Mittwoch, 25. August 2010
Merkels Planungen und Fehlplanungen
Da mühte sich Angela Merkel ab 1999 mit einer am Boden liegenden und völlig demotivierten CDU ab, um dann 2002 von den Westmännern an die Wand gedrückt zu werden.
Das waren noch Zeiten, als sie die Dreifachquotierte war - Ost, Frau, Protestantin - die devot nach Wolfratshausen zum Frühstück bei Stoiber eilte, um sich dem stammelnden Zauder-Bayern demütig zu beugen.
En Segen für Deutschland allerdings - so blieb uns Rot/Grün noch drei Jahre erhalten und der Irak-Krieg erspart.
Merkel wurde erst einmal wieder auf die Warteposition geschoben und übte sich als „Mrs Njet“, die grundsätzlich alles ablehnte und blockierte.
Sogar von der Opposition aus schaffte sie es die Regierung zu zermürben, indem sie jedes Fortkommen des Landes sabotierte.
Ihre Strategie mutwillig Deutschland soweit in die Krise zu treiben, daß sich der Frust auf der Regierung entlädt, ging auf.
Eine wartende Merkel ist wie Godzilla auf dem Atomkraftwerk: Er rührt sich erst einmal nicht, saugt aber alle Energie auf und wird dabei immer stärker.
Spätestens 2005 hatte Merkel dann endgültig begriffen: Konstruktives arbeiten bringt keinen Vorteil. Aktivität und Reformen werden abgestraft. Destruktivität und Aussitzen wird belohnt.
So kam es, daß spätestens seit ihrem Einzug ins Kanzleramt unbeirrt an ihrer entwickelten „Strategie des wabernden Phlegmas“ festgehalten wurde.
Man sagt mal dies, mal das, lobt vorsichtig, kritisiert auch mal ein wenig, legt sich aber nie fest und vermeidet Entscheidungen, wie der Teufel das Weihwasser.
Bei Schröder hat sie sich abgeguckt, ein Verfahren, das sich nach Trial and Error-Methode als erfolgreich erwiesen hat, a posteriori zur intelligenten Planung umzudeuten.
So hat auch Merkels „ich sitz‘ alles aus!“-Methode inzwischen beeindruckende politologische Dekorationsadjektive erworben.
Merkels persönlicher Demoskopie-Guru und Neologismen-Experte Matthias Jung, der Geschäftsführer der Mannheimer Forschungsgruppe Wahlen, findet schöne Etiketten.
Die CDU-Wahlkampf-Strategie nennt er „asymmetrisch Demobilisierung“; vulgo:
Wenn man selber kein Programm hat, kann einen der Gegner auch nicht angreifen.
Die politischen Mitbewerber werden systematisch eingeschläfert, bis die Wahlbeteiligung so zurück geht, daß „relativ“ immer noch genügend Stimmen bei der allseits beliebten Amtsinhaberin bleiben.
Der ZDF-Mann spricht ebenso gern von "bewusster ideologischer Diffusität".
"Zum Wahlkampfkurs der CDU gab es unter den gegebenen Voraussetzungen keine realistische Alternative", sagt Jung und lobt, was die Kritiker als Profillosigkeit geißeln. "Eine Volkspartei kann heute nur erfolgreich sein, wenn sie sich nicht nur für eine Klientel stark macht, sondern unterschiedlichste Gruppen anspricht."
„Ihr Idioten“ mag die Kanzlerin insgeheim ihre parteiinternen Kritiker schimpfen, die nun von ihr das Undenkbare erwarten.
Die Frau mit der Richtlinienkompetenz soll Richtlinien vorgeben. Die penetrant Unentschiedene soll entscheiden.
Haben die alle nicht begriffen, daß Merkel mit Festlegungen und Verlässlichkeit nie zur CDU-Hydra aufgestiegen wäre?
Im letzten Wahlkampf leistete sich die Kanzlerin einen taktischen Fehler:
Die CDU pochte auf Atomkraft.
Die Chefin, die vermutlich ganz gerne den Atomkonzernen die Laufzeitverlängerung dargeboten hätte, wollte das eigentlich nicht öffentlich kundtun.
Daß es doch dazu kam, war den Parteihardlinern geschuldet.
Den einen Knochen gönnte Merkel ihnen.
Begierig kauten die unteren CDU-Chargen darauf rum und waren beschäftigt.
