TAMMOX IST UMGEZOGEN / AUS TAMMOX WURDE "TAMMOX-II"

Um die beklagte Seitenaufbaugeschwindigkeit zu verbessern, bin ich auf einen zweiten Blog umgezogen. Und zwar hierhin. Ich bin dankbar für ein Feedback!

Sonntag, 13. Februar 2011

2,3,7,8-Tetrachlordibenzodioxin

Wer sich irgendwann einmal ein bißchen mit organischer Chemie beschäftigt hat, kennt das Unbehagen, welches von der Chlor-Kohlenstoff-Bindung ausgelöst wird.
Da wird es immer giftig für den Organismus.
Unser Stoffwechsel hat die größten Schwierigkeiten die C-Cl-Bindung zu knacken, da lebende Organismen diese Verknüpfung üblicherweise nicht enzymatisch herstellen.
Da mußte erst der Mensch und die chemische Industrie kommen.
Je mehr Chloratome an einem organischen Molekül hängen, desto schlechter. So ist das vollständig durchchlorierte γ-Hexachlorcyclohexan, auch bekannt als Lindan, ein Insektizid, das - sparsam verwendet - auch gegen Filzläuse eingesetzt wird.

Richtig unangenehm wird es, wenn es sich bei den chlorierten organischen Molekülen um Aromaten handelt. Die politisch bekanntesten Bösewichter sind polychlorierte Biphenyle (PCB’s) und die Dioxine. Da gruselt sich jede Hausfrau - auch wenn der Chemieunterricht in der Schule noch so lange her sein mag.

Das Gruseln ist allerdings angebracht; besonders bei „dem“ Dioxin, das wir als „Sevesogift“ kennen, welches Zigtausend mal giftiger als Zyankali ist.
Dabei handelt es sich um 2,3,7,8-Tetrachlordibenzo-1,4-dioxin, welches im Juli 1976 in der chemischen Fabrik Icmesa, einer Roche-Tochter, nördlich von Mailand austrat.
Erst nachdem Tausende Tierkadaver rund um die Fabrik herum gefunden wurden, begann man die Menschen zu evakuieren.
Bis heute ist die Gegend schwer vergiftet; die genaue Anzahl der getöteten Menschen ist nicht bekannt.
Auch der ukrainische Präsidentschaftskandidat Wiktor Juschtschenko wurde mit einem chlorierten Dioxin vergiftet.

Seit den 70er Jahren des letzten Jahrhunderts ist allerdings eine gewisse Abstumpfung des Publikums festzustellen, da Dioxin in schöner Regelmäßigkeit in unseren Lebensmitteln auftaucht.



Schuld daran ist die monopolisierte industrielle Landwirtschaft, die das Futter für ihre Viecher nur noch von gigantischen Futtermitteloligopolisten bezieht.
Es ist die europäische und deutsche Landwirtschaftspolitik, die systematisch die Subventionen zu den ganz großen naturfeindlichen Gigabetrieben umleitet.
Die Verquickung von industrieller Landwirtschaft, Bauernverband, CDU und CSU ist so extrem, daß sich Seehofer und Co über Jahre erfolgreich dagegen wehrten auch nur die Subventionssummen zu nennen, die an die Großbetriebe flossen.

„Das Bundesministerium brachte in der Regel Gesetzentwürfe erst nach Beratung mit dem Bauernverband ins Kabinett, Staatssekretäre kamen oft aus dessen Unter- und Nebenorganisationen.“ So sind auch unter den Unionspolitikern im Agrarausschuss mindestens drei weitere hohe Verbandsfunktionäre. Der langjährige Staatssekretär Gert Lindemann (CDU) wurde bereits zu Beginn seiner Karriere mit der Ehrennadel des Bauernverbands Niedersachsen geehrt, weil er „bei sogenannten Skandalen immer konsequent Schadensbegrenzung“ im Sinne der Lobby betrieben habe. Folgerichtig wechselte er nach seinem Ausscheiden Anfang 2010 in den Aufsichtsrat des Nordzucker-Konzerns, einem Top-Empfänger von Subventionen, und an die Aufsichtsratsspitze der Bodenverwertungs-GmbH, dem obersten Felderverwalter im Osten. Von dort trat er jetzt wieder nahtlos einen Ministerposten an: als Agrarchef in Niedersachsen.
(Steven Geyer 27.01.2011)

