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Montag, 23. Januar 2012

Es ist Deutschland hier.

Die 50er Jahre sind vorbei.
Gesellschaftlich betrachtet ist in dem halben Jahrhundert ein Quantensprung vollzogen worden. Uneheliche Kinder müssen sich nicht mehr für ihre Existenz schämen, Lehrer dürfen nicht mehr legal ihre Schüler verprügeln, Schwule werden Landesregierungschefs und Außenminister, ein adoptierter Asiate Vizekanzler und Kanzler ist gar eine geschiedene Frau.

So weit, so gut.

Die große Toleranz ist aber nicht wirklich in den Gehirnen angekommen; man ist nicht wirklich tolerant, sondern akzeptiert zähneknirschend.
Abgesehen davon, daß Westerwelle einfach ein abstoßender Typ und miserabler Politiker ist, wünschen sich sicher viele Konservative einen heterosexuellen Außenminister zu haben.

Die Verbrechen der NSU und Breiviks werden außerhalb der Redaktionsstuben von PI und Kreuznet sicher von der überwältigenden Mehrheit der Deutschen verurteilt.

Aber den halben Weg in die Denkrichtung „zu viele Ausländer, zu viele Muslime,….“ gehen nach verschiedenen Umfragen ein Viertel bis ein Drittel der Deutschen mit.

Der deutsche Antisemitismusbericht liefert - WIEDER EINMAL - Erkenntnisse, für die man sich nur in Grund und Boden schämen kann.
In Deutschland existiert ein Bodensatz aus rund 20% „latenten“ Antisemiten.

Judenfeindlichkeit und negative Stereotypen ziehen sich durch fast alle Bereiche der deutschen Gesellschaft, so das Fazit einer unabhängigen Expertenkommission, die den 204-Seiten-Report zum ersten Mal im Auftrag des Bundestags verfasste und am Montag in Berlin vorstellte.
Nicht nur in rechtsextremen und islamistischen Milieus, auch im Alltag ist der Antisemitismus in "erheblichem Umfang" in der deutschen Gesellschaft verankert, heißt es in der Studie. Es gebe mittlerweile eine "bis weit in die Mitte der Gesellschaft verbreitete Gewöhnung an alltägliche judenfeindliche Tiraden und Praktiken". "Antisemitismus in unserer Gesellschaft basiert auf weit verbreiteten Vorurteilen, tief verwurzelten Klischees und auf schlichtem Unwissen über Juden und das Judentum", sagte der Historiker Peter Longerich.
(SPON 23.01.12)

Diese umfassende Studie wurde noch vom Vorgängerbundestag im Jahr 2008 in Auftrag gegeben.
Irgendwelche Aktivitäten der Bundesregierung gegen den Antisemitismus vorzugehen sind nicht bekannt.

Dabei ist Judenfeindlichkeit ein erstaunliches Phänomen - es tritt nämlich auch und vor Allem ohne Juden auf und ist unter ostdeutschen Jugendlichen aus ländlichen Gegenden am weitesten verbreitet.
Also dort wo praktisch überhaupt keine Juden leben.
Ebenso sieht sich auch die NPD in den Landkreisen "von Ausländern überschwemmt", wo es unter ein Prozent Migraten gibt.
In Hamburg hingegen gibt es fast 500.000 Menschen mit "migrantischem Hinetrgrund" - eine Quote von gut 27 %; aber keine NPD, die damit punktet vor zu vielen Ausländern zu waren.

Den Glatzköpfen in den Klassenräumen ist also auf irgendeine Weise über Dritte ein Hass auf eine Bevölkerungsgruppe anerzogen worden, die sie selbst noch nie zu Gesicht bekommen haben.

Psychologen weltweit erklären, daß Rassismus, Homophobie, Antisemitismus, Misogynie und Xenophobie nicht angeboren sind.
Kinder müssen das erst in ihren Elternhäusern, im Internet, in der Schule lernen.
Und sie erlernen es sehr schnell. „Schwule Sau“ oder „Jude“ sind schon auf dem Grundschulhof gängige Schimpfworte. Rechtsextreme Websites sind sehr effektiv.