Und nicht wenige in der Partei waren wie elektrisiert, weil sie sich endlich wieder zu Hause fühlten. Es gab plötzlich etwas Profilbildendes in sehr profilarmen Zeiten. Wenigstens bei einem Thema stand man wieder in einer echten und traditionellen Frontstellung zum politischen Gegner, wo doch Merkels Wahlkampf ansonsten von Konfliktscheu geprägt war. Sicher, längere Laufzeiten wurden wirtschaftlich (geringere Stromkosten) und umweltpolitisch (weniger CO2-Ausstoß) begründet. Die emotionale Bedeutung der Atomkraft ist für viele Christdemokraten aber viel wichtiger gewesen. Sie hatten ein Thema, für das sie seit Jahrzehnten eintreten.
(Stefan Braun 23.08.10)
Diese eine Festlegung kommt nun als Bumerang zurück.
Hatte doch Merkel mit ihren beiden Quälgeistern Horst und Guido einen wolkigen überdimensionierten Koalitionsvertrag aus viel pathetischer Polit-Lyrik, ohne konkrete Absichten und dafür mit fast 100 Prüfaufträgen ausgeheckt.
Ein Wunderwerk, aus dem man alles und nichts lesen kann.
Die niederen Koalitionäre waren so verwirrt von dem vertraglichen Nichts, daß sie bis heute nicht sagen können, wofür schwarzgelb eigentlich steht.
Daß Lindner und Westerwelle immer noch ihre Steuersenkungensteuersenkungensteuersenkungen-Sprüche aufsagen hat ohnehin nur noch kabarettistischen Charakter, nachdem innerhalb von ein paar Monaten die massive Steuer- und Abgabenerhöhungen beschlossen wurden - also das diametrale Gegenteil des Versprochenen.
Schäuble schob mit voller Rückendeckung von Kanzlerin Angela Merkel (CDU) Steuererhöhungen an. Das wird, ausgelöst durch die Regierung, demnächst direkt oder indirekt auf die Bürger einprasseln: ein höherer Krankenkassenbeitrag - bis zu sechs Milliarden Euro; ein höherer Beitrag zur Arbeitslosenversicherung - 1,6 Milliarden Euro; eine Luftverkehrsteuer - etwa eine Milliarde Euro; die Brennelementesteuer - 2,3 Milliarden Euro; eine Finanztransaktionssteuer - zwei Milliarden Euro; eine schärfere Ökosteuer - 1,5 Milliarden Euro. Und als wäre das nicht genug, fordert Saarlands Ministerpräsident Peter Müller (CDU) obendrein, den Spitzensteuersatz anzuheben, weil "starke Schultern mehr tragen müssen als schwache Schultern".
[…] Nicht allein über Steuern, auch über höhere Beiträge langt der Staat den Bürgern in die Geldbörse. So soll der Beitrag zur Arbeitslosenversicherung von derzeit 2,8 Prozent auf 3 Prozent steigen. Fachleute gehen allerdings davon aus, dass die Finanzen der Bundesagentur für Arbeit erst ab einem Beitragssatz von 4 Prozent dauerhaft gesichert sind. Der Beitrag zur Krankenversicherung, so viel steht schon fest, wird angehoben. Im Januar klettert er von 14,9 auf 15,5 Prozent des Bruttolohns. Arbeitnehmer müssen 8,2 Prozentpunkte davon schultern. Ab der Beitragsbemessungsgrenze von gegenwärtig 3750 Euro fallen Zusatzkosten von rund elf Euro im Monat an. Hinzu kommen die Zusatzbeiträge, die jede Kasse bei Bedarf erheben kann. Bislang dürfen sie ein Prozent des beitragspflichtigen Lohns nicht überschreiten. Künftig können die Kassen sogar deutlich mehr fordern. Für Gutverdiener können sich die Zusatzlasten daher auf einen zweistelligen Betrag pro Monat summieren. Damit aber nicht genug. Mehrbelastungen drohen auch von Städten und Gemeinden, die unter den Ausgaben, vor allem für die Kosten der Unterkunft von Hartz-IV-Empfängern, ächzen. In einer Umfrage der Unternehmensberatung Ernst & Young kündigten 84 Prozent der Kommunen an, Steuern und Gebühren zu erhöhen. Immerhin 60 Prozent wollen sich aus der Schuldenfalle befreien, indem sie Leistungen kürzen. Die Folge: Während weniger Straßenlaternen weniger lang leuchten und Jugendbetreuungseinrichtungen sowie Hallenbäder schließen, steigen Grund- und Gewerbesteuer und die Eintrittspreise für Museen. Frankfurt hat die Straßenreinigungsgebühren um knapp fünf Prozent erhöht, Saarbrücken die Abwassergebühren um zehn Prozent.
