Tief gebückt

Wie nicht anders zu erwarten, brachte das Spitzenduell Steinmeier-Merkel keinerlei Erkenntnisse.

Im Moment ergibt die news-google-Suche zum Thema „TV-Duell“ über 2.500 Artikel.
Genau wie im sogenannten „Duell“ selbst, herrscht bei der Beurteilung - dem in Wahrheit wichtigeren Aspekt - die ganz große Einigkeit.
Ich fasse kurz zusammen:
Es war langweilig, substanzlos und klang nach einer Bewerbung für die Fortführung der dann nicht mehr so großen K.O.alition.
Unterm Strich dürfte Steinmeier etwas besser rübergekommen sein - die Auswirkungen auf das Wahlergebnis werden marginal sein.

Die ZEIT überschreibt ihre Analyse mit:

Kuschelduell, Selbstbeweihräucherung, saft- und kraftlos: Die Opposition urteilt vernichtend über Merkel und Steinmeier. Die FDP fürchtet um eine schwarz-gelbe Koalition.

Es geschehen noch Zeichen und Wunder - ich stimme der BILD-Überschrift zu:

Yes, we gähn!

Sogar Westerwelle, der Klingelton für Besserverdienende, sagte ausnahmsweise mal etwas absolut richtiges:

"Das war ein Beitrag zur Senkung der Wahlbeteiligung."

Frisuren, Kleidung und Lächelfrequenz sind so ausführlich beplappert worden, daß ich dem nichts zufügen möchte.

Stattdessen füge ich ein paar Sätze zu den Fragestellern an, die sich offensichtlich allesamt gründlich enteiern lassen hatten und eben nur jene Kuschelfragen stellten, dessen Kuschelantworten nun beklagt werden.

Ein sonderbarer Gegensatz zur vorher von den Sendern lautstark gerührten Werbetrommel.

Da wird landauf, landab seit Wochen und Monaten beklagt, daß Merkel sich jeder klaren Stellungnahme entziehe, über dem ganzen Wahlzirkus eine unerträglich zähe, schallschluckende Konsenssoße lastete und die besten Journalisten von vier großen TV-Sendern bringen nicht eine Frage zustande, die unerwartet gewesen wäre?

Ein echtes Armutszeugnis!
Was für lahme lutschige Luschen doch Klöppel und Co sind!

Einen Tick besser, als die drei anderen Tranquilizer des Frager-Tresens war Plasberg, der immerhin das Thema „Gerechtigkeit“ versuchte zu konkretisieren, indem er die 1,3 Millionen arbeitenden Menschen erwähnte, die weniger als den Hartz-IV-Satz verdienen und am Monatsende „vom Amt“ aufgestockt werden.
Leider ließ er Merkel auch sogleich vom Haken, als sie sich vor der Verantwortung für diesen Mindeslohn-losen Zustand drückte.
Angesichts der Regierungsbilanz kann ich es verstehen, daß Merkel sich nicht konkret zur Politik äußert - zumal die Zustimmungsraten ihrer Taktik der wolkigen und substanzlosen Performance recht geben.

Daß aber gleich vier angebliche Top-Journalisten sie widerstandslos mit dieser Tumbtaktik gewähren lassen, ist nicht zu rechtfertigen.

Wären wir im Japan des 17. Jahrhunderts hätten Peter Limbourg, Frank Plasberg, Maybrit Illner und Peter Kloeppel inzwischen demütig Seppukku begangen und ihre Köpfe würden zur Mahnung an zukünftige Journalisten vor den Senderzentralen aufgespießt sein.

(Es war eben nicht alles schlecht in früheren Zeiten)

Ein nicht komplett Rückgrat-Entkernter hätte durchaus Fragen stellen können, die interessant gewesen wären.

Hier einige Beispiele von dezent ausgeklammerten Themen, mit denen Kanzlerin und Vizekanzler nicht konfrontiert wurden.

a.) Frau Merkel, in Ihrer Regierungszeit sind die Waffenexportgenehmigungen in Krisengebiete auf Rekordwerte hochgeschnellt. Weltweit wird so viel Unheil mit deutschem Knowhow angerichtet wie noch nie. Deutschland ist nun der drittgrößte Waffenexporteur der Welt.
Wie vereinbaren Sie das mit Ihrem Selbstverständnis als Christin?

b.) Frau Merkel, in Ihrer Regierungszeit bescheinigt eine internationale Studie nach der nächsten, daß Deutschland viel zu wenig Geld für Bildung ausgibt. Eine Pisakeule nach der nächsten rasselt auf uns runter. 80.000 Schüler eines Jahrganges bekommen überhaupt keinen Abschluss, der Facharbeitermangel wird von Jahr zu Jahr eklatanter.
Gründe sind das dreigliedrige Schulsystem, der verheerende Zustand der schimmelstarrenden, baufälligen Schulen und ein Mangel von mindestens 40.000 Lehrern. Wieso verdummt die CDU systematisch das Deutsche Volk durch ein Forcieren dieser vollkommen irregeleiteten Schulpolitik?

c.) Frau Merkel, in Ihrer Regierungszeit hat sich die Kinderarmut in Deutschland erheblich verschlimmert: Die Zahl der armen Kinder ist innerhalb von 40 Jahren um das 16-fache gestiegen - Deutschland hält unter Industrienationen den Negativrekord. Besonders hart trifft die Entwicklung die Kleinsten der Gesellschaft. 1985 lebten noch sieben Prozent der Kinder in einem Haushalt, der weniger als die Hälfte des deutschen Durchschnittseinkommens bezog. Nun liegen wir bei fast 20%. Wieso hassen Sie Kinder eigentlich so?

