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Montag, 23. November 2009

Väter

Eigenartig ist es schon - noch - daß sich derzeit alle naslang deprimierte Fußballer in den Zeitungen zu Wort melden und sowohl BILD-Leser, als auch Hooligan davon in Kenntnis setzen, daß sie sich an Suizid dächten.
Sicher, so ein „Outing“ wäre für den Fan schlimmer, wenn es sich um das handelte, was man üblicherweise mit Outing assoziiert, aber daß auf dem Platz lauter Frustrierte umher laufen, verblüfft den Hertafrosch und Borussenfrontler schon genug.

Was ist aber das Schockierende an einer Depression?
Immerhin ist das eine sehr sehr häufige und somit „ganz normale“ Erkrankung der Hirnchemie.
Mit einer Mortalität von 15 % und bis zu 15.000 Todesfällen im Jahr, ist sie bei Menschen unter 40 Jahren die zweithäufigste Todesursache.
Die Chancen zu überleben sind bei so mancher Krebsart höher.
80% der Suizide erfolgen im Rahmen depressiver Erkrankungen. Depressive Erkrankungen weisen eine erhöhte somatische Komorbidität und Mortalität auf.
Depressionen verursachen 7% der Krankheitslast in Europa.
80% der an Depression leidenden Menschen erhalten keine adäquate Behandlung oder nehmen keine in Anspruch.
Depressionen beeinflussen andere Erkrankungen; so verdoppelt sich das Risiko an einem Herzinfarkt zu sterben.

Das Schockierende an Depressionen ist in Wahrheit, daß sie gut behandelbar sind und möglicherweise alle Todesfälle zu verhindern wären - WENN nicht das soziale Umfeld durch Ignoranz und Häme krankheitsverschlimmernd aufträte.

Beindruckend die Brutalität, zu der Menschen fähig sind.

Eine Gemeinheit, die erstaunlicherweise bei den verwandten Störungen der Botenstoffchemie im Gehirn (Parkinson, MS,..) nicht beobachtet wird.

Kurt Rebmann, der Nachfolger Siegfried Bubacks als Generalbundesanwalt (1977-1990), der sich selbst gerne als „Hardliner“ ansah, ist so ein Beispiel für Brutalität in der Familie.

Man soll über die Toten nur Gutes sagen, aber obwohl Rebmann vor vier Jahren starb, werde ich mich nicht daran halten.

Seinen Sohn, der das vom Papa aufoktroyierte Elitegymnasium nicht schaffte, warf er kurzerhand raus.
Als sich der Teeanger aus Frust in den Alkohol flüchtete, wies Rebmann seine Personenschützer an den eigenen Sohn nicht mehr aufs Grundstück zu lassen.
So verbrachte schon der 17-Jährige Weihnachten 1979 auf der Straße, Rebmann sorgte dafür, daß er schon vor der Gartenpforte des elterlichen Anwesens abgefangen wurde.
Ein Jahr später brachte sich Hans-Peter Rebmann im Alter von gerade mal 18 Jahren um - in Sichtweite des Elternhauses auf einer Parkbank.

Tiefe Einblicke in die Gedankenwelt Rebmanns verdanke ich dem bedauerlicherweise 2003 verstorbenen Wolfgang Korruhn.
Der einfühlsame Journalist hat drei Bücher geschrieben, die ich allesamt dringend zu lesen empfehle:
-Hautnah. Indiskrete Gespräche. 1994.
-Ach du lieber Gott. Irdisches aus dem Himmel,1995
-Dann hab ich's einfach gemacht. Was mir Mörder erzählten. 1995

Zunächst hatte ich gar nicht vor alle Interview-Portraits aus „Hautnah“ zu lesen - aber das sollte sich schnell ändern.
Wer ein bißchen psychologisch interessiert ist, wird in jedem Kapitel seine Freude haben.

Korruhn besucht die Interviewten zuhause - schon seine Eindrücke der Wohnungen/Häuser sind extrem aufschlußreich.

(In der SZ von heute steht, daß Buhrow und Kleber nur noch sogenannte „Wortlautinterviews“ geben. Dabei sind Kommentare, Beobachtungen und Analysen des Fragers nicht erlaubt.)

