Hamburg ist die beste Stadt wo gibt.
Ich möchte nirgendwo anders leben.
Hamburg ist die grünste, schönste, reichste, weltgewandteste und einzig nicht provinzielle Stadt Deutschlands.
Hier regiert das Understatement, man protzt nicht und weiß sich stets zu benehmen. Sehr angenehm auch, daß die Hansestadt eine lange liberale und nicht religiöse, nicht monarchistische Tradition hat. Karneval oder ähnlich schrille religiöse Prozessionen haben hier keine Chance.
Na gut, ein paar Nachteile gibt es auch. Das gebe ich an dieser Stelle ausnahmsweise mal zu. Zum Beispiel sind die Hamburger Wähler seit 2001 unfähig einen unpeinlichen Senat zu wählen.
Permanent wird ein fauler Stümper, der in sieben Jahren Amtszeit noch nicht eine einzige Regierungserklärung abgegeben hat und stets mit Abwesenheit glänzt, wenn etwas schief geht, wieder gewählt.
Der Di-Mi-Do-Bürgermeister
kann nichts und tut nichts, ist aber schwul, was bei den liberalen Hanseaten offensichtlich ausreicht, ihn sympathisch zu finden.
Hofiert und gelobt wird der Regierungschef, der uns Schill und Kusch ins Haus holte, über alle Maßen vom Springer-Konzern. Da haben wir gleich das nächste große Manko Hamburgs:
Obwohl wir zweifellos eine Medienstadt sind (was stark nachläßt, da der Bürgermeister tatenlos und desinteressiert zusieht, wie TV-Stationen und Verlage abhauen), gibt es keine vernünftige Tageszeitung.
Es ist ein Drama! 90 % werden von Springer kontrolliert.
Daneben führen nur noch das kleine sympathische Boulevard-Blättchen „Hamburger Morgenpost“ und die in homöopathischen Auflagen erscheinende TAZ Nischenexistenzen.
Es dominieren das Rechtsaußenblatt „WELT“, die „BILD“ (no comment) und das biedere „Hamburger Abendblatt“.
Zum Abendblatt haben alle denkenden Hamburger eine Dilemma-Beziehung.
Man ärgert sich, man will auch nicht Springer unterstützen, aber man hat es doch abonniert, weil es keine regionale Alternative gibt.
Mit Gruseln denke ich schon an morgen, den Horror-Montag, wenn Hellmuth Karaseks unterirdisch peinliche Kolumne auf der Titelseite prangen wird.
Die Wochenendausgabe ist meist schnell erledigt - insbesondere seit es ein „Journal“ als Beilage gibt, das man in der Regel ungelesen wegwerfen kann.
Bedauerlicherweise habe ich die Hauptgeschichte des aktuellen Journals gelesen - eine auf fünf Zeitungsseiten aufgeblähte Reportage über Martin Luther!
Hier stehe ich. Und kann auch anders
Es interessierte mich,wie Barbara Möller, Berlin-Korrespondentin des "Hamburger Abendblatt", wohl die Fülle der neuen Luther-Erkenntnisse beschreiben würde.
Schließlich haben in den letzten Wochen sämtliche seriösen Periodika ausführlich über Herrn Luder geschrieben. Da gab es beispielsweise den detaillierten Artikel „Der Abfall des Empörers“ von Matthias Schulz
(DER SPIEGEL 44/2008 vom 27.10.2008, Seite 148).
Andere Quellen habe ich in meinem Jubiläums-Posting genannt.
Nun also Barbara Möller als Nachzüglerin des Themas, das von allen anderen Medien bereits gründlich durchgekaut wurde.
Zunächst erfreut sich die Autorin an einem Fäkalausdruck der Eislebener Stadtchefin:
Die Bürgermeisterin schaut besorgt in den grauen Himmel, murmelt etwas von den Wittenbergern, die die besseren Termine für sich reserviert hätten, was zweifellos auf den Sommer anspielt, und seufzt dann: "Wir haben die Geburt, die Taufe, und wir haben ein beschissenes Datum." An solch sprachlicher Unverblümtheit hätte Luther bestimmt seine Freude gehabt. Jutta Fischer regiert Eisleben seit April 2006. So erfrischend resolut, wie sie vorher das Rechnungsprüfungsamt geleitet hat.