Es war ein harter und zermürbender Kampf, den Renate Künast als Verbraucherschutzministerin führte. Ihre Vorliebe für Biolandwirtschaft, die die Natur schont, weniger Gifte einsetzt und gesunde Lebensmittel herstellt, war im Bauernverband ungefähr so beliebt wie ein Fuchs im Hühnerstall.
Die Verbraucher, die so billig wie nie zuvor Lebensmittel kaufen möchten, machen es den Biolandwirten schwer. Vor die Frage gestellt „billig oder gesund“ - entscheiden sie sich weit überwiegend für die mit Chemiekeule und Wachstumshormonen turboartig hochgezüchtete Variante aus dem Discounter, statt für unbelastete Lebensmittel vom Bioladen oder Ökolandwirt.
2005 machten die Verbraucher als Wähler den Bio-Spuk endgültig den Gar aus und schickten wieder Unionsleute in das Landwirtschaftsministerium.
Zunächst war es Horst Seehofer, der vehement gegen die Lebensmittelampel und für die industrielle Landwirtschaft kämpfte und nun, mit Ilse Aigner haben wir eine Industrieknechtin reinster Sorte im Amt.
2009 wurde unter anderem auch sie eindrucksvoll von der Mehrheit der Wähler bestätigt. Lustigerweise ist sie Verbraucherschutz UND Landwirtschaftsministerin, obwohl es sich immer mehr um die Frage „Industrie contra Verbraucher“ handelt, die Aigner klar zugunsten ersterer beantwortet.
Die Landwirtschaft hat von ihr nur Demut zu erwarten - in anderen Aspekten des Verbraucherschutzes macht sich die Bayerin systematisch lächerlich.

Die Ministerin und ihre Schnapsideen“ spottete die Mopo im Dezember 2010.
Sie wollte die Beratungen in Banken durch verdeckte Ermittler prüfen lassen, aber gleichzeitig durchsetzen, daß es für miserabel beratende Banken keine Sanktionen gibt. Das von allen Experten geforderte Lebensmittelkennzeichnungssystem („Ampel“) fegte sie auf Wunsch der Industrie vom Tisch. Wäre ja noch schöner, wenn die Kunden erfahren würden, was sie da eigentlich essen. Nein der Konsument soll dumm gehalten werden, so daß die Lebensmittelkonzerne alles in unser Essen mischen können, ohne daß es jemand merkt.
Laut und spektakulär legte sie sich mit Facebook an, kündigte publikumswirksam ihren eigenen Account. Hinter den Kulissen sorgte sie aber dafür, daß es für den Verbraucher kein Stück mehr Datenschutz gibt.

Und dann kam mal wieder einer der vielen Dioxinskandale, bei dem Aigner so massiv dilettierte, daß sogar die stramm CDU/CSU-freundliche BILD entnervt titelte sie sei für das Amt „UNGEAIGNERT!“



Sie denkt gar nicht daran irgendetwas an den gesundheitsgefährdenden und umweltschädlichen Praktiken in der Lebensmittelindustrie zu ändern. Sollen die Leute doch Dioxin fressen.



Einen neuen Pflock trimmte die Verbraucherfeindin Aigner dieser Tage bei der Neubesetzung ihres Agrarstaatssekretärpostens ein - die stramme Katholikin Julia Klöckner, welche bisher den Posten innehatte, setzt sich nächste Woche nach Mainz ab.

Für Aigner war klar, daß nur ein ausgewiesener Freund der Industrielandwirtschaft für den Posten in Frage kommt.
So wie man eben bei Schwarzgelb Pöstchen systematisch direkt mit den Lobbyisten besetzt. Rösler hat das vorgemacht, Merkels Amt ist ohnehin mit Lobbyisten durchsetzt und auch Röttgen läßt gleich die Umweltfeinde im Umweltschutzministerium arbeiten.
Wenigstens schaffen die Schwarzen so Fakten.

Hamburger Abendblatt: CDU-Vize Norbert Röttgen sagt: Schwarz-Grün ist nicht tot.

Jürgen Trittin: Herr Röttgen scheint in einer anderen Welt zu leben. Er verantwortet als zuständiger Minister die Laufzeitverlängerungen der Atomkraftwerke - in vollem Wissen um deren Verfassungswidrigkeit. Wer Deutschlands Atomaufsicht einem notorischen Atomlobbyisten anvertraut, wer einen gefeuerten Vattenfall-Manager über die Sicherheit von Gorleben entscheiden lässt, der kann nicht ernsthaft von Schwarz-Grün träumen. Da scheint mir der Ausdruck Hirngespinst, den die Kanzlerin für Schwarz-Grün verwendet hat, treffend die Gedankengänge von Herrn Röttgen zu beschreiben.

