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Dienstag, 17. Januar 2012

Bloß nicht!

Bundesblender Christian Wulff nennt es „Stahlgewitter“, die über ihn hereinbrächen und auch bald wieder vergessen wären.
Diese erbärmliche Mitleidsmasche zieht sogar; der Urnenpöbel hat die Nase voll von den täglich neuen „Enthüllungen“ über den Raffgierigen im Schloss Bellevue.
Von „Treibjagd“ ist die Rede.
Dabei ist in diesem Fall ausnahmsweise mal nicht die Schuld der Mainstreampresse in die Schuhe zu schieben.
Hätte der Rabulist an der Staatsspitze gleich die Wahrheit gesagt, wäre das Thema tatsächlich längst erledigt.
Die Medien können aber natürlich nicht Wulffs Mogelantworten als letztes Wort stehen lassen.
Richtig so, ihr großen Zeitungen!

In dieser Gemengelage von genervten Bürgern, die längst den Überblick verloren haben, kommen immer wieder Schlaumeier aus der Deckung, die sich beim Urnenpöbel damit einschleimen, das Staatsoberhaupt müsse eben direkt gewählt werden.

Bürgerbeteiligung! Plebiszitäre Elemente!
Dafür erntet jeder schnell Applaus.
Zu meinem Entsetzen übertrumpfen sich gerade die mir nahestehenden Parteien mit populistischen Forderungen nach mehr Bürgerbeteiligung!
Dabei ist doch die Frage, was eigentlich den normalen Hans und Franz auf der Straße dazu qualifiziert ein Staatsoberhaupt auszuwählen?

Ich behaupte, daß das Stimmvieh noch nicht einmal weiß, wie nach der noch gültigen Verfassung gewählt wird.

Das kann man zu bestimmten Wahlen immer hübsch bei Straßenumfragen sehen.

Fast niemand weiß, wer eigentlich den Bundeskanzler wählt. Überwiegend lautet die Antwort „das Volk“. Es ist aber NICHT das Volk. Das Volk wählt Parteien. Der Bundeskanzler wird von den Bundestagsabgeordneten gewählt.

Wer den Bundespräsidenten wählt ist noch wesentlich unbekannter. Wenn nicht gerade so eine Wahl stattfindet, werden die Modalitäten sofort vergessen.
Ich behaupte, daß die große Mehrheit des Urnenpöbels nicht korrekt „Bundesversammlung“ antwortete und schon gar nicht wüßte, wie sich die Bundesversammlung zusammensetzte.

Und da wir schon bei Staatsspitzen sind: Ich behaupte ferner, daß die überwältigende Mehrheit nicht korrekt beantworten kann, wie eigentlich Verfassungsrichter bestimmt werden und wer den Präsidenten des BVG aussucht.

Welche Personalvorlieben das Wahlvolk hat, wissen wir ziemlich genau: Beliebteste Politikerin ist Frau Merkel.

Muß man noch mehr sagen?

Die beiden letzten Bundespräsidenten waren zum Zeitpunkt ihrer (ersten) Wahl keineswegs Favoriten der Mehrheit, erklommen dann aber schnell Platz eins der Beliebtheitsskala.
¾ der Deutschen fanden Köhler und Wulff zeitweilig ganz toll.

Eine Zustimmung, die einerseits amtsbedingt ist, andererseits an der Desinformation liegt und drittens dadurch bedingt ist, daß der Bundespräsident nichts tut.
Er setzt keine unangenehmen Gesetze durch und ist nur für Schönwetterveranstaltungen zuständig. So jemanden mag man.
Noch heute heißt es in Rückblicken unisono, Herr Köhler sei ein überragender Finanzfachmann gewesen.
Das liegt aber nur daran, daß sich so gut wie niemand daran erinnern kann welch KATASTROPHALE Fehlprognosen Horst Köhler als Helmut Kohls Finanz-Sherpa insbesondere bei der Vereinigung Deutschlands anstellte.

Und seine „freundliche bescheidene Art“ wird deswegen gemocht, weil sich niemand vergegenwärtigte welches Terrorregime Köhler im Präsidialamt führte.
Als Amtsinhaber bekam er regelmäßig Tobsuchtsanfälle und behandelte seine Untergebenen wie den letzten Dreck, so daß zum Schluß die meisten Stellen verwaist waren, weil niemand mit dem Brüllaffen zusammenarbeiten konnte.