(DER SPIEGEL 34/2010)
Willkommen in der Steuersenkungsrealiät des Guido W.
Umso verbissener setzen die Frustrierten in den Regierungsparteien nun darauf den vier großen Energiekonzernen Liebesdienste zu erweisen.
Merkels Kettenhunde sind von der Leine gelassen und es passierte, was passieren muß, wenn unter alles losrennt, ohne das Gehirn einzuschalten: Die vermeidlich einfache Sache - Aufhebung des Atomausstiegsgesetzes und RWE, EnBW, Schäuble, Vattenfall und E.on sind glücklich - mutierte zu einer Kakophonie der Koalitionschaoten.
Als Gröhe am Montag zu den Zielen der CDU bei der Verlängerung der AKW-Laufzeiten Stellung nehmen wollte, verfranzte er sich dramatisch. Erst war er neben der geplanten Brennelementesteuer für einen zweiten Beitrag der Kraftwerksbetreiber. Kurz darauf korrigierte er sich mit den Worten, die CDU wolle keinen zweiten Beitrag, sondern Investitionen der Unternehmen zur Förderung von Solartechnik und Windkraft. Auf ein entschlossenes Ja folgte ein vorsichtiges Jein, das wie ein Nein klingen sollte. Das nennt man Chaos. Dieses Chaos ist das Produkt einer Debatte, in der sich die gesamte CDU durch widersprüchliche Ziele und innere Konflikte schon seit Monaten verheddert. Egal, was Ende September als Energiekonzept der Koalition präsentiert wird, die CDU wird wie eine Verliererin aussehen. Zu harsch sind die gegenseitigen Anfeindungen, zu sehr geht es um Sieg oder Niederlage. Nach der Vorstellung des Energiekonzepts wird allenfalls eine kleine Minderheit weiter glauben, dass die CDU mit der Atomkraft vertrauensvoll umgeht. Politisch kann so aus dem Chaos ein GAU werden. Im Herbst dräut nichts Gutes für die Partei Angela Merkels.
(Stefan Braun 23.08.10)
Mittlerweile haben sich die CDUler in dieser Frage schon allein so verheddert, daß die erratischen Ausfälle von FDP und CSU gar nicht mehr als Öl im Feuer auffallen.
Die Verfassungsexperten im Justizministerium haben regierungsintern gegutachtet und erklärten, daß ohne den Bundesrat allenfalls zwei Jahre und vier Monate Laufzeit draufschlagen werden könne, wenn man "moderat" bleiben und eine Niederlage vor dem Verfassungsgericht in Karlsruhe vermeiden wolle.
Das aber sieht FDP-Chef Guido Westerwelle ganz anders. Er will eine Vertragslösung.
Die Koalition hat sich in dieser Frage inzwischen balkanisiert. Es gibt viele kleine Fraktionen. Die einen sind für die Brennelementesteuer als Mittel der Haushaltssanierung, die anderen für die Brennelementesteuer als Einnahmequelle für die Förderung erneuerbarer Energien. Für Lobbyisten ist eine solche Zersplitterung immer eine gute Sache. Eine Lösung rückt damit in die Ferne. Auch Merkel hat schon die Verzweiflung gepackt. Bei einem Treffen, an dem auch Fraktionschef Volker Kauder und Kanzleramtschef Pofalla teilnahmen, wurde die Entscheidung bis Ende September vertagt. Für die Lobbyisten ist das eine Menge Zeit, weitere Geschütze aufzufahren.
(DER SPIEGEL 34/2010)
Unfreiwillig könnten die Milliardenschweren Atomlobbyisten der Kanzlerin aus der Klemme helfen.
Sie haben ihre Forderungen und ihr erpresserisches Auftreten derart überzogen, daß selbst die entscheidungsunwillige Atomfreundin Merkel genötigt sein könnte zu entscheiden - und zwar GEGEN die Interessen der Atommafia, wenn sie nicht den letzten Rest Reputation verlieren will.