Ilse Ungeaignert wurde auf der Suche nach dem größten Bock, dem zum Gärtner ihres Ministeriums machen konnte fündig.
Peter Bleser, CDU-Urgeistein der industriellen Futtermittelproduktion soll es werden.

„Ein echter Skandal! Dioxin gehört nicht in Futtermittel“, rief Agrar- und Verbraucherschutzministerin Ilse Aigner (CSU) im Bundestag. „Verbraucherschutz muss vor allen wirtschaftlichen Interessen stehen!“ Eine Woche später verbreitete ihr Haus eine Personalie, die an diesem Anspruch zumindest zweifeln lässt: Weil Aigners bisherige Staatssekretärin Julia Klöckner im Februar ihren Regierungsposten zugunsten der CDU-Spitzenkandidatur in Rheinland-Pfalz aufgibt, macht die Ministerin nun Peter Bleser zu einem ihrer Stellvertreter. Damit soll die Abkehr von der profit- und exportorientierten Agrarpolitik nicht nur ein überzeugter Anhänger der industriellen Landwirtschaft herbeiführen – sondern sogar ein Vertreter genau jener Futtermittelbranche, die im Zentrum des Dioxin-Skandals steht. Denn eigens für seine Beförderung vom agrarpolitischen Sprecher der Union zum Regierungsmitglied muss Bleser (58) nun sein Amt als Aufsichtsratschef bei der Raiffeisen Waren-Zentrale Rhein-Main aufgeben – einem der größten deutschen Futtermittelhersteller.
[…] „Natürlich erwähnte er nicht, dass es nur dank der Ausrichtung der deutschen Landwirtschaft auf Massenproduktion und der undurchsichtigen Handelswege bei der Futterherstellung überhaupt möglich ist, dass ein Einzelner Tausende von Bauernhöfen vergiften kann“, sagt die Expertin des Bundes für Umwelt und Naturschutz, Reinhild Benning. „Frau Aigner muss sich fragen lassen, ob ausgerechnet Herr Bleser die richtige Besetzung für die Aufklärung des Dioxin-Skandals ist“, sagt auch Grünen-Agrarpolitiker Friedrich Ostendorff. Eine Abkehr von der reinen Profitausrichtung erwarte er nicht, da Bleser stets gegen die Stärkung bäuerlicher Betriebe und für industrielle Massentierhaltung eintrete. „Unbeeindruckt setzt die Union auf Fleischexporte statt auf regionale Produktkreisläufe, in denen Bauern ihr Futter nicht billig aus undurchsichtigen Quellen zukaufen, sondern selbst produzieren.“
(Steven Geyer 27.01.2011)

Lobbyistenbeglückerin Aigner macht systematisch das, wozu sie vom Urnenpöbel erkoren wurde - Politik gegen die Verbraucher und gegen die Umwelt zum Wohle einiger skrupelloser superreicher Profiteure.

Von einem ist Ilse Aigner zutiefst überzeugt: Der Dioxin-Skandal war kein Anlass, um über eine Wende in der Agrarpolitik nachzudenken.
(SZ 12.02.2011)

Peter Bleser, ihr neuer Vize, ist überzeugter Biohasser und wird sich sicherlich bestens mit seiner Chefin verstehen. Umweltschutz ist für ihn Teufleszeug.

Genau wie Aigner lobt er 'die hohen Standards', die Landwirte in der EU bereits heute einzuhalten haben. Und genau wie sie ist er überzeugt, dass sie ausreichen, um von einer 'nachhaltigen' Landwirtschaft sprechen zu können. Dass EU-Agrarkommissar Dacian Ciolos vorgeschlagen hat, die Subventionen für die Bauern künftig sehr viel stärker als bislang an umwelt- und klimaschützende Maßnahmen zu koppeln, lehnt Bleser rundweg ab.
(SZ 12.02.2011)

9 Kommentare:

Homer Simpson hat gesagt…

Was du beschreibst, ist die Krankheit "Kapitalismus". Erst, drehen die pfiffigen Unternehmer an der Kostenschraube. Wichtig ist dabei die Standortfrage. Wo stelle ich meine "Fabrik" hin? Ich will möglichst nahe am Markt produzieren, kurze Wege zu benötigten Produktionsmittel und niedrige Lohnkosten. Alles muss in ein gutes Verhältnis gebracht werden. Je optimaler das gelingt - sprich, je günstiger man produziert - desto eher reißen die Leute einem das Produkt hinterher aus der Hand.

