Kämpfe, Kapriolen - Sex im Tierreich“ (von Mario Ludwig und Harald Gebhard, blv Buchverlag 2007) über die diversen Sexualpraktiken und Strategien im Tierreich.
Die Autoren sind Biologen, deren Werk in Rezensionen gefeiert wurde.
Es sei „witzig vermittelt, illustriert mit pfiffigen Cartoons von Sandra Menke“. Sie förderten “Spannendes und Kurioses zu Tage”, das in “spannende Geschichten” verpackt sei, kurzum: „ein wunderbares Buch“.
Sprachlich noch armseliger als die Rezension ist das Buch selbst.
Nun muß der gemeine Biologe kein Thomas Mann sein, aber eine solche stilistische Eintönigkeit, wie sie Ludwig und Gebhard an den Tag legen, sollte einem der Deutschunterricht in der Mittelstufe ausgetrieben haben.
Geradezu zwanghaft bedienen sich die Amateur-Autoren redundanter Floskeln wie „nämlich“, „ja auch“ und „eben“.
Hätten Dr. Kögel und Dr. Dempewolf (Lektorat!) die umgangssprachlichen Füllworte raus gestrichen, wäre das Buch nur halb so dick.
Die hochgelobten Menke-Illustrationen sind, ja natürlich eben auch Geschmackssache; wieso ausgerechnet Biologen Gefallen darin finden die Viecher grundsätzlich primitiv vermenschlicht darzustellen, kann ich nicht beurteilen.
Das optische Desaster wird dadurch verstärkt, daß der Layouter offensichtlich unter Extasy stand und auf beinahe jeder Seite einen rosa unterlegten Kasten einfügte.
Dort sind Teile des Textes fett gedruckt, die offenbar von allein nicht witzig genug wären.
Um das Auge nachhaltig zu matern, ist dieses rosa auch noch von einem noch kreischigeren anderem rosa gestrichelt umrahmt.
Die Tripel-aufgepeppten Textüberschriften zeugen von schweren Kreativdefiziten.
Darin heißt es beispielsweise „war Flipper homosexuell?“, „Aufreißstrategie: einen auf guter Vater machen“ oder „Prostitution bei Bonobos“.
Was „Küsse, Kämpfe, Kapriolen“ extrem ärgerlich macht, ist die Tatsache, daß das Buch dem geneigten Humoraffinen oder Hobbybiologen absolut nichts Neues bietet.
Inhaltlich ist alles schon mal da gewesen und zwar besser!
Dazu verweise ich (erneut) auf das mittlerweile zehn Jahre alte Michael Miersch-Werk „Das bizarre Sexualleben der Tiere“ (Eichborn 1999).
Miersch geling all das, woran Ludwig und Gebhard scheitern:
Interessante Informationen, die tatsächlich kurzweilig und witzig verpackt sind.
Glücklicherweise wurde die nächste Nacht besser; von Sonntag auf heute las ich Blixa Bargelds „Europa kreuzweise. Eine Litanei“ (Residenzverlag 2009).
Nein, man muß die „Einstürzenden Neubauten“ weder mögen, noch kennen, um diesen knappen Reisebericht zu lesen.
Das ist bei den drei Sven-Regener Romanen (die ich sehr schätze!) anders.
Hier empfiehlt es sich durchaus die „Element Of Crime“-CDs gut zu kennen.
Die schummerige angetrunkene Kneipeneinsamkeit, die auf EOC-Konzerten melancholisiert, sollte man im Ohr haben, um Herrn Lehmann folgen zu können.
Bargelds Buch ist kein Roman, sondern auf den ersten Blick ein Restaurant- und Hotelführer.
("Tourtagebuch" nennen es Journalisten. Mit dem Begriff kann ich mich nicht anfreunden, da die Tour nicht die geringste Rolle spielt und man auch nichts darüber erfährt.)
Dies ist kein neues Genre der intellektualisierten Reisenden in Sachen Pop-Musik.