Was der oberste deutsche Ankläger, Einserjurist (Magna Cum Laude), Grundgesetzkommentator und vielfach preisgekrönte (das Große Bundesverdienstkreuz mit Stern und Schulterband, Senator-Lothar-Danner-Medaille, Verdienstmedaille des Landes Baden-Württemberg) Vorzeigebürger zum Thema Erziehung denkt, macht er unmißverständlich klar:

Prügel und Züchtigungen müssen schon sein - schließlich sei er sowohl von seinem Vater, als auch seiner Mutter pausenlos geprügelt worden und habe es so stets zum Klassenprimus gebracht.

Rebmanns Frau pflichtet bei und selbst Rebmanns Schwester erzählt lobend:
„Die Reitgerte, die Vater noch aus dem Ersten Weltkrieg hatte, lag für uns Kinder immer bereit!“

Daß die Methode bei seinem Hans-Peter offenbar versagt hatte, ficht ihn nicht an - denn sein Tod kam wenig überraschend.
Hans-Peter und Tochter Regine waren Zwillinge, der Bruder kam einige Minuten später zur Welt.
Nach Ansicht Rebmanns sei der erstgeborene Zwilling stets viel kräftiger und überlebensfähiger.
Die Jüngeren seien „eben sehr sensibel“.
„Sensibilität“ ist im Rebmann-Kosmos eine üble Sache; in einem Atemzug mit Depressivität oder Lebensuntauglichkeit zu nennen.

Immerhin - das muß man ihm lassen - in dem Sinne ist Vater Rebmann, der hochdekorierte Bundesanwalt, keineswegs sensibel.
Er macht sich nicht nur keine Vorwürfe, nein er hat die Causa fein säuberlich abgehakt - gekümmert habe er sich um den kraftlosen Charakter nicht, er ersparte sich sogar den Sohn noch einmal zu sehen, als er tot wear - zur Identifizierung ging seine Frau.
Rebmann hatte den schwächlicheren Sohn abgehakt und kann sich nicht einmal daran erinnern wann und wo er die Todesnachricht bekam.

Nein, zimperlich ist dieser Rebmann nie gewesen - „früher“ (in der Nazizeit) wäre er auch gerne Jurist gewesen:
„So schlecht war ja nicht alles, was der Nationalsozialismus gemacht hat. Schlimm war halt der Rassismus.“ Gut waren hingegen: „Sicherheit und Ordnung. Die Ankurbelung der Wirtschaft, da wurden Autobahnen gebaut, der Neckarkanal weitergeführt usw….ach Gott, wissen Sie, da muß ich jetzt mal so sagen: Wenn sie annehmen würden, man hätte die ganze Judenverfolgung, die ja furchtbar ist, nicht gemacht, und wenn wir den zweiten Weltkrieg nicht geführt hätten, dann wäre das Deutschland gar nicht so schlecht gewesen!“

Ich staune welch fundamentale historische Unwissenheit der hochdekorierte Bildungsbürger und Spitzenjurist uns da offenbart!
Die Wirtschaft brummte im „dritten Reich“, weil Europa und insbesondere Millionen Juden komplett ausgeraubt wurden.
Der Weltkrieg war auch nicht etwa eine Petitesse, die Herr Hitler auch hätte weglassen können - nein, der Krieg war DAS große Ziel allen Strebens, allein daraufhin wurde die Wirtschaft aufgeblasen!
Rüstung - auf Pump finanziert - und anschließend durch Arisierungen und Raub refinanziert.

Ja, aber der Nationalsozialismus hatte eben auch gute Seiten.

Eine davon ist Rebmann bis ins hohe Alter ein großes Anliegen.

Als der Interviewer schon das Haus verlassen will, legt der Ex-Generalbundesanwalt die Causa extra noch auf den Tisch.

Seine Ansicht soll unbedingt in Korruhns Buch:
Die Sünde des Schwulseins!