Die Konkurrenz merkt natürlich, dass das eigene Produkt nicht mehr so gefrat ist. Und weil man schnell erkennt, warum die Anderen das gleiche Produkt billiger anbieten, zieht man bald nach.

Irgendwann ist dann eine Grenze erreicht. Man hat ein billiges Produkt, dass aber immernoch eine gute Qualität hat. Will man sich aber im Markt weiter behaupten, muss man noch weiter mit den Preisen herunter. Also schaut man dann bei der Qualität nicht mehr so genau hin. Man verwendet minderwertige Rohstoffe und produziert ein immer schlechter werdendes Produkt. Eben, weil auch die Konkurrenz nachzieht oder untergeht.

Am Ende, schiebt man dann dem Kunden die Schuld in die Schuhe, Der "will" ja ein billiges Produkt. Das das daran liegt, dass die Löhne immer weiter fallen und man gar keine Wahl hat, sieht aber niemand. Auch, das offene Märkte wohl den Unternehmern helfen, noch billiger zu produzieren aber gleichzeitig nur den Druck auf die eigene Gesellschaft erhöht, will man nicht wahrhaben.

Mann will im jeden Preis soviel Milch von der Kuh, wie es geht. Nimmt man sich zurück, wird die Lücke im Markt bald von der asiatischen Konkurrenz geschlossen. Die Asiaten, haben ein unerschöpfliches Heer an Arbeitern, die bei den Arbeitsbedingungen dort, problemlos auch als Leibeigene bezeichnet werden könnten.

Gut ist, dass der Wohlstan sich verteilt. Schlecht ist, dass es immer nur für mehr Ungerechtigkeit sorgt. Es gibt Menschen, die Arbeit haben und solche, die eben keine bekommen. Die so geschaffenen sozialen Unterschiede, spaltet die Welt in Gruppen. Die Wenigsten, leben sehr gut in so einem System. Viele können mäßig gut in so einem System leben. Aber die Meisten, leben sehr sehr schlecht in so einem System.

Der Markt wird immer kleiner, weil die Wenigen reichen, immer mehr vom Kuchen haben wollen. Dagegen werden die, die auf so einem Markt eine Arbeit suchen, immer mehr.

Asien kommt gerade auf den Markt. Das hat in vormals führenden westlichen Ländern zu hohem Druck auf die Märkte geführt. Bald kommt auch Afrika. Da würden viele für 10 Euro im Monat arbeiten. Weil die Lebensmittel dort noch so günstig sind, weil niemand Arbeit hat. Der Markt ist dort reguliert. Aber wenn du nur eine Fabrik dort baust, teilst du die Welt in Arm und Reich. Blöderweise, profitieren Unternehmer genau davon. Und das ist Kapitalismus.

Tammo Oxhoft hat gesagt…

Andererseits gibt es schon lange, lange gezielte Gegenbewegungen. Von ATTAC zum Beispiel. Oder „NO LOGO“, das bahnbrechende Buch von Naomi Klein, und vor ein paar Monaten hatten wir eine ganze Woche lang in den öffentlichen TV-Sendern massive Aufklärung über die Lebensmittelindustrie.
„We feed the world“ und andere Dokus sind auch noch geradezu großartig gemacht. Das kann doch im Ernst niemanden unbeeindruckt lassen.

Aber jedes Mal, wenn es einen Lebensmittelskandal gibt, werden die Auswirkungen geringer. Es dauert oft nur noch ein zwei Tage, bis die Verbraucher-Zurückhaltung beim Kauf von Schwein, oder Eiern oder was auch immer gerade kontaminiert ist, aufgeben und wieder nur zum billigst produziertem Industrie-Produkt greifen.

Dabei sind Verbraucher nicht nur geizig - immerhin waren Lebensmittel noch nie so billig wie jetzt - sondern auch noch doof!
Es gibt ja massiv Untersuchungen, die belegen, daß gerade Prekariatler, die wenig Geld haben, besonders gerne zu Fertiggerichten und Junkfood greifen - zu den ungesunden Dickmachern.
Jeden Tag McDonald-Essen ist aber viel teurer, als wenn man sich mal zum Wochenmarkt bequemen würde und dort ein paar frische Zutaten für einen Eintopf (z.B.) kaufen würde.
Die Fähigkeit des Kochens und das Wissen um die Lebensmittel sind aber verloren gegangen.