Da läuft in der kindlichen Erziehung einiges völlig verkehrt.

Antisemitismus gibt es weltweit; vollkommen unabhängig davon, ob es an dem Ort überhaupt Juden gibt.

In Deutschland scheint der Anteil der antijüdischen Gedanken aber immer noch etwas höher als in anderen europäischen Ländern zu sein.
Der Grund ist offenbar der Holokaust, „den die Deutschen den Juden nie verzeihen werden.“

Der israelische Psychoanalytiker Zvi Rex hatte einst gewitzelt: „Die Deutschen werden den Juden Auschwitz nie verzeihen.“ Damit wollte er sagen, die Juden seien lebende Denkmäler deutscher Schuld. Und Schuldgefühle wird man am besten los, indem man das eigene schlechte Gewissen auf andere projiziert: Die Juden sind an ihrem eigenen Unglück und dem anderer schuld.
(Josef Joffe 13.11.2003)

Ich halte viel von Zvi Rex‘ Theorie.
Juden erinnern die Deutschen immer an ihre Geschichte und das ist keine schöne Erinnerung. Das macht sie sauer.
Ähnlich sieht es der Soziologe Werner Bergmann, Professor am Zentrum für Antisemitismusforschung an der TU Berlin, welcher einer der Autoren der Bundestagsstudie ist.

Bergmann: Ich denke, gerade in Deutschland fühlt man sich durch das Dritte Reich und den Holocaust mit Schuld belastet, die man dadurch abzuwehren versucht, dass man den Juden selber bestimmte "Schandtaten" oder negative Eigenschaften zuschreibt. In Bezug auf Israel ist deutlich, dass dort sehr häufig mit Begriffen operiert wird wie "Apartheids-Staat" oder "Rassengesetze". Man vergleicht den Gaza-Streifen mit dem Warschauer Ghetto, oft ist die Rede von einem Vernichtungskrieg gegen die Palästinenser oder von Genozid - das sind deutliche Zeichen dafür, dass man sagen möchte: "Die Juden sind eigentlich auch nicht besser als wir, also dürfen sie uns nicht immer unsere Verbrechen während des Holocausts vorhalten."
Wenn man sich die Umfrageergebnisse anschaut, gibt es einen sehr hohen Anteil an Befragten, die sagen, sie ärgern sich, den Holocaust immer noch vorgehalten zu bekommen. Dann wird gefragt, wer ein Interesse daran habe und geschlussfolgert, dass die Juden dies aus wenig moralischen Interessen heraus täten. Der Nahost-Konflikt ist also ein Mittel, so eine Täter-/Opfer-Umkehr oder eine Aufrechnung zu formulieren.
[…]

tagesschau.de: Gibt es eine Vermengung von Rassismus und Antisemitismus?

Bergmann: Ich denke, dass es doch etwas Verschiedenes ist. Die Untersuchungen zeigen, dass die Ablehnung von Zuwanderung, von fremden Gruppen und der Rassismus sich primär auf ein Über- und Unterordnungsverhältnis gründen. Man sieht sich selbst als überlegene Gruppe und andere als weniger wert an. Ungleichwertigkeit ist hier das zentrale Moment.
Gegenüber den Juden besteht eigentlich eher umgekehrt ein Gefühl der Unterlegenheit. Man erkennt ihre Leistungsfähigkeit also durchaus an, sieht das aber als Bedrohung der eigenen Gruppe. Der Rassismus spielt Juden gegenüber nicht eine so zentrale Rolle. Auf der extrem rechten Seite geht das dann wieder zusammen, da spielt auch der Rassismus gegen die "fremde Gruppe" eine wichtige Rolle.

tagesschau.de: Wie haben sich judenfeindliche Einstellungen in Deutschland entwickelt?