Alex Kapranos legte schon einen Restaurantführer vor:
Sound Bites. Essen auf Tour mit Franz Ferdinand. Kiepenheuer & Witsch, Köln 2007.
Da der Schotte vor seinem Dasein als Stilikone, Sänger und Frontmann tatsächlich Koch war, ist “Sound bites” gewissermaßen naheliegend.
Bargeld geht anders an die Sache heran, denn er ist statt Koch hauptsächlich Intellektueller, Dandy, Kultur-Wissender und Kosmopolit.
Seit dreißig Jahren tourt der gute Mann umher und lebt heute in Peking, San Francisco und Berlin.
Er probiert nicht wie Kapranos neugierig die jeweilige Spezialität des Ortes - egal wie ekelig es sein mag, sondern steuert zielsicher die besten Lokale an und ist offensichtlich in der Lage fundiert zu beurteilen, welches ein guter Wein oder ein gutes Sushi ist.
Stutzig machten mich die Blixa Bargeld-Lorbeeren in den Feuilletons der letzten Wochen.
Oh ha, was waren das für Lobpreisungen.
Till Briegleb überschrieb seinen Artikel am 27. Juni mit
Blixa Bargeld vollzieht noch einmal die notwendige Pop-Konterrevolution“
Vor allem ist dieses Buch eine Litanei, der Residenzverlag bringt eine entsprechende Reihe heraus. Ich musste erstmal eine befreundete Literaturwissenschaftlerin fragen, was eine Litanei überhaupt ist: Eine eher orale Form, die aus der Liturgie stammt und im Prinzip endlos ist. Deswegen ist das Buch auch so flach.
Die usual suspects der Pop-Feuilletons halten Bargelds Buch für sagenhaft arrogant, beeilen sich aber hinzuzufügen, wie kurzweilig er sei.
Der „Mega-Dandy“ selbst sieht das wesentlich nüchterner; Essen sie einfach eine Form der Bildung:
Seit 30 Jahren singe ich jetzt und gebe Konzerte. Die meisten meiner Hobbys, darunter etliche illegale, habe ich zwischenzeitlich aufgegeben. Da bleibt nicht mehr viel außer der Küche. Immerhin reden wir hier von einem Genuss. Gut zu essen bedeutet, sich der Bodenlosigkeit anheimzugeben. Das Barometer ist nach allen Seiten offen. Es verhält sich also ähnlich wie mit dem Drogenkonsum, mit dem Unterschied, dass Restaurantbesuche legal sind. Ich persönlich betrachte den Besuch exzellenter Restaurants übrigens als Bildung. Insofern war die letzte Europatournee für mich auch eine Bildungsreise.
Tatsächlich spart Bargeld fast alles aus, das man in so einem Buch erwarten würde.
Man erfährt NICHTS über die Konzerte, über seine Bandmitglieder oder gar Fans.
Er gibt sich so ungeheuer abgehoben, daß es oft nicht einmal zu grammatikalisch vollständigen Sätzen reicht.
Adjektive Mangelware.
Der Tausendsassa ist eben wichtig und kann sich nicht um Details kümmern.
Dies ist aber nur die halbe Wahrheit, denn auf so einer Tour herrscht auch Öde und Langweile, die auch ein Kulturbraini mit sinnlosem TV-Konsum und Internetgedaddel füllt.
Im Mailänder "Cracco" z.B. läßt sich Bargeld von einem ebenfalls anwesenden koreanischen „Food-Blogger“ so nachhaltig nerven, daß er später in Graz dessen Blog-Eintrag sucht, umständlich transliterieren läßt und sich gehörig ärgert, daß der Koreanischen Essensreisende schreibt er wäre der einzige Gast, der allein aß - obwohl doch Blixa genau gegenüber ebenfalls an einem Einzeltisch speiste.
Ein kurzweiliges und lehrreiches Buch.
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