Eine Freundin von mir erzählte mir mal, daß ihre Tochter eine Schulfreundin zum Essen mitbrachte, die dann ganz irritiert in der Küche stand, weil sie „Kochen“ noch nie gesehen hatte. (Das waren Kinder der 7. Klasse eines durchaus bürgerlichen Hamburger Gymnasiums)
Als Kartoffeln geschält wurden, lief sie weg, weil ihr diese sandigen Dinger zu ekelig erschienen. Eine Kartoffel im Urzustand hatte sie noch nie gesehen. Bei ihr zuhause gäbe es nur Kartoffelchips und Pommes.

Abgesehen von der Gesundheit: Wenn Hartz’IVler behaupten frische Kartoffel wären zu teuer und zu umständlich und ihre Kinder stattdessen nur mit Pommes abfüllen - DANN stimmt aber einiges nicht in diesem Land.
Da wundere ich mich nicht, daß es jede Menge semikriminelle Lebensmittelkonzerne gibt, die aus der Doofheit der Verbraucher Profit schlagen.
Natürlich werden wir von den Konzernen verarscht - aber wir lassen es auch zu gerne geschehen!

LGT

pufaxx hat gesagt…

Konnte gestern nacht nicht schlafen - und bin (arte) beim Zappen bei dieser Doku hängengeblieben: http://www.youtube.com/watch?v=sBEf9cFOKkM - Zum Glück ist es in Deutschland wohl noch nicht ganz so schlimm - aber was nicht ist, ...

"Food inc." ist wirklich erschreckend.

Anonym hat gesagt…

Wollte eigentlich was ganz anderes dazu schreiben, aber dann habe ich das hier gelesen:

"Jeden Tag McDonald-Essen ist aber viel teurer, als wenn man sich mal zum Wochenmarkt bequemen würde und dort ein paar frische Zutaten für einen Eintopf (z.B.) kaufen würde."

Lieber Tammox, das ist ein massives Vorurteil! Eine Studie in den USA hat etwas ganz anderes ergeben. Nämlich dass das Fast Food (zumindest dort) am billigsten ist. Gutes Essen - im Vergleich zu MacDonalds und Co. - ist ein Luxus! Und nicht nur in den USA.

Im urbanen Raum wiederum wirst Du kaum die hohe Flächendeckung an Wochenmärkten und/oder Bioläden haben.

Und dann fehlt den Leuten auch das Bewusstsein, dass weniger und bessere Lebensmittel sinnvoller für sie sind. Unser Konsumverhalten ist auf "mehr für weniger" programmiert. Allein der Umstand, wie sich die "Familienpackungen" in den 90er Jahren durchgesetzt haben.

Ein Beispiel: Eiscreme. Früher war die "Familienpackung" 1 Liter. (Gut, die Preistreiber von Mövenpick und Co. haben bei uns die 900ml Mogelpackung zum gleichen Preis auf den Markt gedrückt.) Aber die "Billigmarken" sind im Schnitt zumeist 2 - 2,5 Liter zum Spottpreis. Konsequenz? Anstatt einen Liter kaufen die Leute einen 2 Liter-Bottich. Und das wird natürlich auch gegessen. "Mehr für weniger ist besser!" Die Idee kommt übrigens AUCH aus den USA. Dort gibt's diese Familienpackungen schon länger (bis zur "gallon"). Als Kind fiel mir das schon bei den Schokoriegeln auf. Erst bekam man die einzeln, dann im Viererpack, dann Fünferpack und schliesslich (heute) Sechserpack. Einzeln bekommt man Schokoriegel heute nur noch direkt an der Kasse oder in Tankstellen - zu einem Irrsinnspreis. (Die Konditionierung funktioniert also auch bei mir.)

Wohlgemerkt, daran sind nicht die Leute schuld, sondern vor allem die Werbung!

Und zum Thema Unge-Aignert... aus dem Allgäu kommt auch der höchst unbequeme Film "Daheim sterben die Leut'" Darin wird gesagt, dass für die CDU (bzw. CSU) auch ein Besenstiel ins Amt gewählt werden würde.

http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-13514288.html

Oh, und es geht natürlich auch um die Kirche und ihre Rolle!

Eine der besten Szenen:

http://www.youtube.com/watch?v=MA7ssCsUkvc

Ironischerweise ist gerade das Allgäu ein Beispiel dafür, wie Qualität und Tradition in der Lebensmittelherstellung durch Industriebetrieb, Hormonskandale und Überdüngung ruiniert werden. Der gute alte Kapitalismus in Reinkultur - zumeist unmittelbar herbeigeführt oder "verordnet" von der Schwarzpartei.