Was hat die vier Großen eigentlich geritten sich in der Öffentlichkeit so offensichtlich als der Regierungs-übergeordnete Supermacht zu präsentieren?
Frau Merkel, bitte zum Diktat!
Wer trifft die politischen Entscheidungen in Wirklichkeit? Weil sie der Brennelementesteuer entgehen wollen, versuchen die Chefs der Atomwirtschaft, die Bundesregierung umzublasen. Dem Wind geben sogar einstige Atomgegner nach. […]Die Manager der Atomindustrie haben eine Anzeigenkampagne gegen die Einführung einer Brennelemente-Steuer und für die Verlängerung der Laufzeiten der Kernkraftwerke begonnen, die sich "Energiepolitischer Appell" nennt. Der Appell war noch nicht gedruckt, da trat die Regierung Merkel - Umweltminister Norbert Röttgen ausgenommen - schon zum Umfallen an. Volker Kauder, der Unionsfraktionschef, kann sich statt der Brennelemente-Steuer eine "vertragliche Einigung mit der Energiewirtschaft" vorstellen, in der sich die Konzerne zu Zahlungen für verlängerte Kraftwerkslaufzeiten verpflichten; Finanzminister Wolfgang Schäuble assistiert: "Wir haben immer gesagt, wenn es eine andere Rechtsgrundlage oder Vereinbarung geben sollte, sind wir dazu bereit."
(Heribert Prantl 23.08.2010)
RWE, EnBW, Vattenfall und E.on konnten der Versuchung nicht widerstehen die Schwarzgelben vorzuführen und allen zu demonstrieren wer nach wessen Pfeife tanzt.
Daß dies nun derart öffentlich geworden ist, könnte sich allerdings als gigantischer Rohrkrepierer erweisen.
Immerhin ist die Regierung spätestens seit des Hotelsteuergeschenks in Punkto Lobbyhörigkeit angezählt.
Heute würde ihr kaum noch einer glauben die Atomlaufzeiten zu verlängern, weil es dafür objektive Gründe gäbe.
Zu offensichtlich ist das Nachgeben gegenüber des Lobbydrucks.
Merkel und Westerwelle haben keinen Kredit mehr, den sie verspielen können. Noch ein Einknicken vor der Lobby und der letzte Rest Glaubwürdigkeit ist dahin.
Für den Kommunikationsexperten Klaus Kocks ist das Gebaren der vier Atomgiganten der absolute PR-Supergau.
Die GAK; die Giga-GAK.
Die Energiekonzerne hatten genug von Angela Merkels abwartender Haltung und wollten Druck ausüben. Die Kanzlerin mit dieser Kampagne aber zu beeinflussen, sie herumzuschubsen, ist eine fatale Fehleinschätzung von Frau Merkel. Das wird für die Atomlobby teuer werden.
[…] Denn die Kampagne hat aus einer Sach- eine Machtfrage gemacht. Diese wird die Kanzlerin auch als Machtfrage beantworten. Der einzig mögliche Ausgang ist nun ein Beschluss, der negativer ausfällt, als er noch vor einigen Wochen möglich gewesen wäre. Schließlich war der Gestus der Kampagne, das Gegenüber an den Ohren zu ziehen wie in der Kindererziehung.
[…] Diese Kampagne ist ein kommunikativer Putschversuch der Wirtschaftseliten, die nicht nur versuchen, Druck auf die Kanzlerin auszuüben, sondern auch den Umweltminister aus seinem Amt zu heben. Dafür haben sie aber kein Mandat. Die Konzerne zetteln mit ihrem Verhalten vielmehr einen ideologischen Bürgerkrieg an. Die Kampagne ist daher extrem kontraproduktiv.
[…] Die Kampagne hat die Basisstrukturen im Verhältnis von Wirtschaft und Politik beschädigt. Das ist wieder ein kleiner GAU der Atomlobby. Sie hat schon in der Vergangenheit zu ihrer schlechten Reputation in der Gesellschaft geführt. Nun hat sie die Akzeptanz der Atomindustrie bei Publizisten und in der Bevölkerung weiter verringert.
[…] Treibende Kraft ist ohnehin der RWE-Konzern mit seinem Chef Jürgen Großmann. Im Übrigen ist diese Kampagne keine Strategie, sondern wirkt wie der Wutausbruch eines Cholerikers, der eine Gruppe hinter sich versammelt hat.