Na, wenn das nicht „erfrischend resolut“ ist! Phantastisch. Gar nicht auszudenken, in welche Lobeshymnen die Autorin ausgebrochen wäre, wenn es „verficktes Datum“ oder „verdammtes Kack-Datum“ geheißen hätte.
Die Luther-Werbeperformance der Stadt Eisleben, kritisiert Frau Möller allerdings als zu mau:
Mit Verlaub: Von "Luther-Kult" oder "Geniekult" ist man in Eisleben meilenweit entfernt. Die Reklameanstrengungen gehen hier gerade mal so weit, dass Meike Ehrwerth es gewagt hat, ihr kleines Café am Markt "Luther's Süßes-Stübchen" zu nennen.
Angesichts des Wirbels, den Weimar um Goethe oder Bayreuth um Wagner veranstalten, blickt die Abendblatt-Schreiberin spöttisch auf die Provinz Eisleben und greift angesichts der Goetheschen Luther-Kritik zu gar gewagten sprachgewaltigen Metaphern:
Apropos Goethe: Der hat irgendwann zu seinem Eckermann gesagt, Martin Luther habe "die Finsternis der Pfaffen" geerbt. He, möchte man hinzufügen, der Mann hat das Licht angeknipst! Danach war es aus mit dem Mittelalter! Danach hatte man freie Sicht auf alles, was Rom lieber unter dem Scheffel gehalten hätte.
Donnerschlach! Licht „angeknipst“, wie es eben im elektrifizierten Mittelalter so üblich war.
Abgesehen davon, daß das Sprichwort üblicherweise „unter den Scheffel STELLEN“ geht (falsches Verb, falscher grammatikalischer Fall), verwendet sie es auch noch sinngemäß genau verkehrt herum.
Das biblische Wort (Mt 5, 14-16) meint nämlich, daß man sein LICHT nicht unter den Scheffel stellen soll.
Also etwas GUTES nicht unnötig verdunkeln soll.
Hier sieht man schon stilistisch, was der Unterschied zwischen Abendblatt-Reportern und den sogenannten „Edelfedern“ der großen Feuilleton-Zeitungen wie der Süddeutschen Zeitung ist.
Kommen wir nun zu den inhaltlichen Fragen:
Die Mordlust, Korruption und sexuellen Auswüchse der Sadisten auf dem Stuhle Petri nennt Barbara Möller:
„vorsichtig formuliert, etwas unmoralisches Privatleben.“
und hält Luthers Beschreibung des Papst Julius II. fest:
"als ein Abgott mit unerhörter Pracht" in den Straßen herumtragen ließ, "obwohl er stark und gesund ist"
Luthers Großtaten, listet die Autorin brav auf, obwohl sie längst in der Forschung widerlegt oder korrigiert sind.
Vieles von dem, was man über ihn zu wissen glaubt, ist falsch:
Die 95 Thesen hat er wohl nie an die Schlosskirchentür in Wittenberg geschlagen. Dafür, dass er Kaiser Karl V. ein trotziges »Hier stehe ich, ich kann nicht anders!« entgegenschleuderte, gibt es keinen Beweis. Und seine Übersetzung der Bibel ins Deutsche war mitnichten die erste (allein hat er sie schon gar nicht gestemmt) – vorher gab es bereits 18 gedruckte Übersetzungen. Selbst das Lutherzitat schlechthin: »Wenn ich wüsste, dass morgen die Welt unterginge, würde ich heute noch mein Apfelbäumchen pflanzen« ist die Erfindung eines hessischen Pfarrers aus dem Kriegsjahr 1944.
Ich staune nicht schlecht, wie es dem Abendblatt gelingt sämtliche Augen, inklusive Hühneraugen zuzudrücken und jede wissenschaftliche Erkenntnis zu ignorieren.
Das Märchen von Luthers Armut plappert Frau Möller nach, als ob es nicht gerade dazu im letzten Monat Gegenbeweise in Hülle und Fülle gegeben hätte:
Eine aus diesem "jämmerlich Völklein" hat der weltberühmte Mann im Juni 1525 geheiratet: Katharina von Bora. Schön war sie nicht, und arm war sie auch.