Der Nordstern.

Anonym hat gesagt…

Den Rest von Deinem Beitrag hätte ich auch noch lesen sollen:

"Wenn Hartz’IVler behaupten frische Kartoffel wären zu teuer und zu umständlich und ihre Kinder stattdessen nur mit Pommes abfüllen - DANN stimmt aber einiges nicht in diesem Land."

Quelle? Tammox, das war ein Trollspruch!

"Hartz'IVler" ist ein stigmatisierendes Schlagwort für jemanden, der vom Staat Arbeitslosengeld bezieht. Was Du da sagst ist diskriminierend.

Und es wird wohl auch genug wohlhabende Familien geben, wo die Kinder nur Schrott zu Essen und Trinken bekommen. Aus EXAKT dem gleichen Grund. Weil die Partikularinteressen der Lebensmittelindustrie und des Handels zugunsten des Gemeinwohls - konkret flächendeckende Aufklärung bzgl. Ernährung und Gesundheit der Bevölkerung - zurückgestellt werden.

Für mich manifestiert sich das am immer am deutlichsten in dem Umstand, dass es bis heute bei uns kein Fach Hygiene in der Schule gibt. Selbst das vielgeschmähte Bildungssystem der USA hat schon seit Jahrzehnten so etwas zu bieten! (Auch wenn sich dort Coca Cola und MacDonalds immer mehr als "Sponsoren" breitmachen.)

Der Nordstern.

pufaxx hat gesagt…

@Anonymus/Nordstern: In Sachen "Fastfood ist DOCH billiger als selbst kochen" muss ich Dir widersprechen. In den USA (siehe "Food inc.") mag das hinkommen. In Deutschland aber (noch) nicht.

Ein Cheeseburger kostet nen Euro - drei davon reichen mir grad mal eben so. Allerdings hab ich nach ein paar Stunden wieder Hunger. Ähnlich ist's mit Sachen von SubWay und so weiter. Es gibt zwar auch freundliche Döner-Läden - "Jungäs Mann! Muss märr ässen!" sagt z.B. regelmäßig die pummelige türkische Mammmma bei meinem Lieblings-Döner zu mir, stopft und stopft massig Zeug ins Brötchen - und für 3,00 € krieg ich ein SO ein Schlachtschiff, dass ich das Abendessen tatsächlich ausfallen lassen kann, aber das ist die Ausnahme.

Als ich nach meinem Umzug etwa einen Monat lang keine funktionstüchtige Küche hatte, hab ich jedenfalls deutlich mehr Geld als gewöhnlich für Essen ausgegeben.

Wenn Du allerdings Fertiggerichte (diverse Tiefkühl-Beutel oder 425 ml Doseneintöpfe) und anderes "Müllfutter" zu Fastfood zählst, geb ich Dir wieder ein Stück weit recht. Für 89 Cent krieg ich z.B. keinen Bohneneintopf mit Rauchfleisch und Würstchen hin. Zwei solche Dosen reichen mir für einen Tag (der Monat ohne Küche).

Und da haben wir ein weiteres Problem: Fleisch ist verführerisch billig. Ich hatte mir eigentlich mal vorgenommen, nur alle zwei Wochen welches zu essen, de facto komme ich auf zwei Mal pro Woche. Es ist auch so einfach. Man kann sich fertig panierte Schnitzel kaufen, die ab Kaufdatum ungefähr 10 Tage haltbar sind, dazu ne Riesenpackung Kartoffelsalat für knapp über nen Euro - Und irgendwie schmeckt das Zeug.

Ich weiß, ich müsste für ein wirklich reines Gewissen konsequenter sein, aber "überwiegend brav" ist auch schon mal nicht schlecht. Am Rest arbeite ich noch ...

Tammo Oxhoft hat gesagt…

@ Nordstern.
Also ich behaupte nach wie vor, dfaß man sich billiger und gleichzeitig viel gesünder ernähren kann, als von Junkfood.

Ganz wunderbar hat das 2004 Evelyn Roll in ihrer bahnbrechenden Artikelserie "Patient Deutschland" aufgedröselt.

Blöderweise ist das nicht mehr online - aber ich kann die Passage über die Preise des Essens noch mal zitieren.