(tagesschau.de)
Das waren noch Zeiten, als sie die Dreifachquotierte war - Ost, Frau, Protestantin - die devot nach Wolfratshausen zum Frühstück bei Stoiber eilte, um sich dem stammelnden Zauder-Bayern demütig zu beugen.
En Segen für Deutschland allerdings - so blieb uns Rot/Grün noch drei Jahre erhalten und der Irak-Krieg erspart.
Merkel wurde erst einmal wieder auf die Warteposition geschoben und übte sich als „Mrs Njet“, die grundsätzlich alles ablehnte und blockierte.
Sogar von der Opposition aus schaffte sie es die Regierung zu zermürben, indem sie jedes Fortkommen des Landes sabotierte.
Ihre Strategie mutwillig Deutschland soweit in die Krise zu treiben, daß sich der Frust auf der Regierung entlädt, ging auf.
Eine wartende Merkel ist wie Godzilla auf dem Atomkraftwerk: Er rührt sich erst einmal nicht, saugt aber alle Energie auf und wird dabei immer stärker.
Spätestens 2005 hatte Merkel dann endgültig begriffen: Konstruktives arbeiten bringt keinen Vorteil. Aktivität und Reformen werden abgestraft. Destruktivität und Aussitzen wird belohnt.
So kam es, daß spätestens seit ihrem Einzug ins Kanzleramt unbeirrt an ihrer entwickelten „Strategie des wabernden Phlegmas“ festgehalten wurde.
Man sagt mal dies, mal das, lobt vorsichtig, kritisiert auch mal ein wenig, legt sich aber nie fest und vermeidet Entscheidungen, wie der Teufel das Weihwasser.
Bei Schröder hat sie sich abgeguckt, ein Verfahren, das sich nach Trial and Error-Methode als erfolgreich erwiesen hat, a posteriori zur intelligenten Planung umzudeuten.
So hat auch Merkels „ich sitz‘ alles aus!“-Methode inzwischen beeindruckende politologische Dekorationsadjektive erworben.
Merkels persönlicher Demoskopie-Guru und Neologismen-Experte Matthias Jung, der Geschäftsführer der Mannheimer Forschungsgruppe Wahlen, findet schöne Etiketten.
Die CDU-Wahlkampf-Strategie nennt er „asymmetrisch Demobilisierung“; vulgo:
Wenn man selber kein Programm hat, kann einen der Gegner auch nicht angreifen.
Die politischen Mitbewerber werden systematisch eingeschläfert, bis die Wahlbeteiligung so zurück geht, daß „relativ“ immer noch genügend Stimmen bei der allseits beliebten Amtsinhaberin bleiben.
Der ZDF-Mann spricht ebenso gern von "bewusster ideologischer Diffusität".
"Zum Wahlkampfkurs der CDU gab es unter den gegebenen Voraussetzungen keine realistische Alternative", sagt Jung und lobt, was die Kritiker als Profillosigkeit geißeln. "Eine Volkspartei kann heute nur erfolgreich sein, wenn sie sich nicht nur für eine Klientel stark macht, sondern unterschiedlichste Gruppen anspricht."
„Ihr Idioten“ mag die Kanzlerin insgeheim ihre parteiinternen Kritiker schimpfen, die nun von ihr das Undenkbare erwarten.
Die Frau mit der Richtlinienkompetenz soll Richtlinien vorgeben. Die penetrant Unentschiedene soll entscheiden.
Haben die alle nicht begriffen, daß Merkel mit Festlegungen und Verlässlichkeit nie zur CDU-Hydra aufgestiegen wäre?
Im letzten Wahlkampf leistete sich die Kanzlerin einen taktischen Fehler:
Die CDU pochte auf Atomkraft.
Die Chefin, die vermutlich ganz gerne den Atomkonzernen die Laufzeitverlängerung dargeboten hätte, wollte das eigentlich nicht öffentlich kundtun.
Daß es doch dazu kam, war den Parteihardlinern geschuldet.
Den einen Knochen gönnte Merkel ihnen.
Begierig kauten die unteren CDU-Chargen darauf rum und waren beschäftigt.