Rebmann: „Ein Homo hat in meinen Augen einen Macken. Wenn eine Tasse irgendwo angeschlagen ist und da fehlt was, dann hat sie einen Macken. Ich würd schon sagen, daß die krank sind!“

Man kann diese Einstellung dem Träger des Großen Bundesverdienstkreuzes mit Stern und Schulterband nicht verdenken, denn er erlitt ein grauenvolles Trauma:

Einst war er nämlich Verwaltungsdirektor des ZDF und hatte in dieser Funktion einst Alfred Biolek in das Justiziariat gebracht. Eine Personalie, die Rebmann noch Dekaden später zur Weißglut bringt:

„Außerdem ist es eine Sauerei,. Die Homosexualität. Ich war tief betroffen, als auf einem Kanzlerfest mein alter Freund Biolek zu mir sagte: „Darf ich Ihnen meinen Freund vorstellen?“. Das war für mich und meine Frau EIN SCHOCK, daß das sein Homofreund ist. Das hat mich geschockt!“

Homosexualität sei schließlich eine Sünde.
Dass diese Homoperversen überhaupt Juristen werden dürfen (auch Alfred Biolek ist Jurist!), entsetzt den hochgeachteten Grundgesetzexperten.

In seinem eigenen Zuständigkeitsbereich erlitt er das nächste Trauma - im Zuge der Kießling-Affäre, hatte sich ein Bundesrichter „geoffenbart, daß er ein Homo ist“.

Rebmann fackelte nicht lang:

„Ich habe dann sofort seine Ermächtigung, Verschlußsachen zu bearbeiten, zurückgezogen!“

Ich möchte mir gar nicht vorstellen, wie es Hans-Peter Rebmann mit dem Vater ergangen wäre, wenn er auch noch schwul gewesen wäre.

4 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Die Juristen waren mit die furchtbarsten Nazis - sie haben dem menschenverachtenden System überhaupt erst sein Fundament gegeben.

Und sie wurden mehrheitlich nie zur Rechenschaft gezogen!

Allein die Namen derer zu lesen, die einen Kommentar zum Grundgesetz verfasst haben, ist wie ein "Who's who" aus der Nazizeit.

Bei den Juristen gibt es auch einen (sehr makabren) Witz: Warum hat der Freisler keinen Grundgesetzkommentar verfasst? Weil er 1945 bei einem Bombenangriff um's Leben kam.

Aus dieser Ecke stammt im Endeffekt das antidemokratische "Erbe" der Kaiserzeit, das das Verhältnis zwischen unserem Staat und seinen Organen zu den Bürgern bis zum heutigen Tag vergiftet und in seiner Konsequenz schon wieder eine massive Gefahr für die Demokratie an sich darstellt.

Der Nordstern.

Tammo Oxhoft hat gesagt…

@Nordstern.

Und sie wurden mehrheitlich nie zur Rechenschaft gezogen!



Meines Wissens wurden überhaupt keine Jursiten wegen Ihrer Urteile für das Naziregime zur Rechenschaft gezogen.
Im Gegenteil, man hat sie nach 1945 sofort wieder in ihren alten Jobs übernommen.

Das ist grundsätzlich anders gewesen, als mit der SED-Vergangenheit - die ist offenbar verglichen mit den Nazis viel viel schlimmer!


LG
T

Oberclown hat gesagt…

hier mache ich täglich neue philosophische Erfahrungen. Im vorherigen Beitrag habe ich gelernt, es gibt Dinge, die verstehe ich einfach nicht.

Dieser Beitrag baut mich geistig gleich wieder auf, weil Leute wie Rebmann Senior will ich garnicht verstehen können.
Da fühlt man sich in seiner Doofheit gleich etwas besser.

Tammo Oxhoft hat gesagt…

Das ist mal eine schlaue Konsequenz.

Rebmann ist aber echt eine harte Nummer!!!

Das Korruhn-Buch, das eigentlich nie direkt wertet, sondern nur beschreibt, macht im Kapitel Rebmann auch eine gewisse, süffisante Ausnahme.

Der Schlusssatz lautet so schön ambivalent:


"Da kommt Frau Rebmann auch schon in den Keller und fragt, ob ich noch etwas essen wolle, vielleicht einen Kuchen, selbstgebacken.
"Nein danke", sage ich, "ich bin wirklich satt"!


und dann sucht Korruhn offenbar das Weite, bevor Rebi noch mehr aus dem Nähkästchen plauerdert!

Übrigens, ich bin ja kein Jurist - aber ist das nicht vielleicht strafbar, wie Papa Rebmann sich gegenüber seinem Sohn verhalten hat?
Darf man einen 16, 17-Jährigen, offenbar Hilfsbdürftigen, einfach raussetzen und aussperren als Erziehungsberchtigter????

Außerdem würde mich ja dringend interessieren, wie die Zwillingsschester Regine das heutzutage sieht...


tststststs, Leute gibts....

LGT