LGT

PATIENT DEUTSCHLAND - die Anamnese der Fachärzte:
"Wir nennen Armut, was eigentlich nur Ungleichheit ist"
Der Hypochonder wacht auf Süddeutsche Zeitung, von Evelyn Roll
Die Menschen haben sich so lange ans Jammern gewöhnt, dass sie es nicht fassen können, wie ernsthaft krank das System jetzt wirklich ist
Berlin, im September - Auf seltsame Ideen kann man kommen nach einem Gespräch mit diesem Paul Nolte. Anstatt nach Hause zu gehen und sich Notizen zu machen, läuft man möglicherweise erst einmal schnell zum nächsten McDonald's.
Es ist Mittag am Bahnhof Zoo. Die Schule ist aus. In Fünferreihen stehen sie an, bis draußen vor der Tür: Jugendliche, ein paar Erwachsene und viele Kinder. Große Kinder, kleine Kinder und viel zu viele dicke Kinder. Die dicken Kinder vom Bahnhof Zoo. Stellen wir uns doch einmal gleich hinter ihnen an.
Eine junge, eigentlich hübsche, aber viel zu dicke Mutter tritt ihre Zigarette aus und bestellt für sich und ihre zwei eigentlich hübschen, aber viel zu dicken Buben von elf und sieben Jahren dreimal das "Sparmenü" zu vier Euro neununddreißig. "Ich mit 'nem Big Mäc", kräht der kleinere der beiden dicken Jungen. "Ich auch", sagt der große dicke Junge und schaut dabei nicht von seinem Handy auf: "Und nachher noch 'n McFlurry." McFlurries sind Riesenpapptöpfe voller Softeis, in das gehäckselte Süßigkeiten gemixt werden. Viel Fett, viele Kohlehydrate, keine Vitamine, keine Ballaststoffe. Kein Wunder, dass die drei so fett sind. Macht zusammen 17,64 Euro. Danke sehr. Bitte sehr. Und ab nach Hause vor die Glotze.
Vorhin in der Eckkneipe vom Hotel Esplanade hatte Paul Nolte erklärt: "Unterschicht-Kinder in Deutschland sind doch nicht so miserabel ernährt, weil die Eltern zu arm sind, gesundes Essen zu kaufen. Im Gegenteil. Es gehört zum Lebensstil der Unterschicht, ihren Kindern dauerhaft ungesundes und auch noch relativ teures Essen zuzumuten."
Und bevor wir jetzt vorrechnen, was man für 17,64 Euro auf dem Wochenmarkt kaufen kann, in Berlins schöner Preußenallee zum Beispiel, und wie man davon vier Tage lang gesunde, köstliche Mittagessen plus Nachtisch für zwei Erwachsene und zwei Kinder zubereitet, soll endlich von Paul Nolte erzählt werden, der so locker von "Unterschicht" spricht, als ob wir die in Deutschland nicht schon vor langer Zeit abgeschafft hätten, wenigstens als politisch opportunen Begriff.


Forts. flg.

Tammo Oxhoft hat gesagt…

Professor Nolte spricht hastig. Er wirkt wie auf dem Sprung, wie einer, der es eilig hat, seine Erkenntnisse an möglichst vielen Orten zu verbreiten: Ein Sozialhilfehaushalt heute hat doch in Wirklichkeit genau so viel Kaufkraft wie ein Arbeitnehmerhaushalt Mitte der Sechzigerjahre. Und nur siebzig Kilometer östlich von Berlin, in Polen, erreichen sogar qualifizierte Facharbeiter nicht den deutschen Sozialhilfesatz. Fünfundfünfzig Prozent aller Kinder zwischen 3 - so absurd können Statistiken sein - und 13 Jahren besitzen heute ein eigenes Handy. Nolte selbst ist als Student noch zum Telefonieren runter auf die Straße zum nächsten Telefonhäuschen gelaufen. "Und das war nicht in den Fünfzigerjahren."
"Wir nennen uns klassenlose Gesellschaft. In Wahrheit haben wir diese nicht wirklich arme, aber verwahrloste Unterschicht und eine Oberschicht, die den Namen Elite nicht verdient, weil sie sich wie die Unterschicht verhält, weil sie sich abkapselt, weil sie sich eigene Regeln gibt und aus allem gesellschaftlichen Engagement zurückzieht. Ohne jede gesellschaftliche Prägekraft und Vorbildfunktion."
Und, was kann man dagegen tun?
"Diese Kulturen der Abhängigkeit, des Bildungsmangels und der Unselbstständigkeit müssen herausgefordert und aufgebrochen werden", sagt Nolte.
Und müssen die, die Sie Oberschicht nennen, die Ackermanns und Essers, nicht ganz genau so auf die bürgerlichen Werte und Tugenden zurückgeführt werden?
"Ja, selbstverständlich."
Einen Tag später, auf dem Markt. Man blickt sich um, und was man nicht sieht, sind Mütter, denen man erklären könnte, dass 4 Seelachsfilets, ein großes Bund glatte Petersilie, eine Schalotte, eine Knoblauchzehe, eine Hand voll Mandeln, 400 Gramm Zucchini und 300 Gramm Möhren, ein halber Liter Yoghurt und vier Pfirsiche zusammen nur 6,44 Euro kosten. Und stößt dabei auf das nächste Problem.
Es sind keine Mütter da, weil es gar keine Kinder gibt auf dem Markt in der Preußenallee. Die Statistiker sagen: Offenbar können - oder wollen - sich vor allem nur noch zwei Gruppen in Deutschland Kinder leisten: Sozialhilfeempfänger und Besserverdienende. Oberschicht und Unterschicht. Die anderen müssen zu hart arbeiten, um die ganze Veranstaltung am Laufen zu halten. Sie bekommen keine Kinder, weil die Frauen Angst haben, den Job zu verlieren, Angst, dass Kinder zu teuer sind, Angst, dass ein Kind nicht gesund sein könnte.

