TAMMOX IST UMGEZOGEN / AUS TAMMOX WURDE "TAMMOX-II"

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Sonntag, 2. März 2008

Tammox als Trendsetter.

In den USA werden bereits seit 1966 seltene Krankheiten in einer Datenbank gesammelt. Mitte der 70er Jahre wurden in dieser Datenbank noch 1.700 Krankheiten verzeichnet. Diese Zahl ist bis heute allerdings auf bereits 17.000 Fälle angewachsen und hat sich damit verzehnfacht. Das Nationale Netzwerk seltener Krankheiten, welches diese Meldung herausgab, spricht von Zuwachszahlen von zwei bis drei Neueinträgen pro Tag.
Es sind also paradiesische Zeiten für Hypochonder. Sie werden Mainstream.
Was man sich bis jetzt umständlich unter Negierung der Realität umständlich und unter vielen Tränen und Qualen selbst einbilden mußte, geschieht heute dem Gesundesten auch von ganz allein: "Es gibt keine Gesunden, sondern nur schlecht Untersuchte!"
Diesen Trend untersuchte schon der SZ-Autor Werner Bartens in mehreren Werken, so in dem wunderschönen Buch „Die Krankmacher“.
Werner Bartens, Jahrgang 1966, ist Arzt, Historiker und Hypochonder. Er studierte Medizin, Geschichte, Germanistik und war als Arzt an den Unikliniken Freiburg und Würzburg tätig; Forschungsaufenthalte in den USA und am Max-Planck-Institut für Immunbiologie. Er ist auch Autor des Bestsellers "Lexikon der Medizin-Irrtümer".
Im „Krankmacherwerk“ überzeugen schon die Kapitelüberschriften wie:

Die ständige Sorge um das fragile Selbst: Leiden mit dem Organ nach Wahl, Stress als Prinzip, Allergisch gegen alles und jeden, Besser leiden in jeder Lebenslage., Leiden für Dumme: Ach, Zucker macht krank?, Leiden für Ossis: Nach der Wende kamen das Fett und die Hämorrhoiden, Modekrankheiten für alle: Die Top Ten und andere Aufsteiger des Jahrzehnts, "Mentale Epidemien" und andere Leiden mit den Medien, Behandlungsresistent bleiben: Diagnosen kann man nie genug haben. Wenn Ärzte Krankheiten erfinden, Psychosomatik für Anfänger: Schuldgefühle und der schwere Weg zur Heilung.

Im Vorwort weist der Autor darauf hin, daß in den Industrienationen die Lebenserwartung unaufhaltsam gen 100 Jahre steigt und insofern die Menschen offenbar immer gesünder werden. Trotzdem klagen immer mehr Menschen über unklare Erkrankungen und diffuse Befindlichkeitsstörungen. Inzwischen gibt es unterschiedliche Leiden für jede Lebenslage. Die Gesellschaft hat sich auch in Gesundheits- und Krankheitsfragen ausdifferenziert. Männer leiden anders als Frauen, Lehrer anders als Ärzte, Wessis anders als Ossis. Nach der politischen Wende 1989 erfolgte auch ein Wechsel der Krankheitsbilder. Asthma und Allergien waren in der ehemaligen DDR, trotz der teilweise erheblichen Umweltbelastung, kaum verbreitet. Auch Hämorrhoiden wurden erst nach der Wende im Osten deutlich häufiger beobachtet.
Eine Krankheit über die ich erst gestern das erste mal las, habe ich tatsächlich aber schon vor 25 Jahren deutlich an eigenem Leib verspürt.
Es war gar grauenhaft, ich litt wie ein Hund im Katzenhimmel und staune immer noch, daß ich die Phase damals ohne SSRI (auch wenn sie angeblich wirkungslos sind) überstehen konnte.
Konkret ging es um die folgenden Symptome: Gefühl der innerlichen Leere, Restless Legs, ununterbrochene Gähnanfälle, Hoffnungslosigkeit, die sich in Stupor steigerten und das zwingende Gefühl, daß die zeit absolut stehenblieb. Die Zeiger meiner Armbanduhr froren förmlich ein und so oft ich auch verzweifelt darauf starrte – eine Minute verging so zögerlich wie sonst eine ganze Stunde.
Erlebt wurde dieses Grauen kollektiv – in einer Gruppe von rund 20 Geplagten, die sich allerdings nicht eine Selbsthilfegruppe tranformieren konnten, da selbstverständlich alle paralysiert und hirnentleert der Kommunikation beraubt waren.
Ob meiner Jugend hielt ich diese fiese Maläse für den Psychologie-Unterricht in der 8. Und 9. Stunde bei der geistig entrückten Frau G.
Offenbar ein Massenwahn, denn auch alle anderen Kursteilnehmer, die so entsetzlich darbten, schoben ihre Qualen dem unfassbar öden und sinnentleerten Unterricht Frau G.‘s in die Schuhe.
Nun endlich weiß ich eine bessere Vokabel:
Es war das „BORE-OUT-Syndrom“!
Diese chronische Unterforderung untersuchten die Schweizer Autoren-Duo Philippe Rothlin und Peter Werder: Für die meisten Arbeitnehmer sei das auf Dauer ein Albtraum. Die beiden Unternehmensberater aus Zürich warnen vor einem neuen Phänomen des modernen Arbeitslebens: Dem "Boreout".
Das Nichtstun und die Langweile werden perfiderweise in ekelhaften Stress transformiert: In der Folge verhalte sich der Boreout-Betroffene paradox: Da sich kein Arbeitnehmer erlauben kann, am Schreibtisch Löcher in die Luft zu starren, entwickele er Strategien, beschäftigt zu wirken, ohne es tatsächlich zu sein. Dieses Versteckspiel, das den eigenen Arbeitsplatz sichern soll, sei "anstrengend und belastend" und damit schlecht für die Gesundheit, warnt Rothlin.
Die Süddeutsche Zeitung erklärt:
Nach Ansicht der auf Belastungsphänomene spezialisierten Psychologin Gabriele Richter von der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA) in Dresden ist die Unterforderung durchaus eine unterschätzte Größe im Berufsalltag. "Unzufriedenheit im Job kann psychosomatische Phänomene wie Magenbeschwerden oder Verspannungen verursachen", sagt die Arbeitspsychologin.
Instinktiv habe ich schon damals in der Schule richtig gehandelt – geradezu prophetisch und ganz ohne die Ratschläge von habilitierten Psychologen, therapierte ich mich weiserweise selbst:
Ich haute irgendwann in den Sack und schmiss den Kurs.

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