d.) Frau Merkel, am Ende Ihrer Regierungszeit greifen so viele frustrierte Jugendliche wie noch nie zur Flasche. Wir halten nun den Europarekord. Der Pro-Kopf-Konsum reinen Alkohols ist in Deutschland mit zehn Litern im Jahr so hoch wie nirgendwo sonst in Europa. "Deutschland nimmt beim Alkoholkonsum eine traurige Spitzenposition ein", sagte Jürgen Rehm, Leiter des Dresdner Instituts für klinische Psychologie und Psychotherapie. Weiter so? Wollen Sie die Alkoholabhängigkeit von Teenagern durch Herdprämie und Restschul-Verwahrung weiterhin ankurbeln?

e.) Frau Merkel, am Ende Ihrer Regierungszeit leistet sich Deutschland derart schlechte Universitäten, die so sehr abschrecken, daß es hierzulande die niedrigste Studierendenquote gibt. Ein Schavan-Studie ergab nun ungeheuer überraschenderweise, daß Studiengebühren noch mehr Bildungswillige abschrecken. Die CDU verlangt aber genau solche Gebühren. Wollen Sie das Bildungsniveau Deutschlands auf kenianisches oder auf surinamesisches Niveau drücken?

f.) Frau Merkel, schon vor Ihrer Regierungszeit hatte Deutschland VON ALLEN 30 OECD-Ländern den höchsten Anteil Menschen, die überhaupt gar kein Einkommen haben und komplett auf soziale Transfers angewiesen sind. Zwischen 1995 und 2005 ist der Anteil der Menschen, die in Haushalten ohne jedes Erwerbseinkommen leben, auf 19,4 Prozent gestiegen. Es gibt also weder in Australien, Belgien, Dänemark, Finnland, Frankreich, Griechenland, Irland, Island, Italien, Japan, Kanada, Luxemburg, Mexiko, Neuseeland, Niederlande, Norwegen, Österreich, Polen, Portugal, Schweden, Schweiz, Slowakei, Spanien, Südkorea, Tschechien, Türkei, Ungarn noch in den USA einen höheren Anteil Menschen, die komplett vom Berufsleben abgekoppelt sind.
Durch Ihre Weigerung einen Mindestlohn einzuführen, wie es ihn in 22 von 27 EU-Ländern bereits gibt, verdienen über eine Millionen Menschen, die Vollzeit arbeiten, noch nicht einmal so viel wieder Hartz-IV-Satz. Die Reallöhne sind im Jahr 2009 um ca vier Prozent zurück gegangen, während die CDU dafür sorgte, daß Managergehälter nicht begrenzt werden.
Empfinden Sie das als eine zielführende Politik angesichts der Tatsache, daß unsere Kaufkraft und Importschwäche die Binnenkonjunktur bereits mehr als alle anderen Länder (außer Japan) abgewürgt hat?

g.) Frau Merkel, am Ende Ihrer Regierungszeit infizieren sich jedes Jahr rund 1,5 Millionen Patienten mit multiresistenten Krankenhauskeimen. An MRSA sterben JEDES Jahr bis zu 40.000 Menschen in Deutschen Krankenhäusern. Das sind über 100 Todesfälle PRO TAG.
Wie das Beispiel Holland zeigt, kann man die Neuinfektionen auf nahezu NULL drücken, wenn der Gesetzgeber entsprechende Hygienevorschriften erläßt. Ihre Bundesregierung hat das bisher verweigert. Wie viele sinnlose Todesfälle täglich sind mit Ihrem Christlichen Gewissen vereinbar, wenn 100 pro Tag Sie noch nicht zum Handeln auffordern?

h.) Eine von Jean-Marie Robine, dem Direktor des französischen Forschungsinstituts Inserm, koordinierte Studie wurde im Frühjahr 2007 mit der Kernaussage abgeschlossen, dass die Hitzewelle 2003 in Europa insgesamt 70.000 Menschen das Leben gekostet hat. Die Münchener Rück sprach 2003 von 23.000 direkten Opfern. Das Rote Kreuz gab 2004 noch bis zu 35.000 Todesopfer an. Überwiegend betroffen waren alte Menschen in Pflegeheimen, die verdursteten, weil sie allein nicht mehr in der Lage waren genügend Flüssigkeit zu sich zu nehmen. Genug Pflegepersonal, um den Damen und Herren Wasser zu geben, haben wir leider nicht. Wieso sahen Sie die letzten vier Jahre keinen Handlungsbedarf?


i.) Frau Merkel, da wir schon beim Thema "Sterben" sind. Die CDU/CSU will den Bürgern den freien Willen entziehen und stimmte am 18.06.2009 gegen den Stünker-Entwurf. Mit dieser Position sind Sie parteipolitisch komplett isoliert. Wieso maßt sich allein die CDU an über andere Leben fremdzubestimmen? Werden Sie diese freiheitsfeindliche Position gegen die überwältigende Mehrheit der Bevölkerung bis 2013 aufrecht erhalten?

Fragen sind das eine.
Wichtig ist natürlich auch, daß man nicht wie Sabbelbine Christiansen oder Anne Willig mit Ohropax in die Diskussion geht und bei den Antworten komplett abgeschaltet den Befragten irgendwas labern läßt.

Ein echter Journalist setzt nach bis die Frage tatsächlich beantwortet ist.

Aber das dürften wohl utopische Verhaltensweisen für einen deutschen TV’ler sein.