Bergmann: Die Umfragen von 1949 zeigen, dass die am besten Gebildeten, die Akademiker, die am stärksten antisemitisch geprägte Gruppe waren, nicht etwa wie heute die am wenigsten Gebildeten. Da gibt es eine völlige Veränderung. Wir haben auch noch immer eine Altersstufung, das heißt, je älter die Leute sind, desto weiter sind antisemitische Einstellungen verbreitet. Das hat sich jetzt in den neuen Bundesländern etwas geändert, dort ist jetzt die jüngere Kohorte etwas stärker geprägt als die nächstältere Generation.
(TS 23.01.2012)

Wie weit der alltägliche Rassismus tief im bürgerlichen Milieu, konnte man gestern mal wieder in der Sendung „Cosmo-TV“ in der Geschichte über den kleinen Abel verfolgen.

Abel kam vier Monate zu früh mit einem Gewicht von 540 g auf die Welt.
Er hatte kaum Überlebenschancen. Seine leibliche Mutter war Roma, die sich zufällig in Köln befand und ihn zur Adoption freigab.
Antonia Manteras nahm ihn zu sich und Abel entwickelte sich zu einem Bilderbuchkind, das heute als Achtjähriger eine internationale Schule besucht, drei Sprachen spricht Geige spielt und jede Menge Interessen hat.

Ein Happy End?

Nun ja, als Frau Manteras ihren Nachbarn erzählte, daß Abels leibliche Mutter eine Roma sei, kam die völlig ernst gemeinte Frage:

“hast du nicht Angst, wenn er groß wird und anfängt dich zu beklauen?“

Antonia Manteras lernte hinzu und weiß heute, daß sie besser nicht jedem erzählt, daß die leibliche Mutter ihres Sohnes eine Roma ist.


Es ist Deutschland hier.

2 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Die blödsinnige Frage “hast du nicht Angst, wenn er groß wird und anfängt dich zu beklauen?“ erinnert mich an den Witz über die Adoptiveltern, die Französisch lernen, weil ihr Adoptivbaby französische Eltern hat und sie seine ersten Worte verstehen wollen...

Der Witz funktionierte IMO, weil jedem der Unsinn des Gedankens der Adoptiveltern klar ist - bisher. Ich bin mir jetzt nicht mehr sicher, dass der Witz bei jedem funktioniert. Zumindest bei der/dem Fragesteller/in dürften Zweifel angebracht sein - und die Vermutung eines IQ auf Zimmertemperaturniveau.

Gruß
Omnibus56

PS: Ich habe den Typo in der Frage korrigiert. ;-)

PPS: Dass Ressentiments gegen "Andere" dort besonders intensiv sind, wo diese "Anderen" gar nicht (oder nur sehr wenige) leben, ist IMO darauf zurück zu führen, dass man besonders fürchtet, was man eben gerade nicht kennt. In "Xenophobie" steckt das "Fremde" schon im Wort. Die (stammesgeschichtlich gut erklärbare) Neigung zur Xenophobie passt halt nicht zu Vertrautem, Alltäglichem...

Tammo Oxhoft hat gesagt…

@ Omnibus56

Danke für die Korrektur; da hat ein Tippfehler (d und s liegen ja nebeneinander auf der Tastatur) die Pointe versaut!

Deiner These mit der XENOphobie stimme ich zu.
Ich habe das mehrfach beobachtet, als Freunde von mir Kinder hatte, die ins Kindergartenalter kamen und da ja heutzutage auch mit körperlich und geistig Behinderten gemischt werden (zu meiner Schulzeit hat man die tatsächlich noch mehr „ausgesondert“) und einen völlig unbefangenen Umgang mit ihnen pflegten.
Wenn Kinder von klein auf an Schwarze, Schwule und Co erleben, finden sie die natürlich NICHT bedrohlich und unnormal.

Nur kann man deswegen ja nicht extra Farbige und Juden in die die Grundschulen in Ostbrandenburg karren.
Da müssen schon die Eltern und Lehrer selbst für ein tolerantes Klima sorgen….


LGT