So nennt das Abendblatt eine Adelige, die mit Luther in Saus und Braus lebte und deren Gehöft das reichste der Stadt war. Daß Luther durch seinen Bier - und Delikatessenkonsum aufquoll wie ein Elefant und vollkommen verfettet starb, ummäntelt die Reporterin:
Aber ohne ihre Fürsorge - Katharina von Bora baute eine Badestube ein, zog Gemüse an, züchtete Schweine, braute Bier und gebar ihrem "Herrn Doktor" zwischendurch auch noch sechs Kinder - hätte Luther wohl nie sein für die damalige Zeit enorm hohes Alter von 62 Jahren erreicht.
Ohne den leisesten Hauch von Kritik schreibt Frau Möller auch über von der Bundesregierung unterstützte „Lutherdekade“:
In Wittenberg wird man 2017 den Weltveränderer Martin Luther feiern. Im September hat man dort bereits den Beginn der "Luther-Dekade" ausgerufen. Ein Kuratorium gibt es auch. Geleitet wird es von Wolfgang Huber, ihm zur Seite sitzen die bischöflichen Brüder der reformatorischen Kernlande Thüringen, Sachsen und Sachsen-Anhalt, deren Ministerpräsidenten, der Kulturstaatsminister und sogar der Bundesinnenminister.
Der Staat, in Form von CDU/CSU und SPD-Fraktion agiert hier also als Missionar, der im großen Stil Mitglieder für die Kirche werben soll.
(Einvernehmliche Überweisung des SPD/CDU/CSU-Antrages Ende September an den Tourismus-Ausschuss des Bundestages) Soviel zur angeblich weltanschaulichen Neutralität der deutschen Regierung.
Voller Elan setzen sich Minister, Parteien, Bischöfe und Barbara Möller für den größten Judenhasser des letzten Jahrtausend neben Hitler ein.
Ein Antisemit, wie es ihn schlimmer nicht vor dem 20. Jahrhundert gab.
Unnötig zu erwähnen, daß im Sechsseiten-Artikel des Abendblatts, der am Vorabend des 70sten Jahrestag der Judenpogrome in Deutschland erschien, nicht ein Wort zu Luthers Antisemitismus steht.
Einem Fanatiker, der schrieb:
Luthers 7-Punkte-Plan zur Judenverfolgung: Originaltext
"Erstlich, das man jre Synagoga oder Schule mit feur anstecke und, was nicht verbrennen will, mit erden überheufe und beschütte, das kein Mensch ein stein oder schlacke davon sehe ewiglich Und solches sol man thun, unserm Herrn und der Christenheit zu ehren damit Gott sehe, das wir Christen seien"
2.
“Zum anderen, das man auch jre Heuser des gleichen zerbreche und zerstöre, Denn sie treiben eben dasselbige drinnen, das sie in jren Schülen treiben Dafur mag man sie etwa unter ein Dach oder Stall thun, wie die Zigeuner, auff das sie wissen, sie seien nicht Herren in unserem Lande“
3.
“Zum dritten, das man jnen nehme all jre Betbüchlein und Thalmudisten, darin solche Abgötterey, lügen, fluch und lesterung geleret wird“
4.
“Zum vierten, das man jren Rabinen bey leib und leben verbiete, hinfurt zu leren“
5.
“Zum fünften, das man die Jüden das Geleid und Straße gantz und gar auffhebe“
6.
“Zum sechsten, das man jnen den Wucher verbiete und neme jnen alle barschafft und kleinot an Silber und Gold, und lege es beiseit zu verwaren“
7.
“Zum siebenden, das man den jungen, starcken Jüden und Jüdin in die Hand gebe flegel, axt, karst, spaten, rocken, spindel und lasse sie jr brot verdienen im schweis der nasen“
Es ist und bleibt eine Schande ersten Ranges, daß sich die protestantischen Kirchen nicht entschieden von diesem Apologten des Hasses distanzieren und immer noch stolz an jeder dritten Kirche „Lutherkirche“ prangen haben.
Jener Luther, mit dem sich NS-Bischöfe brüsteten:
Es sind schließlich keine vereinzelten Anwürfe aus dubiosen Quellen, die Luther als größten Antisemiten seines Jahrhunderts bezeichnen, sondern wohl fundierte allgemein bekannte Fakten.
Ursula Homann beschreibt Luthers Fanatismus und endet mit dem frommen Wunsch:
60 Jahre nach Kriegsende und Jahrhunderte nachdem Luther mit der antisemitischen Keule nur so um sich schlug, dürfte das wohl ein Frommer Wunsch sein.
Weitere Originalzitate:
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