Und nicht wenige in der Partei waren wie elektrisiert, weil sie sich endlich wieder zu Hause fühlten. Es gab plötzlich etwas Profilbildendes in sehr profilarmen Zeiten. Wenigstens bei einem Thema stand man wieder in einer echten und traditionellen Frontstellung zum politischen Gegner, wo doch Merkels Wahlkampf ansonsten von Konfliktscheu geprägt war. Sicher, längere Laufzeiten wurden wirtschaftlich (geringere Stromkosten) und umweltpolitisch (weniger CO2-Ausstoß) begründet. Die emotionale Bedeutung der Atomkraft ist für viele Christdemokraten aber viel wichtiger gewesen. Sie hatten ein Thema, für das sie seit Jahrzehnten eintreten.
(Stefan Braun 23.08.10)
Diese eine Festlegung kommt nun als Bumerang zurück.
Hatte doch Merkel mit ihren beiden Quälgeistern Horst und Guido einen wolkigen überdimensionierten Koalitionsvertrag aus viel pathetischer Polit-Lyrik, ohne konkrete Absichten und dafür mit fast 100 Prüfaufträgen ausgeheckt.
Ein Wunderwerk, aus dem man alles und nichts lesen kann.
Die niederen Koalitionäre waren so verwirrt von dem vertraglichen Nichts, daß sie bis heute nicht sagen können, wofür schwarzgelb eigentlich steht.
Daß Lindner und Westerwelle immer noch ihre Steuersenkungensteuersenkungensteuersenkungen-Sprüche aufsagen hat ohnehin nur noch kabarettistischen Charakter, nachdem innerhalb von ein paar Monaten die massive Steuer- und Abgabenerhöhungen beschlossen wurden - also das diametrale Gegenteil des Versprochenen.
Schäuble schob mit voller Rückendeckung von Kanzlerin Angela Merkel (CDU) Steuererhöhungen an. Das wird, ausgelöst durch die Regierung, demnächst direkt oder indirekt auf die Bürger einprasseln: ein höherer Krankenkassenbeitrag - bis zu sechs Milliarden Euro; ein höherer Beitrag zur Arbeitslosenversicherung - 1,6 Milliarden Euro; eine Luftverkehrsteuer - etwa eine Milliarde Euro; die Brennelementesteuer - 2,3 Milliarden Euro; eine Finanztransaktionssteuer - zwei Milliarden Euro; eine schärfere Ökosteuer - 1,5 Milliarden Euro. Und als wäre das nicht genug, fordert Saarlands Ministerpräsident Peter Müller (CDU) obendrein, den Spitzensteuersatz anzuheben, weil "starke Schultern mehr tragen müssen als schwache Schultern".
[…] Nicht allein über Steuern, auch über höhere Beiträge langt der Staat den Bürgern in die Geldbörse. So soll der Beitrag zur Arbeitslosenversicherung von derzeit 2,8 Prozent auf 3 Prozent steigen. Fachleute gehen allerdings davon aus, dass die Finanzen der Bundesagentur für Arbeit erst ab einem Beitragssatz von 4 Prozent dauerhaft gesichert sind. Der Beitrag zur Krankenversicherung, so viel steht schon fest, wird angehoben. Im Januar klettert er von 14,9 auf 15,5 Prozent des Bruttolohns. Arbeitnehmer müssen 8,2 Prozentpunkte davon schultern. Ab der Beitragsbemessungsgrenze von gegenwärtig 3750 Euro fallen Zusatzkosten von rund elf Euro im Monat an. Hinzu kommen die Zusatzbeiträge, die jede Kasse bei Bedarf erheben kann. Bislang dürfen sie ein Prozent des beitragspflichtigen Lohns nicht überschreiten. Künftig können die Kassen sogar deutlich mehr fordern. Für Gutverdiener können sich die Zusatzlasten daher auf einen zweistelligen Betrag pro Monat summieren. Damit aber nicht genug. Mehrbelastungen drohen auch von Städten und Gemeinden, die unter den Ausgaben, vor allem für die Kosten der Unterkunft von Hartz-IV-Empfängern, ächzen. In einer Umfrage der Unternehmensberatung Ernst & Young kündigten 84 Prozent der Kommunen an, Steuern und Gebühren zu erhöhen. Immerhin 60 Prozent wollen sich aus der Schuldenfalle befreien, indem sie Leistungen kürzen. Die Folge: Während weniger Straßenlaternen weniger lang leuchten und Jugendbetreuungseinrichtungen sowie Hallenbäder schließen, steigen Grund- und Gewerbesteuer und die Eintrittspreise für Museen. Frankfurt hat die Straßenreinigungsgebühren um knapp fünf Prozent erhöht, Saarbrücken die Abwassergebühren um zehn Prozent.