Es ist mir aber generell zutiefst suspekt bei jeder zweiten Sach- oder Personalfrage das Volk entscheiden zu lassen. Da betreiben die Volksvertreter Flucht aus der Verantwortung.
Bürger direkt zu befragen bedeutet Entscheidungen nach dem St. Florians-Prinzip.

Ein widerliches Beispiel dafür erlebt man gerade in Hamburg-Jenfeld.
Dorthin hat es nach einer regelrechten Odyssee zwei ehemaliger Sexualstraftäter verschlagen, die ihre Strafe aber längst abgesessen haben und vom EuGH gezwungen aus der Sicherungsverwahrung entlassen werden mußten.

Wohin nun also mit solchen Leuten, die nun einmal FREI sind?

Der Hamburger SPD-Senat wird scharf angegriffen, weil niemand ehemalige Sexualstraftäter als Nachbarn will.
Sobald ruchbar wird, „der ehemalige Sicherungsverwahrte Hans-Peter W.“ könnte in dem Stadtteil einziehen, rotten sich die Anwohner zu einem Mob zusammen, zetern los, bepöbeln den Senat.

Die Nachricht traf sie wie ein Faustschlag. Am Montagmorgen, knapp zwölf Stunden nachdem der ehemalige Sicherungsverwahrte Hans-Peter W. in das gelbe Klinkerhaus an der Straße Elfsaal eingezogen war, erfuhr Diana Scheuermann aus der Zeitung von ihrem neuen Nachbarn. "Wut, Hilflosigkeit, Entsetzen - alle diese Gefühle kamen in diesem Moment in mir hoch", sagt die 38-jährige Jenfelderin. Sofort habe sie ihre beiden Kinder zu den Großeltern gebracht, um mit Anwohnern an der Einfahrt, die zum neuen Zuhause des verurteilten Schwerverbrechers führt, gegen die Unterbringung von Ex-Sicherungsverwahrten auf dem Gelände des Alten- und Pflegeheims Holstenhof zu protestieren.
Bereits um 8.30 Uhr versammelte sich ein Dutzend Jenfelder mit heißem Kaffee im Gepäck zu einer spontanen Mahnwache. "Wir werden hier weiterhin jeden Tag stehen", sagt der Anwohner Ralf Sielmann, der die Protestaktionen organisiert. Er und seine Nachbarn wollten so lange auf die Straße gehen, bis der Senat Hans-Peter W. woanders untergebracht habe. "Wenn es sein muss, versammeln wir uns hier die nächsten elf Monate - bis der Mietvertrag von dem Mann ausgelaufen ist.
(HH Abla 17.01.2012)

Während sich der SPRINGER-Verlag eindeutig auf die Seite der Anwohner schlägt (damit kann man auch so schön die SPD-Regierung fertig machen), mache ich den Senatoren gar keinen Vorwurf.
Die stecken doch in einer NoWin-Situation.
Sie können keinen freien Menschen daran hindern irgendwo zu wohnen und haben sich diesbezüglich schon Podiumsdiskussionen gestellt.

Liebe Jenfelder, wir sind hier nicht mehr im Mittelalter, als missliebige Personen einfach gelyncht wurden.

Dabei ist es ohnehin so, daß die Polizeipräsenz - vier Beamte überwachen Hans-Peter W. 24 Stunden am Tag - die Jenfelder sicherer als die meisten anderen Hamburger macht.

Das erinnert ein bißchen an die ersten SOPRANO-Folgen, als Tony Sopranos Nachbarn sich geradezu um ihn scharen, weil sie genau wissen, daß die Gegend noch nie sicherer war als mit dem Mafia-Boss nebenan, der es nie dulden würde, daß jemand in seiner Gegend dealt oder einbricht. Zudem steht auch noch das FBI rund um die Uhr vor der Tür.

Kommentatorin Stephanie Lamprecht argumentiert ganz ähnlich und RECHT HAT SIE.