Tammo Oxhoft hat gesagt…

@Pufaxx - ja, Food Inc. Habe ich auch gesehen, als das im TV lief.

Shocking.
Superinteressant und spannend ist auch We Feed The World

http://www.youtube.com/watch?v=jH72ssqdhXI

@Nordstern:

„Wohlgemerkt, daran sind nicht die Leute schuld, sondern vor allem die Werbung!“

Ich würde eher sagen: BEIDE. Natürlich trägt die Werbung - und erst Recht die Industrie, die diese Werbekampagnen bezahlt viel Verantwortung.
Dennoch KÖNNTE sich der Verbraucher aber auch so schlau machen nicht auf jeden dümmlichen Werbetrick reinzufallen.

"Hartz'IVler" ist ein stigmatisierendes Schlagwort für jemanden, der vom Staat Arbeitslosengeld bezieht. Was Du da sagst ist diskriminierend.“

Hm, ..? Also ich habe angenommen, daß klar ist, daß ich solche Pauschalisierungen nur zur Vereinfachung übernehme.
Natürlich gibt es auch viel Hartz’IVler, die sich sehr gesund ernähren und viele Reiche, die Junk fressen.

Aber ich habe auch schon tausendmal gelesen, daß es diesem Zusammenhang zwischen Armut und Übergewicht gibt. Daran ist statistisch nichts zu rütteln. Reiche in Deutschland sind gesünder, gebildeter und leben länger.
Das ist ja gerade das Schlimme an unseren Zuständen - „der“ Hartzler ist soziologisch extrem genau untersucht und statistisch erfasst.

http://www.spiegel.de/wirtschaft/0,1518,druck-436351,00.html

Die Politik weiß ganz genau woran es hapert und weshalb Hauptschüler aus bildungsfernen Schichten keine Chance im Leben haben.
Aber wie man gerade im Moment in Reinkultur an Frau v.d. Leyen sehen kann, will sie das System nicht ändern. Die Eliten haben durchaus ein Interesse daran, daß ihnen „die Unterschicht“ vom Leib bleibt.
Man schottet sich ab. Stichwort Gucci-Protest.

Meiner Ansicht nach wird auch dafür gesorgt, daß es dem Prekariat (jaja, Pauschalisierung) zwar finanziell schlecht geht, aber nicht sooo schlecht, daß sie anfangen Aufstände zu machen und in die Reichenviertel eindringe und da demonstrieren.
Da kommt das menschliche Phlegma natürlich gelegen, wie man aus Wahlanalysen des Volksentscheides beim Anti-Schulreform-Volksentscheids weiß.
Die ärmeren Stadtteile, denen durch die Scheuerl-Initiative Chancen GEMINDERT wurde, sind kaum zur Wahl gegangen. Kein Interesse, zu kompliziertes thema. Nur in den ganz reichen Stadtteilen, die von der Elitisierung der Schulen profitieren sollten, waren die Wahlbeteiligungen sehr hoch. So hat es dann insgesamt gerade gereicht, daß sie eine Mehrheit bekommen haben.
Möglich gemacht hat es die Doofheit und das Phlegma der Menschen in den Stadtteilen mit den hohen Hartz-Anteilen.
Die allerdümmsten Kälber….

LGT