(DER SPIEGEL 34/2010)
Willkommen in der Steuersenkungsrealiät des Guido W.
Umso verbissener setzen die Frustrierten in den Regierungsparteien nun darauf den vier großen Energiekonzernen Liebesdienste zu erweisen.
Merkels Kettenhunde sind von der Leine gelassen und es passierte, was passieren muß, wenn unter alles losrennt, ohne das Gehirn einzuschalten: Die vermeidlich einfache Sache - Aufhebung des Atomausstiegsgesetzes und RWE, EnBW, Schäuble, Vattenfall und E.on sind glücklich - mutierte zu einer Kakophonie der Koalitionschaoten.
Als Gröhe am Montag zu den Zielen der CDU bei der Verlängerung der AKW-Laufzeiten Stellung nehmen wollte, verfranzte er sich dramatisch. Erst war er neben der geplanten Brennelementesteuer für einen zweiten Beitrag der Kraftwerksbetreiber. Kurz darauf korrigierte er sich mit den Worten, die CDU wolle keinen zweiten Beitrag, sondern Investitionen der Unternehmen zur Förderung von Solartechnik und Windkraft. Auf ein entschlossenes Ja folgte ein vorsichtiges Jein, das wie ein Nein klingen sollte. Das nennt man Chaos. Dieses Chaos ist das Produkt einer Debatte, in der sich die gesamte CDU durch widersprüchliche Ziele und innere Konflikte schon seit Monaten verheddert. Egal, was Ende September als Energiekonzept der Koalition präsentiert wird, die CDU wird wie eine Verliererin aussehen. Zu harsch sind die gegenseitigen Anfeindungen, zu sehr geht es um Sieg oder Niederlage. Nach der Vorstellung des Energiekonzepts wird allenfalls eine kleine Minderheit weiter glauben, dass die CDU mit der Atomkraft vertrauensvoll umgeht. Politisch kann so aus dem Chaos ein GAU werden. Im Herbst dräut nichts Gutes für die Partei Angela Merkels.
(Stefan Braun 23.08.10)
Mittlerweile haben sich die CDUler in dieser Frage schon allein so verheddert, daß die erratischen Ausfälle von FDP und CSU gar nicht mehr als Öl im Feuer auffallen.
Die Verfassungsexperten im Justizministerium haben regierungsintern gegutachtet und erklärten, daß ohne den Bundesrat allenfalls zwei Jahre und vier Monate Laufzeit draufschlagen werden könne, wenn man "moderat" bleiben und eine Niederlage vor dem Verfassungsgericht in Karlsruhe vermeiden wolle.
Das aber sieht FDP-Chef Guido Westerwelle ganz anders. Er will eine Vertragslösung.
Die Koalition hat sich in dieser Frage inzwischen balkanisiert. Es gibt viele kleine Fraktionen. Die einen sind für die Brennelementesteuer als Mittel der Haushaltssanierung, die anderen für die Brennelementesteuer als Einnahmequelle für die Förderung erneuerbarer Energien. Für Lobbyisten ist eine solche Zersplitterung immer eine gute Sache. Eine Lösung rückt damit in die Ferne. Auch Merkel hat schon die Verzweiflung gepackt. Bei einem Treffen, an dem auch Fraktionschef Volker Kauder und Kanzleramtschef Pofalla teilnahmen, wurde die Entscheidung bis Ende September vertagt. Für die Lobbyisten ist das eine Menge Zeit, weitere Geschütze aufzufahren.
(DER SPIEGEL 34/2010)
Unfreiwillig könnten die Milliardenschweren Atomlobbyisten der Kanzlerin aus der Klemme helfen.
Sie haben ihre Forderungen und ihr erpresserisches Auftreten derart überzogen, daß selbst die entscheidungsunwillige Atomfreundin Merkel genötigt sein könnte zu entscheiden - und zwar GEGEN die Interessen der Atommafia, wenn sie nicht den letzten Rest Reputation verlieren will.
Was hat die vier Großen eigentlich geritten sich in der Öffentlichkeit so offensichtlich als der Regierungs-übergeordnete Supermacht zu präsentieren?