Bürger, die sich von irrationaler Angst leiten lassen. Mittendrin: Hans-Jürgen W., der nicht mehr als Mensch gilt, sondern als Zeitbombe gesehen wird. Tickend. Dabei gibt es vermutlich keinen ungefährlicheren Nachbarn als einen älteren Mann, der immer und überall von Polizisten begleitet wird. […]
Stattdessen trauten die Politiker sich nicht einmal, auf der Bürgerversammlung gegen die Aufrufe zur Lynchjustiz aufzustehen. Es ist Zeit, die Maßstäbe wieder geradezurücken. Es ist gefährlich, über eine stark befahrene Straße zu gehen. Es ist nicht gefährlich, an dem Haus vorbeizugehen, in dem Hans-Peter W. wohnt.
(MoPo 16.01.12)

Wenn man sich ein bißchen den hetzerischen Geifer aus dem Gesicht wischt, erkennt man, daß eher der Ex-Sex-Täter geschützt werden muß.

Carsten Schlumbom (53) hat sich extra frei genommen, um W. zu vertreiben. Die Polizei hat bereits eine Bannmeile um W.s Wohnung gezogen und man fragt sich: Wer muss hier eigentlich vor wem geschützt werden? Aus dem Radio hatten die meisten, die jetzt mit Schildern um den Hals um ein Feuer stehen, von W.s Einzug erfahren. „Ich zittere jetzt noch. Wir haben Angst“, sagt Steuerberater Schlumbom.
[…] Die braven Bürger wissen, dass W. irgendwo leben muss. Aber sie haben Angst um ihre Frauen, um ihre Kinder, die jetzt auf einem Umweg zur Schule fahren.
[…] Der Senat wollte alles richtig machen, alle mit ins Boot holen. Und doch ist genau das passiert, was er vermeiden wollte: ein gejagter Ex-Häftling, wütende Nachbarn. Noch weniger mit Ruhm bekleckert hat sich die Opposition: Sie war vor allem froh, nicht selbst entscheiden zu müssen. Der CDU fiel nur ein, W. und weitere Ex-Knackis in den Hafen zu verfrachten. Viel Kritik, wenig Konstruktives.
20 Beamte schieben Schichtdienst, um die Umwelt vor W. zu schützen. Dazu ist ein privater Sicherheitsdienst engagiert. Rechtlich ist der Einsatz höchst fraglich, teuer ist er auch: 100000 Euro gibt der Staat monatlich aus, damit das Desaster von Jenfeld nicht in einer Katastrophe endet.

(MoPo 17.01.12)

Wo kämen wir denn hin, wenn man die Anwohner entscheiden ließe, wer nebenan wohnen darf?

Dann könnte kein Seniorenheim, keine Psychiatrie, kein Kindergarten, keine Schule mehr betrieben werden. Es gibt immer jemand, der sich davon gestört fühlt.

Herr Schlumbom, könnten sie vielleicht mal ein bißchen verbal abrüsten????

Und verstecken sie sich nicht immer vor ihren Kindern, um die es angeblich ginge.

Hans-Peter W. ist kein Pädophiler, er hat sich nie an einem Kind vergriffen.
Da sollten Sie besorgter sein, wenn sie in der Nähe einer katholischen Kirche wohnen!

A propos, die Hüter der Moral, die angeblich so unverzichtbaren Kirchen, kneifen und ducken sich weg, weil sie zu viel Angst haben das Richtige sagen zu müssen und sich andererseits auch nicht trauen gegen einen Ex-Straftäter zu hetzen, weil man dann an die Kinderficker in ihren eigenen Reihen erinnert würde.
Auch auf mehrfach wiederholte Presseanfragen, schweigt sich die kath. Kirche zu der Frage aus, ob man Hans-Peter W. verzeihen müsse, ob man ihm vergeben solle, ob man ihn im Namen der Nächstenliebe nicht willkommen heißen müsse.

Der Fall Jenfeld macht die Kirchen offenbar sprachlos. Wir haben Pastoren von Hamburger Hauptkirchen, den katholischen Weihbischof und Jenfelder Geistliche für ein Interview angefragt. Doch die wollten sich nicht äußern, riefen nicht zurück, hatten keine Zeit.
„Es geht immer um Menschen, um ihre Würde und ihre Rechte. Aber ich verstehe auch die Ängste und die Sorgen innerhalb der Bevölkerung“, ließ Weihbischof Hans-Jochen Jaschke ausrichten. „Alle Seiten müssen im Gespräch bleiben.“ Aha. Für eine klarere Positionierung ist den Kirchen das Thema dann aber offensichtlich zu heiß.
Aber wie will Kirche in einer Gesellschaft relevant sein, wenn sie nicht zu den kritischen Fragen der Zeit Stellung bezieht?
(MoPo 16.01.12)

Kirche!
Völlig überflüssig!



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