Frau Merkel, bitte zum Diktat!
Wer trifft die politischen Entscheidungen in Wirklichkeit? Weil sie der Brennelementesteuer entgehen wollen, versuchen die Chefs der Atomwirtschaft, die Bundesregierung umzublasen. Dem Wind geben sogar einstige Atomgegner nach. […]Die Manager der Atomindustrie haben eine Anzeigenkampagne gegen die Einführung einer Brennelemente-Steuer und für die Verlängerung der Laufzeiten der Kernkraftwerke begonnen, die sich "Energiepolitischer Appell" nennt. Der Appell war noch nicht gedruckt, da trat die Regierung Merkel - Umweltminister Norbert Röttgen ausgenommen - schon zum Umfallen an. Volker Kauder, der Unionsfraktionschef, kann sich statt der Brennelemente-Steuer eine "vertragliche Einigung mit der Energiewirtschaft" vorstellen, in der sich die Konzerne zu Zahlungen für verlängerte Kraftwerkslaufzeiten verpflichten; Finanzminister Wolfgang Schäuble assistiert: "Wir haben immer gesagt, wenn es eine andere Rechtsgrundlage oder Vereinbarung geben sollte, sind wir dazu bereit."
(Heribert Prantl 23.08.2010)
RWE, EnBW, Vattenfall und E.on konnten der Versuchung nicht widerstehen die Schwarzgelben vorzuführen und allen zu demonstrieren wer nach wessen Pfeife tanzt.
Daß dies nun derart öffentlich geworden ist, könnte sich allerdings als gigantischer Rohrkrepierer erweisen.
Immerhin ist die Regierung spätestens seit des Hotelsteuergeschenks in Punkto Lobbyhörigkeit angezählt.
Heute würde ihr kaum noch einer glauben die Atomlaufzeiten zu verlängern, weil es dafür objektive Gründe gäbe.
Zu offensichtlich ist das Nachgeben gegenüber des Lobbydrucks.
Merkel und Westerwelle haben keinen Kredit mehr, den sie verspielen können. Noch ein Einknicken vor der Lobby und der letzte Rest Glaubwürdigkeit ist dahin.
Für den Kommunikationsexperten Klaus Kocks ist das Gebaren der vier Atomgiganten der absolute PR-Supergau.
Die GAK; die Giga-GAK.
Die Energiekonzerne hatten genug von Angela Merkels abwartender Haltung und wollten Druck ausüben. Die Kanzlerin mit dieser Kampagne aber zu beeinflussen, sie herumzuschubsen, ist eine fatale Fehleinschätzung von Frau Merkel. Das wird für die Atomlobby teuer werden.
[…] Denn die Kampagne hat aus einer Sach- eine Machtfrage gemacht. Diese wird die Kanzlerin auch als Machtfrage beantworten. Der einzig mögliche Ausgang ist nun ein Beschluss, der negativer ausfällt, als er noch vor einigen Wochen möglich gewesen wäre. Schließlich war der Gestus der Kampagne, das Gegenüber an den Ohren zu ziehen wie in der Kindererziehung.
[…] Diese Kampagne ist ein kommunikativer Putschversuch der Wirtschaftseliten, die nicht nur versuchen, Druck auf die Kanzlerin auszuüben, sondern auch den Umweltminister aus seinem Amt zu heben. Dafür haben sie aber kein Mandat. Die Konzerne zetteln mit ihrem Verhalten vielmehr einen ideologischen Bürgerkrieg an. Die Kampagne ist daher extrem kontraproduktiv.
[…] Die Kampagne hat die Basisstrukturen im Verhältnis von Wirtschaft und Politik beschädigt. Das ist wieder ein kleiner GAU der Atomlobby. Sie hat schon in der Vergangenheit zu ihrer schlechten Reputation in der Gesellschaft geführt. Nun hat sie die Akzeptanz der Atomindustrie bei Publizisten und in der Bevölkerung weiter verringert.
[…] Treibende Kraft ist ohnehin der RWE-Konzern mit seinem Chef Jürgen Großmann. Im Übrigen ist diese Kampagne keine Strategie, sondern wirkt wie der Wutausbruch eines Cholerikers, der eine Gruppe hinter sich versammelt hat.
(tagesschau.de)
Abonnieren
Kommentare zum Post (Atom)
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen